Am Montag ging die 30-jährige Ära des libanesischen Zentralbankchefs Riad Salameh zu Ende: Der "Economist" hatte ihm in einem Kommentar noch den Titel "der schlechteste Zentralbanker der Welt" mitgegeben. In Europa – Belgien, Liechtenstein, Luxemburg, Schweiz; Deutschland und Frankreich haben sogar eine Interpol-"Red Notice" herausgegeben – wird gegen ihn wegen Korruption ermittelt. Es geht dabei um 330 Millionen Dollar Zentralbankvermögen. Salameh dementiert alle Anschuldigungen: Seinen Reichtum habe er schon als Portfoliomanager des 2005 ermordeten mehrfachen libanesischen Ex-Premiers und Wirtschaftstycoons Rafik Hariri erworben, sagt er.

Riad Salameh war dreißig Jahre lang Zentralbankchef im Libanon.
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Nachfolger gibt es keinen. Die Politik kann sich nicht einigen, so wie sie sich auf nichts anderes einigen kann. Die Regierung von Premier Najib Mikati ist nur geschäftsführend, und seit dem Auslaufen der Amtszeit von Michel Aoun im Oktober 2022 gibt es keinen Staatspräsidenten. Im Parlament sind zwölf Versuche, einen neuen zu wählen, gescheitert.

Geheimdienst-Chefsessel unbesetzt

Seit März ist zudem der Posten des Geheimdienstchefs unbesetzt, Anfang 2024 muss ein neuer Armeechef gefunden werden. Joseph Aoun (nicht verwandt mit Ex-Präsident Michel Aoun) tritt ab, manche externe Akteure – USA, Frankreich? – scheinen den Militär auch ohne Abkühlungsphase als möglichen Staatspräsidenten zu sehen.

Die BDL (Banque du Liban), die heuer ihre 60-jährige Gründung begeht – feiern kann man schwerlich sagen –, liegt nun in den Händen des ersten Vizegouverneurs Wassim Mansouri. Er soll jetzt plötzlich können, was die BDL-Manager, die wie alle Topfunktionäre im Libanon von konfessionellen Gruppen und Parteien bestimmt wurden, nie geschafft haben: einen effektiven Reformplan entwerfen, der den Bedingungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) entspricht. Beirut braucht dringend neue Kredite.

Aber für die vielen wichtigen Schritte – ein neues Bankengesetz, Kontrollen und Transparenz, das neue Budget – bräuchte man eben eine legitimierte und handlungsfähige Regierung. Und ein Parlament, dessen Abgeordnete sich nicht zum eigenen Machterhalt gegenseitig lähmen.

Es ist ein Teufelskreis. In einem kaputten Staat, in dem nichts mehr funkftioniert, ist man fürs Überleben umso mehr von seiner angestammten Gruppe abhängig. Das widerspricht den politischen Forderungen der vielen jungen Menschen, die im Protestjahr 2019 auf die Straßen des Libanon gingen. Sie wollten ein anderes System, eine andere Verfassung, weg von den konfessionellen Quoten und hin zu einer modernen Politik.

Aber bei Wahlen gibt es dann kaum Angebote von Politikern und Politikerinnen, die nicht nur ihre eigene Klientel vertreten. Auch deshalb wählen die meisten wieder Vertreter "ihrer" Gruppen. Von den Wahlen 2022 hatten sich viele eine Neuaufstellung der Politik erhofft, aber die Verschiebungen waren nicht groß genug. Wenn sie innerhalb der konfessionellen Lager stattfinden – wie etwa bei den Christen –, ändert sich aufgrund der verfassungsmäßigen Quoten in den Institutionen wenig.

Hisbollah immer noch einflussreich

Die vom Iran abhängige schiitische Hisbollah hatte damals an Stärke eingebüßt, sie kann aber noch immer die Wahl des Präsidenten, der ein maronitischer Christ sein muss, torpedieren. Die Hisbollah will Suleiman Frangieh in diesem Amt, einen Unterstützer von Syriens Staatschef Bashar al-Assad. Von Frangieh erwartet sie, dass er nichts gegen den iranischen Einfluss unternimmt und nicht den Status der Hisbollah als selbsternannte Widerstandspartei gegen Israel in Frage stellt.

Eigentlich müssten die Milizen der Partei Hisbollah längst entwaffnet sein. Auch wirtschaftliche und finanzgesetzliche Reformen würden am Einfluss der Hisbollah – aber auch anderer Parteien – in der Politik und in der Wirtschaft kratzen. Hoffnungen, dass die iranisch-saudische Annäherung einen Durchbruch bringen könnte, dass der Iran Druck auf die Hisbollah macht, sich zurückzunehmen, haben sich nicht erfüllt. Saudi-Arabien gilt als Schutzmacht der Sunniten, die den Premier stellen, hat sich jedoch in den letzten Jahren mehr und mehr distanziert.

Als wäre das innenpolitische und wirtschaftliche Chaos nicht genug, sind in den vergangenen Tagen heftige Kämpfe in dem großen ehemaligen Palästinenserlager Ain al-Hilweh – ein Staat im Staat, in den sich die libanesische Armee nicht hineintrat – ausgebrochen. Hamas und Fatah, die sich in Kairo soeben wieder einmal Versöhnung versprochen haben, gehen dort aufeinander los. (Gudrun Harrer, 4.8.2023)