Junge Frau trainiert mit Kettlebell
Wenn man beim Training so richtig ans Limit geht, spürt man den eigenen Körper mit allen Fasern. Manche lieben dieses Gefühl – doch wenn danach jeder Muskel schmerzt, war es vielleicht doch ein bisschen zu viel.
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Beim Training, so hat man den Eindruck, gibt es zwei große Lager: Team Volle Leistung und Team Gemütlich. Nicht immer sind die Zugehörigkeiten ganz eindeutig, aber eine gewisse Tendenz gibt es. Was aber beide Seiten kennen: dass das Workout wehtut. Beziehungsweise die Folgen des Workout. Während die einen erst dann so richtig zufrieden sind, wenn sie sich wirklich spüren, hält der damit verbundene Muskelkater die anderen womöglich davon ab, überhaupt weiterzumachen. Doch sind Schmerzen nach dem Sport überhaupt gesund? Wie weh darf Training tun? Und wann ist es zu viel?

150 Minuten moderate oder 75 Minuten intensive Bewegung wöchentlich empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO für einen gesunden Lifestyle. Mehr geht natürlich immer, aber auf diese Zeit sollte man zumindest kommen. Als moderat gilt dabei eine gewisse Erhöhung des Herzschlags. Intensiv wird es dann, wenn man dabei ins Schwitzen kommt.

"Training sollte über die alltägliche Belastung hinausgehen. Man darf danach auch so erschöpft sein, dass man wirklich nicht mehr weitermachen kann. Aber das bedeutet nicht zwingend, dass man auch einen Muskelkater haben muss", sagt Hannes Woschner, Geschäftsführer des Functional-Fitness-Studios Five in Wien. Was das jeweils für einen selbst bedeutet, kommt auf das individuelle Fitnesslevel an, darauf, ob man Sporteinsteiger ist oder ob Fitnesstraining zum (fast) täglichen Lifestyle dazugehört.

Vor allem Trainingsbeginner sollten es locker angehen, damit sie nicht gleich wieder die Lust verlieren. Woschner erklärt: "Ich empfehle Einsteigern immer, zuerst die Technik sauber zu lernen und die Lebensqualität, die regelmäßige Bewegung mit sich bringt, zu entdecken. Passen diese beiden Parameter, tastet man sich an immer höhere Trainingsintensität heran." Die braucht man nämlich, weil es sonst keinen Trainingsfortschritt gibt. "Man muss nicht immer bis zum Muskelversagen trainieren. Aber man sollte schon versuchen, die eigenen Grenzen regelmäßig auszuloten. Denn nur dann passiert Muskelwachstum und damit Leistungsverbesserung."

Was "Schmerz" bringen kann

Muskelkater sei dabei nicht immer die Folge eines zu intensiven Trainings, betont Woschner: "Den kann man auch bekommen, wenn man neue Übungen ausprobiert, die andere Muskelgruppen beanspruchen oder die einen sehr weiten Bewegungsradius haben, der viele Muskelfasern miteinbezieht." Prinzipiell sei ein Muskelkater nichts Negatives, er zeige, dass Muskelfasern repariert werden und sich dadurch weiterentwickeln.

Man muss aber Muskelkater von Muskelkater unterscheiden. Ganz unwissenschaftlich beschreibt Woschner das so: "Manchmal fühlt sich ein Muskelkater gut an, er zeigt, dass man etwas gemacht hat und sich selbst spürt. Aber es gibt auch solche, wo man die Stiegen fast nicht mehr hinunterkommt. Ist das der Fall, hat man es mit Sicherheit übertrieben."

Dazu kommt die Frage, was es bedeutet, dass ein Workout "wehtut". "Schmerz ist ein sehr subjektives Gefühl, das macht es schwierig, ihn einzuordnen", weiß die Physiotherapeutin Sabine Schimscha. Prinzipiell sei echter Schmerz aber ein Alarmsignal des Körpers. "Seine Intensität zeigt durchaus an, ob ein Trainingsreiz noch vertretbar war oder ob man sich womöglich selbst schon geschadet hat."

"Wehtun" kann aber auch bedeuten, vor allem im Sprachgebrauch von Fitnessfans, dass man wirklich ans Limit gegangen ist. Dass man so viele Wiederholungen gemacht hat, dass der Muskel leergepumpt ist, man sich danach so richtig ausgepowert fühlt und akut nichts mehr tun kann. Das wäre eher eine Art von gesunder Erschöpfung, die Schimscha absolut befürwortet: "Das kurbelt den Stoffwechsel an, Endorphine werden ausgeschüttet, man fühlt sich richtig gut. Wichtig ist dann aber, dass man auch eine Erholungsphase hat, damit der Muskel den Reiz verarbeiten und wirklich wachsen kann."

