Downhill-Fahrerin Vali Höll beim Zielsprung in Fort William, Schottland.
Wie immer stylish und schnell unterwegs: Österreichs Downhill-Queen und WM-Titelverteidigerin Vali Höll.
EPA/ROBERT PERRY

Fort William – Vier bis fünf Minuten volle Konzentration. Die legendäre Downhill-Strecke im schottischen Fort William verlangt den Mountainbike-Stars alles ab. Am Samstag werden hier die neuen Weltmeisterinnen und Weltmeister des Bergabradelns gekürt. Mit Titelverteidigerin Vali Höll (Rockshox Trek), die sich heuer wieder in Topform präsentiert, hat Österreich eines der heißesten Eisen für diesen Bewerb im Feuer. In der Downhill-Szene gilt die 21-jährige Wahl-Innsbruckerin als aussichtsreichste Kandidatin für den Sieg. Im Qualifying am Freitag ließ Höll keine Zweifel an ihren Ambitionen aufkommen. Sie deklassierte die Konkurrenz regelrecht und verbuchte über sechs Sekunden Vorsprung auf die Zweitplatzierte Britin Tahnée Seagrave (Canyon), Dritte wurde die Französin Marine Cabirou (Scott).

Vali Höll nimmt uns mit auf einen Ritt über die WM-Strecke
Die regierende Weltmeisterin Vali Höll bei einem Traininglauf in Fort William.
GoPro Bike

Auch bei den Herren darf man aus österreichischer Sicht um den Sieg mitfiebern. Der Schladminger Andreas Kolb (Atheron Racing) zählt nach seinem ersten Weltcupsieg in Leogang im Juni dieses Jahres sowie einigen Topplatzierungen zu den realistischen Anwärtern auf einen Podestplatz, wenn nicht sogar den WM-Titel. Platz zwei in der Qualifikation hinter Serienweltmeister Loïc Bruni (FRA) lässt diese Hoffnungen noch wachsen. Der rot-weiß-rote Doppelsieg des rasenden Duos Höll/Kolb in Leogang in dieser Saison hat die heimischen Fans in Ekstase versetzt, und der Hunger nach mehr solchen Jubelbildern ist groß.

Risiko und Verletzungspech

Die Fahrerinnen und Fahrer erwartet in Schottland ein herausfordernder Kurs. Mit über vier Minuten Fahrtzeit gilt Fort William als eine der kräftezehrendsten Strecken im Downhill-Zirkus. Die berüchtigten technischen Passagen wurden anlässlich der WM zwar etwas entschärft, allerdings rechnen die Athletinnen und Athleten damit, dass sich die Strecke im Zuge des Trainings und der Qualifikation sowie dank des nassen Wetters in Bälde wieder als das Biest präsentiert, als das man sie kennt. Canyon-Fahrer Dante Silva (USA) hat im Training bereits unsanfte Bekanntschaft mit der Strecke gemacht. Sein massiver OTB-Crash, bei dem er nach einem Fahrfehler über den Lenker geschleudert worden war (over the bars), blieb aber zum Glück ohne gröbere Folgen, er konnte im Qualifying starten.

Verletzungsbedingt wird die diesjährige Downhill-Weltmeisterschaft aber ohne einige ganz große Namen auskommen müssen. Vom Commencal-Rennstall fehlen mit Myriam Nicole bei den Damen und dem Titelverteidiger Amaury Pierron bei den Herren zwei der spektakulärsten französischen Racer. Auch der kanadische Youngster Jackson Goldstone (Santa Cruz) lässt die WM verletzungsbedingt aus. Er will sich ganz auf den Weltcup konzentrieren, wo er derzeit die Gesamtwertung anführt. Bitter aus heimischer Sicht: Der Vizeweltmeister von Leogang 2020, David Trummer (MS Mondraker), hat noch mit den Folgen seiner Bandscheiben-OP zu kämpfen und ist in Schottland leider noch nicht am Start.

Rachel Atherton mit dabei

Pech hatte unglücklicherweise auch die Mitfavoritin und GOAT (Greatest of All Time) Rachel Atherton. Die Britin und Teamkollegin respektive -chefin von Kolb, die heuer nach Babypause ein fulminantes Comeback feierte, hat sich bei einem Trainingslauf nach missglückter Landung die ohnehin schon lädierte Schulter ausgerenkt. Mithilfe ihrer Konkurrentin Nina Hoffmann (GER, Santa Cruz) konnte die Schulter zwar noch an der Strecke wieder eingerenkt werden, doch Athertons Start am Samstag war kurzfristig unsicher. Beim Qualifying am Freitag war sie allerdings im Starthaus und sicherte sich zumindest die Option, beim Rennen dabei zu sein. Ihr Bruder Gee ist jedenfalls optimistisch und rechnet mit einem Antreten seiner Schwester.

