Das große Fressen, Bregenz
Der Stoffwechsel als Metapher für eine an der eigenen Gier krankende Gesellschaft: Dafna Maimons Darmskulptur "Indigestibles", die man wie einen Korridor durchschreiten kann, während man Verdauungsgeräusche hört.
Maija Toivanen/Helsinki Bienna

Wer Das große Fressen auftischt, sollte sich in der Menüfolge nicht lumpen lassen, schließlich legt Marco Ferreris berühmte Filmsatire von 1973 über eine sich zu Tode fressende und dabei ausgiebig kopulierende Männerrunde ziemlich viel vor. Die just zur hohen Festspielzeit angesetzte Bregenzer Anlehnung an diesen deftigen Stoff bietet auch einiges auf: Zum auf mehrere Standorte verteilten Ausstellungsprojekt gesellt sich ein spartenübergreifendes Begleitprogramm aus Theater, Performance und Interventionen im öffentlichen Raum. Grundtenor: Wir konsumieren uns zu Tode.

Hauptschauplatz der von Judith Reichart und Lucie Strecker kuratierten Gruppenschau ist das Magazin 4, dem die israelisch-finnische Künstlerin Dafna Maimon eine plüschig-rote Darmskulptur einverleibt hat. Indigestibles titelt diese Installation, man kann den Darm wie einen Korridor durchschreiten, trifft dabei auf allerlei Requisiten, die Mikroben und Essensreste andeuten, hört Verdauungsgeräusche.

Galliger Humor

Das wirkt gar nicht so ungemütlich, wäre da nicht der vor dem Eingang platzierte Videoprolog: Mit galligem Humor macht Maimon darin den Stoffwechsel zur Metapher für eine an der eigenen Gier krankende Gesellschaft, man beobachtet eine Frau mittleren Alters, die offensichtlich kaum soziale Kontakte pflegt und Unmengen an Fleischbällchen in sich hineinstopft, während im Fernsehen die Nachrichten zum Tag laufen: Es geht um den Tod des letzten Orang-Utans, der Nachruf zeigt groteske Bilder, in denen das Tier als Maskottchen einer längst zerstörten Natur herumgereicht wird.

Die Malaise, in der wir uns befinden, ist damit abgesteckt, wem der begehbare Verdauungstrakt gehört, ist ebenfalls geklärt. Um die selbstzerstörerische Konsumgesellschaft, Verschwendung und Verderben kreisen auch weitere Arbeiten. Im Bregenzer Martinsturm zeigt der Vorarlberger Fotograf Gerhard Klocker das, was wir essen, in morbiden Stillleben, im Vorarlberg-Museum passt Paul Renners zehn Meter hoher Fressturm ins Bild: Er ist an die sogenannten Cuccagnas angelehnt, die im Neapel des 18. Jahrhunderts zur Karnevalszeit errichtet und mit Bergen von Lebensmitteln behängt wurden. Die arme Bevölkerung stürzte sich im kollektiven Rausch darauf, der Adel ergötzte sich an dem Spektakel.

Kuhstall und Supermarkt

Nur noch bis Sonntag zu sehen ist der Beitrag des Wiener Duos Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter, die sich als honey & bunny seit Jahren humorvoll mit der Kulturtechnik des Essens beschäftigen. In einem leer stehenden Ladenlokal servieren sie nicht nur opulent inszenierte Fotografien aus Kuhstall und Supermarkt, sondern auch Installationen und Performances.

Eigentlich nicht zum "großen Fressen" gehörig, aber inhaltlich nicht weit entfernt ist die Sommerausstellung im Palais Thurn und Taxis, die einem Enfant terrible der Vorarlberger Kunstszene gewidmet ist. Uwe Jäntsch hat das Haus unter dem Titel Schöner Wohnen und mit spöttischen Seitenhieben auf schönen Schein und bürgerliche Dekadenz neu eingerichtet und offeriert dazu den Traum des kleinen Mannes: Bei einem von Jäntsch ausgerufenen Jassturnier gibt es ein Auto, eine Waschmaschine und 120 Kisten Bier zu gewinnen. (Ivona Jelcic, 3.8.2023)