Donald Trump
Donald Trump.
Collage. STANDARD, Fotos: AP/Brandon, Getty

Es war bereits das dritte Mal in diesem Jahr, dass Donald Trump am Donnerstag vor einem Strafrichter erscheinen musste und eine Anklage verlesen bekommen hat – diesmal in der Hauptstadt Washington wegen der versuchten Manipulation der Präsidentschaftswahl 2020. Und jedes Mal geistert eine Frage durch die internationalen Medien: Könnte Trump auch aus einer Gefängniszelle heraus Wahlkampf betreiben und erneut zum Präsidenten gewählt werden?

Wahlkampf aus dem Gefängnis

Die kurze Antwort lautet: Ja, er kann. Wer im Gefängnis sitzt, darf zwar in den meisten Bundesstaaten nicht wählen. Aber kein Passus in der US-Verfassung spricht gegen eine Kandidatur.

Es gibt dafür sogar ein historisches Vorbild: Der Sozialist Eugene Debs erhielt bei der Präsidentschaftswahl 1920 rund eine Million Wählerstimmen, während er wegen seines Aufrufs zur Wehrdienstverweigerung im Ersten Weltkrieg im Gefängnis saß. Eine Anklage wegen Aufruhr würde eine Kandidatur ausschließen. Aber darauf hat Sonderermittler Jack Smith auch im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol verzichtet.

Die Mühlen mahlen langsam

Allerdings ist die Frage müßig: Für eine Haftstrafe müssen zwölf Geschworene einstimmig auf schuldig entscheiden – und das in einer Bevölkerung, in der rund ein Drittel Trump die unbedingte Treue hält. Und wer weiß, wie langsam die Mühlen der US-Justiz mahlen, der wird nicht erwarten, dass einer der Strafprozesse vor dem Wahltag am 5. November 2024 in ein rechtskräftiges Urteil münden wird.

Der Prozess um seinen Umgang mit Geheimdokumenten wird laut Entscheidung der zuständigen Richterin in Florida erst im Mai 2024 beginnen, und selbst dieser Termin könnte sich weiter hinauszögern. Der Zeitplan für die anderen Verfahren ist noch offen. Die einst von Barack Obama ernannte Richterin Tanya Chutkan, der per Los das aktuelle Verfahren zugeteilt wurde, könnte zwar versuchen, dem Wunsch des Anklägers nach einem frühen Prozessstart nachzukommen. Aber Trumps Anwälte würden dann versuchen, das Verfahren mit unzähligen Eingaben zu verschleppen.

"Trump selbst dürfte das egal sein: Er wurde auch von Impeachment-Verfahren weder eingeschüchtert noch abgeschreckt." Publizist David Frum

Die vielen Gerichtstermine in drei oder vier Bundesstaaten würden Trump im Wahlkampf sicherlich behindern. Aber unmöglich wäre ein Wahlsieg auch unter diesen Umständen nicht. Die Nominierung durch die Republikaner ist ihm laut derzeitigen Umfragen fast sicher, und Amtsinhaber Joe Biden schneidet in Umfragen nur wenig besser ab als Trump.

Daher lautet die wichtigere Frage: Was geschieht, wenn Trump die Wahl gewinnt und im Jänner 2025 wieder als Präsident vereidigt wird? Könnte er dann alle Verfahren stoppen oder gar eine bereits gefällte Verurteilung rückgängig machen?

Im Trump-Lager werden solche Pläne bereits gewälzt. Dies sei der eigentliche Grund für seine Kandidatur, behauptet etwa William Hurd, einer seiner aussichtslosesten Rivalen um die republikanische Nominierung.

Drohende Verfassungskrise

Aber ob das gelingt, kann derzeit niemand sagen. Die Vereinigten Staaten würden dabei juristisches Neuland betreten – und voraussichtlich in eine Verfassungskrise stürzen, wie sie es seit dem amerikanischen Bürgerkrieg vor 160 Jahren nicht erlebt haben.

Für Trump gäbe es dann grundsätzlich zwei Wege, um sich seiner rechtlichen Probleme zu entledigen: Er kann dem Justizministerium anordnen, die Anklagen zurückzuziehen, oder er kann von seinem verfassungsmäßigen Amnestierecht auf eine ungewöhnliche Weise Gebrauch machen und sich selbst begnadigen. Beide Pfade sind mit rechtlichen und politischen Stolpersteinen gepflastert.

Das Recht auf Selbstbegnadigung hat Trump schon in seiner ersten Amtszeit für sich beansprucht und wird das bei einer neuerlichen Wahl sicher wieder tun. Darüber entscheiden müsste der Oberste Gerichtshof, der zwar von rechten Juristen dominiert wird, aber vor so einer solchen Travestie des Rechts vielleicht doch zurückschrecken könnte.