Die erwähnte Helferin Hoffmann hat erst unlängst bei den British DH-Series in Fort William aufgezeigt und dort den Sieg geholt. Doch ein lädiertes Knie macht ihr heuer schon die ganze Saison lang zu schaffen. Im Qualifying reichte es nur für Rang 28, aber womöglich schonte sie sich nur fürs Rennen. Man darf gespannt sein. Auch Hoffmanns Teamkollegen vom Santa Cruz Syndicate, Laurie Greenland (GBR) und Greg Minaar (RSA), wollen am Samstag bei der Entscheidung mitreden. Greenland kennt und liebt Fort William, bei den British DH-Series fuhr er hier vor wenigen Wochen mit neuem Streckenrekord zum Sieg, beim Qualifying am Freitag dürfte er im unteren Teil Probleme gehabt haben und landete nur auf Rang 66. Minaar gewann vor genau 20 Jahren (!!!) in der Schweiz seinen ersten WM-Titel und ist immer noch zum Favoritenkreis zu zählen. Mit Platz acht in der Quali zeigte der Routinier erneut, dass mit ihm immer zu rechnen ist. Als unumstrittenem GOAT werden ihm – nebst Ösi-Racer Andi Kolb – alle Tretlager-Daumen gedrückt.

Viele fahren um Medaillen mit

Die Liste der spannenden Fahrerinnen und Fahrer ist heuer lang wie selten zuvor. Bei den Damen ist die Schweizerin Camille Balanche (Dorval AM / Commencal) immer für einen Sieg gut, auch wenn sie heuer im Weltcup noch etwas hinter ihren Vorjahresleistungen zurückblieb. Im Qualifying gelang ihr ein 14. Platz. Die Italienerinnen Gloria Scarsi (4. Platz, Canyon) und Veronika Widmann (5. Platz, Continental Nukeproof) präsentieren sich zur WM ebenfalls gut in Form und werden am Samstag bei den Podestplätzen mitreden wollen. Als mögliche Überraschung wird die junge Britin Hattie Harnden (Trek) gehandelt. Sie schaffte den 6. Platz in der Quali und bringt als Enduristin sowie XC-Fahrerin die nötige Ausdauer für den langen schottischen Track mit.

Der fünffache Weltmeister Bruni hat mit seinem Quali-Sieg gezeigt, dass der Weg zum Regenbogentrikot – der Sieger und die Siegerin des WM-Laufes dürfen jeweils ein Jahr lang im Weltmeisterschaftstrikot mit den Regenbogenstreifen an den Start gehen – über ihn führt. Wobei Kolb nur knapp hinter ihm landete und am Samstag sicher voll auf Angriff fährt. Das Selbstvertrauen des Österreichers ist nach den letzten Weltcuperfolgen enorm, und man darf gespannt sein, was am Samstag möglich ist. Der Kanadier Finn Iles, Teamkollege von Bruni auf Specialized, zählt ebenfalls zu den Topfavoriten, ist aber seit 2019 in Fort William kein Rennen mehr gefahren. Im Qualifying landete er nur auf dem 79. Platz, was auf gröbere Probleme hindeutet. Als "Protected Rider", dank seiner Weltcupplatzierung, sollte einem Rennstart aber nichts im Wege stehen. Der US-Amerikaner Luca Shaw ließ einmal mehr im Qualifying mit Platz fünf aufhorchen. Spannend wird, ob der Canyon-Fahrer diese Leistung auch im Rennen abrufen kann.

Briten zu Hause eine Macht

Aus britischer Sicht besonders interessant ist Bernhard Kerr. Nach der kurzfristigen, wetterbedingten Absage der Red Bull Hardline Ende Juli ist der Pivot-Teamchef heiß auf die WM. Mit dem dritten Platz im Qualifying am Freitag unterstrich er seine Ambitionen. Kerr fährt wie immer stylish auf einem Pivot-Hobel im knallgelben Ferrari-Design, sogar die Fox-40-Gabel ist bei ihm gelb statt orange. Im Downhill ist es Tradition, dass viele Fahrerinnen und Fahrer für die WM Räder und Helme im speziellen Design fahren. Für Großbritannien sind an diesem Wochenende zudem mit Charlie Hatton (Atherton, Quali-Platz sechs), Danny Hart (Cube, Quali-Platz neun), Matt Walker (Madison-Saracen, Quali-Platz 13) und Greg Williamson (Madison-Saracen, Quali-Platz 17) weitere potenzielle Podestanwärter am Start. Jungstar Jordan Williams, der als Teamkollege von Bruni und Illes heuer sein erstes Weltcuprennen gleich gewonnen hat, landete auf dem 22. Quali-Platz.

Und natürlich wird der Sieg bei den Herren zwangsläufig über die Baguettefraktion führen. Frankreich geht zwar, wie erwähnt, ohne Titelverteidiger Pierron an den Start, der wehmütig die Übertragung verfolgt und noch immer an seinen gebrochenen Wirbeln laboriert. Doch mit Super-Bruni haben die Frenchies ohnehin den Mann mit den meisten WM-Erfolgen im Team. Zudem werden Thibaut Daprela (Commencal, Quali-Platz vier), der stets durch seinen unerschrockenen Fahrstil begeistert, Dylan Levesque (Scott, Quali-Platz elf) und Benoît Coulanges (Dorval-Commencal, Quali-Platz zwölf) bei den Medaillenentscheidungen mitreden. Nicht abzuschreiben, trotz Quali-Platz 14, ist auch Loris Vergiers, der für Frankreich am Trek-Bike an den Start geht. (Steffen Kanduth, 4.8.2023)