Fotomontage. Schild mit Strompfeil und der Aufschrift Strompreisdeckel.
Mit Billigstrom will der deutsche Wirtschaftsminister die energieintensive Automobil-, Stahl- und Chemieproduktion in Deutschland halten.
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Der Streit in der deutschen Bundesregierung über die Subventionierung von Strom für energieintensive Industrie macht Unternehmen und Interessenvertreter hörbar unrund. Denn zwar werden energieintensive Betriebe hierzulande vom Staat fürstlicher gestützt als jene beim nördlichen Nachbarn. Aber die ausgerechnet vom grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck geplante Größenordnung eines Maximalpreises von sechs Cent pro Kilowattstunde für 80 Prozent des Verbrauchs übertrifft selbst die kühnsten Pläne.

"Damit wird der innereuropäische Wettbewerb so verzerrt, dass Österreich und auch andere EU-Mitgliedsländer unter Zugzwang geraten", kritisiert Wifo-Chef Gabriel Felbermayr die Idee von Grund auf. Hinzu kommt, dass nach derzeitigem Stand nur manche Branchen subventioniert werden sollen, de facto die energieintensiven Exportkaiser. "Das verzerrt dann auch nach innen die Wirtschaftsstrukturen zugunsten großer, exportorientierter und energieintensiver Unternehmen", sagt Felbermayr zum STANDARD. Er ist damit auf Linie mit dem wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums, der Habecks Industriestrompreis ebenso ablehnt wie Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FPD.

Problem für die EU

So verständlich Habecks Ansinnen im Interesse des vormaligen Exportweltmeisters sein mag – vorgeblich soll die Abwanderung der Industrie in Weltregionen mit niedrigeren Energiepreisen verhindert und so die Wettbewerbsfähigkeit von Automobil-, Chemie- und Stahlindustrie erhalten werden –, einem hoch subventionierten Industriestrompreis wird auch die EU-Kommission nicht zustimmen können. Denn wohl will sie mit Green Deal und Transformationsfonds die Abwanderung energieintensiver Industrie hintanhalten. Ein Auseinanderbrechen des europäischen Strommarkts wird aber sicher nicht im Interesse der Wettbewerbskommission sein.

Die Kosten einer solchen Industriestromsubvention wären enorm, rechnet Wifo-Chef Felbermayr vor: Bei einem Großhandelspreis (Spotmarkt) im Juli von 7,8 Cent müsste der Staat 33 Prozent zuschießen, um auf die vom deutschen Wirtschaftsminister geplanten sechs Cent pro Industriestrom-Kilowattstunde (kWh) (netto) zu kommen. Bei einem Preis von zehn Cent pro kWh wie im Frühjahr wären gar 66,67 Prozent vom Staat zuzuzahlen. Dabei gibt Österreich bereits Milliarden aus für leistbaren Industriestrom (siehe Wissen).

Neue Milliarden für Stromhilfen?

Die Folge: In Österreich müsste die Republik Milliarden lockermachen, um mithalten zu können. Denn die Großhandelspreise sind an sich schon höher als in Deutschland, die Trennung der gemeinsamen Strompreiszone hat dieses Problem noch verschärft. Elektrische Energie ist seither im Monatsmittel um zehn bis 15 Prozent teurer als in Deutschland.

Zwar fördert Österreich die Industrie im Rahmen der EU-Krisenpakete und Energiehilfen großzügiger als die deutschen Nachbarn. Aber der auch in Deutschland überaus kontrovers diskutierte Industriestrompreis würde das Problem weiter verschärfen, damit würde sozusagen ein neues Fass aufgemacht.

Die Eckpunkte der Energiekostenhilfen für Unternehmen. Je nach Verbrauch zahlt der Staat zu den Kosten von Erdgas, Strom, Treibstoffen, Wärme und Heizöl etc.zu.
Energiekostenzuschuss für Unternehmen
Bis zu 80 Prozent oder maximal 150 Millionen Euro zahlt der Staat energieintensiven Betrieben zu.
DER STANDARD

Nur Symptombehandlung

Die auf Umwelt und Energie spezialisierte Ökonomin Karen Pittel vom Ifo-Institut hält von Habecks Stromkostenstütze nicht viel. Das sei bloß Symptombehandlung. Das Grundproblem löse man damit nicht. Es brauche eine deutliche Ausweitung der Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen, sagte Pittel im ZDF. Je größer das Angebot, desto eher geben der Erzeuger- und damit der Großhandelspreis nach.

Dem Abstand zwischen deutschem und österreichischem Großhandelspreis zu Leibe rücken könnte man, indem beispielsweise Speicherkapazitäten in Österreich ausgebaut und Windstrom von der Nordsee gespeichert wird, schlägt der Wifo-Chef vor. Als Gegenleistung müsste Österreich allerdings wieder in eine Strompreiszone mit Deutschland zurückkehren dürfen.

Es fehlt an Netzkapazitäten

Damit rührt der Wifo-Chef an einem wunden Punkt: Es fehlt in Deutschland an Übertragungskapazitäten, Stichwort Südlink, mit dem Strom aus dem Norden nach Süden kommen soll. Der Bau von Südlink stockt, denn es gab und gibt vor allem in Bayern Widerstand gegen Strommasten und -kabel. Auch in Österreich geht der Ausbau von 380-KV-Leitungen im Schneckentempo voran. Die Aufrüstung der Verteilnetze wiederum erfordert Milliardeninvestitionen.

Um Blackouts im polnischen Leitungsnetz zu verhindern, über das der Strom Richtung Süden bei Überlastung in Deutschland ausweichen musste, wurde die deutsch-österreichische Strompreiszone getrennt. Die Zeche dafür zahlen Industrie und Verbraucher in Österreich.

Problem für die Ampel und Brüssel

Für Zank in Europa und vor allem mit Brüssel ist mit der deutschen Stromhilfe gesorgt. In der Ampel-koalition in Berlin graben sich derweil die Fraktionen in ihren Positionen ein. Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang würde im Gegenzug die von der FDP geforderten Steuererleichterungen für Investitionen in Energie- und Ressourceneffizienz akzeptieren. Der Industriestrompreis gelte ja nicht bis in die Ewigkeit, sondern nur bis ausreichend erneuerbare Energie vorhanden sei. Bis dahin müsse man die Abwanderung von Produktion im Wege staatlicher Stützen für Energie verhindern.

Die deutsche Ampelkoalition will die Abwanderung ihrer Auto-, Stahl- und Chemieindustrie mit einer industriellen Strompreisbremse hintanhalten. Das bringt die Betriebe in Zuliefernationen wie Österreich in Zugzwang. (Luise Ungerboeck, 7.8.2023)