Vom Weißen Haus ins Gefängnis

Allerdings dürfte selbst ein Schuldspruch gegen einen amtierenden Präsidenten laut einer Gerichtsentscheidung während der Präsidentschaft von Richard Nixon vor 50 Jahren nicht schlagend werden. Am Ende seiner zweiten Amtszeit – eine neuerliche Wiederwahl ist nicht möglich – müsste Trump dann sofort ins Gefängnis übersiedeln, was er wohl gerne abwenden würde.

Ein gefinkelter Ausweg wäre, dass Trump nach einem Schuldspruch kurz ins Gefängnis geht, die Amtsgeschäfte an seinen Vizepräsidenten bzw. Vizepräsidentin übertragen werden und diese Person dann die Begnadigung ausspricht – so wie Gerald Ford es 1974 für Nixon tat. Befreit von allen Vorstrafen könnte Trump dann ins Weiße Haus zurückkehren. Doch auch ein solches Manöver müsste wohl erst der Supreme Court absegnen.

Wenn es nach Trump ginge, würde das Weiße Haus bald wieder sein zu Hause sein.
IMAGO/Nathan Howard

Wie einst Richard Nixon

Sind die Verfahren noch im Laufen, dann kann Trump seinem Justizminister anordnen, zumindest die beiden Bundesanklagen fallenzulassen. Doch Sonderermittler Jack Smith ist nicht an Weisungen von oben gebunden. Der Justizminister müsste ihn feuern, was wohl ähnliche Empörung auslösen würde wie das berühmte "Samstagabend-Massaker" vom 20. Oktober 1973, bei dem Nixon an einem Tag zwei Justizminister verlor, bis er endlich den Watergate-Sonderermittler Archibald Cox loswurde. Es war der Anfang vom Ende seiner Präsidentschaft.

Auch Trump könnte eine Welle von Rücktritten auslösen, wenn er von seinen Beamten verlangt, dass sie gegen ihren Amtseid und die Verfassung handeln. Rund um den Kapitol-Sturm am 6. Jänner 2021 haben zahlreiche Getreue ihm die Gefolgschaft aufgekündigt.

Ein weiteres Problem für Trump: Die erste Anklage gegen ihn wurde im April vom Staatsanwalt im Bundesstaat New York eingebracht, und dort gilt weder sein Begnadigungsrecht, noch kann der Präsident das Verfahren stoppen. Das könnte nur die Gouverneurin Kathy Hochul, eine Demokratin.

Schwerwiegendes Vergehen

Dieses Vergehen ist nicht sehr schwerwiegend – es geht um eine Verletzung der Wahlkampffinanzierungsgesetze im Zusammenhang mit dem Schweigegeld an die Pornodarstellerin Stormy Daniels, was ihm wohl keine Haftstrafe einbringen wird. Aber im Bundesstaat Georgia droht ihm in Kürze eine gewichtigere Anklage: In einem aufgezeichneten Telefonat hat Trump im Dezember 2020 den dortigen obersten Wahlkampfleiter aufgefordert, jene 11.780 Stimmen zu finden, die notwendig waren, damit die Wahlmännerstimmen des Staates an ihn gehen.

Wird der Präsident dort verurteilt, würden seine Anwälte wohl argumentieren, dass das Strafgericht eines Bundesstaats dazu kein Recht hat – eine Rechtsmeinung, die allen föderalen Prinzipien der Verfassung widerspricht. Der Gouverneur von Georgia, Brian Kemp, ist zwar Republikaner, aber ein Erzfeind des Ex-Präsidenten.

Chance für die Republikaner

Der konservative Publizist und Trump-Gegner David Frum rechnet in diesem Fall mit einer öffentlichen Welle der Empörung, Turbulenzen im Kongress und verfassungsrechtlichem Chaos. Die gesamte Amtszeit wäre bestimmt "von der Schlacht über Trumps Plan, die Macht der Präsidentschaft zu nutzen, um sich selbst vor den Konsequenzen seiner mutmaßlichen Verbrechen zu schützen", schreibt er im Magazin Atlantic. "Trump selbst dürfte das egal sein: Er wurde auch von Impeachment-Verfahren weder eingeschüchtert noch abgeschreckt ... Aber eine zweite Amtszeit in einem Dauerkrisenmodus könnte bei den Kongresswahlen 2026 einen Erdrutschsieg der Demokraten auslösen, der selbst eine Trump-geführte Republikanische Partei aufschrecken ließe."

Das verhindern könnte die republikanische Basis, indem sie sich für einen anderen Kandidaten als Trump entscheidet. Doch dafür gibt es keinerlei Anzeichen. Seine Beliebtheit steigt mit jeder neuen Anklage, und kaum ein Parteifunktionär traut sich, gegen diesen Strom zu schwimmen. So liegt es am 80-jährigen Joe Biden, die allgemeine US-Wählerschaft zu überzeugen, dass vier weitere Jahre mit ihm besser sind als eine Präsidentschaft, die die politischen Fundamente ihrer Nation zu zerstören droht. (Eric Frey, 5.8.2023)