Bayreuth
Die Damen Woglinde, Floßhilde, Wellgunde, besser bekannt als die drei Rheintöchter, in Valentin Schwarz’ Inszenierung auf dem Grünen Hügel.
Enrico Nawrath

Nach dem Blickerweiterungsexperiment mit dem AR-Brillen-Parsifal war man auf dem Grünen Hügel in Bayreuth heuer besonders darauf gespannt, wie der im vorigen Jahr heftig attackierte neue Ring von Valentin Schwarz aufgenommen werden würde. Die Beifallsstürme nach jedem einzelnen Ring -Teil deuteten auf mehr Milde im Urteil der Hardcore-Wagnerianer. Als der junge Österreicher nach der Götterdämmerung dann vor den Vorhang trat, war eine lautstarke Buh-Fraktion natürlich wieder zur Stelle.

So fanatisch wie im vorigen Jahr war es nicht. Dass in diesem Jahr einige Karten auch ohne jahrelange Wartezeit und für einzelne Ring-Teile im Angebot waren, bot auch für Neugierige eine Gelegenheit, sich selbst ein Urteil zu bilden. Ein Vorbote für den Untergang des Abendlandes ist das gleichwohl nicht.

Eine Art Familiensaga

Zudem muss man Schwarz anrechnen, dass er die gerne beschworene "Werkstatt Bayreuth" genutzt hat – in der Personenführung mit seinen teils neu eingestiegenen Protagonisten, aber auch, um tatsächlich szenisch nachzubessern. Nach dem Vorgänger-Ring von Frank Castorf, der das Scheitern großer Utopien in eigenmächtigen Bilderwelten durchdeklinierte, bricht der Österreicher die Erzählung vom Untergang der Götterwelt beim Kampf um die Macht konsequent auf Menschenmaß herunter und macht daraus eine Art Familiensaga.

In einer Behausung zwischen Götterluxus, prekären Kellerwohnungen und gediegenem spießigem Kleinbürgerwohlstand, von Andrea Cozzi im Baukastenprinzip dafür gebaut, fällt das dazu erfundene Personal auf und ins Gewicht. Bei Schwarz sind Wotan und Alberich als Gegenspieler Zwillinge, die sich schon im Mutterleib bekämpfen. Ihren Machtanspruch wollen sie durch ihre Erben sichern.

Alberich raubt daher nicht das Rheingold, sondern kidnappt Klein Hagen, den er dann freilich wieder rausrücken muss. Wir treffen ihn am Krankenbett des Bauherrenfieslings Fafner wieder. Das hat Schwarz dem "Drehbuch" hinzugefügt, spannend durchgezogen und jetzt obendrein klarer zu Ende geführt. Wotan kennt in der Nachwuchsfrage eh keine Tabus. Schwarz setzt da noch einen drauf und macht Wotan selbst zum Erzeuger Siegfrieds.

Heldentaten en masse

Dass hier Brünnhilde und Siegfried ihrerseits ein Kind haben, versteht sich fast von selbst. Das klingt schräg – ist es auch. Aber es ist eine These, die nicht so weit von Wagners Untergangsvision entfernt ist. Wer bereit ist, sich auf die Binnenlogik dieser Erzählung einzulassen, wird allemal spannend unterhalten.

Auf die Habenseite dieses Ringdurchlaufs gehört die Erkenntnis, dass sich der Klangzauber auch dann einstellt, wenn Christian Thielemann mit eigenen Dirigaten mal nicht mit von der Partie ist. Musste sich der junge Finne Pietari Inkinen im vorigen Jahr am Pult noch vertreten lassen, so überzeugte er jetzt mit von Teil zu Teil wachsender Souveränität mit seiner Ring-Lesart.

Dazu kommen vokale Heldentaten en masse: Andreas Schagers entgrenzte Siegfriede und Tomasz Koniecznys Göttervater-Pracht, Catherine Fosters intensiv freie Doppel-Brünnhilde, Ensemblestützen wie Christa Mayer und Georg Zeppenfeld, aber auch der neue Hagen Mika Kares. Musikalisch erfüllte Bayreuth seine Ansprüche. (Joachim Lange, 3.8.2023)