Die "Lust" am Leid

Nicht wenige fordern diese Art von Anstrengung und Erschöpfung geradezu heraus. Warum das so ist, das hat Paul Bloom, Psychologe an der University of Toronto, in seinem Buch "The Sweet Spot" aus dem Jahr 2021 untersucht. Er schreibt, ein unangenehm intensives Training könne mehreren sich überschneidenden Zwecken dienen. Es fühle sich gut an, wenn man endlich damit aufhören könne. Es lenke einen vorübergehend von Sorgen ab, wenn man sich stark anstrenge. Und Bloom argumentiert, dass der Mensch kein reiner Hedonist sei, er suche auch nach Sinn. Und Sinn sei oft eng mit Leiden verbunden. Bedeutende Lebensereignisse wie etwa die Geburt eines Kindes, manche Berufe wie etwa der Lehrberuf oder der Militärdienst seien durchaus mit erheblichen Opfern und Kämpfen verbunden.

Ähnliches könne man in mehreren Bereichen beobachten. Forscher haben etwa herausgefunden, dass Menschen Ikea-Möbel, die sie selbst zusammengebaut haben, mit all dem Ärger und dem Frust, der damit einhergeht, deutlich mehr schätzen, nämlich um 63 Prozent, als die gleichen vormontierten Möbel.

Training hat aber nicht nur den Zweck, zu "leiden" und sich dadurch besser zu fühlen. Es geht dabei auch um mentale Entspannung und Ausgleich. Physiotherapeutin Schimscha weiß: "Dabei kommt alles in Fluss, Stress und Aggressionen werden abgebaut, es geht um die Bewegung an sich. Die muss dann nicht zwingend anstrengend sein, oft tut es einfach gut, im Grünen flott spazieren zu gehen oder nach einem langen Arbeitstag bei der Fahrt mit dem Rad nach Hause den Kopf freizubekommen." Im Sinne der WHO-Empfehlung könne das durchaus – je nach Fitnesslevel – als moderates Training gelten.

Auch Fitness-Experte Woschner betont, dass jede Bewegung gut ist. Es komme aber auch immer darauf an, welches Ziel man damit erreichen wolle: "Macht man zu Hause ein paar Liegestütz oder Kniebeugen und variiert diese Übungen auch noch ein bisschen, ist das großartig für ein gutes Körpergefühl. Bis zu einem gewissen Grad kann man damit auch den eigenen Trainingsstand erhalten. Aber wenn ich meine Fitness langfristig steigern will, reicht das sicher nicht." Dafür brauche es doch ein bisschen sportliches "Leid".

Dieses suchen einige wohl auch deshalb, weil sie verlernt hätten, denen eigenen Körper zu spüren, erzählt Woschner aus seiner langjährigen Trainingserfahrung: "Geht das Training an die Substanz, kommt dieses Körpergefühl wieder. Und längerfristig spürt man sich auf eine positive Art wieder." Man dürfe auch nicht die psychologische Kraft unterschätzen, "es geschafft zu haben". Das kann unglaublich motivierend sein und helfen, sich persönlich weiterzuentwickeln. Denn: "Herausforderungen, die keine echten sind, werden einen nicht wirklich weiterbringen."

Den passenden Mittelweg finden

Idealerweise findet man beim Training den Mittelweg aus körperlicher Forderung und mentaler Entspannung. Doch wie kann der aussehen? Werde das körperliche Training zum Druck oder Zwang und man entspanne dabei nicht mehr, dann stimme etwas nicht, betont Schimscha. Und sie empfiehlt, die Art des Trainings an die eigenen Voraussetzungen anzupassen: "Arbeitet jemand körperlich und muss viel Kraft aufwenden, dann sollte man in der Freizeit eher auf Ausdauerbewegung setzen statt auf isoliertes Krafttraining." Umgekehrt sollten jene, die beruflich viel in Bewegung sind, eher Muskeln aufbauen. Arbeitet man vorwiegend sitzend, geht es für viele darum, generell in Bewegung zu kommen. Und für (fast) alle gelte: Beweglichkeits- und Balancetraining können definitiv mehr Zuwendung vertragen.

Woschner warnt außerdem motivierte Hobbyathlethen davor, zu viel zu wollen: "Je mehr man trainiert, desto bessere Regeneration ist auch nötig. Das heißt, man braucht Ruhephasen, gutes Essen, mehr Schlaf. Womöglich 60 Stunden arbeiten und dann noch voll trainieren ist auf Dauer kontraproduktiv." Für ihn ist der goldene Mittelweg, die Balance zu finden zwischen Belastung und Regelmäßigkeit: "Ideal ist ein Training, dass ich ein paar Mal pro Woche gut schaffe, dabei leistungsfähiger werde und trotzdem ein entspanntes Freizeitleben habe."

Und Schimscha legt allen ans Herz: "Bewegung soll wie Zähneputzen sein, ein selbstverständlicher Bestandteil des Lebensstils." Wie die dann konkret aussieht, hängt vom eigenen aktuellen Zustand ab. Mehr ist natürlich immer gut, aber: "Nach einer Verletzung kann dreimal ein halbes Kilo Gewicht heben schon Training sein." (Pia Kruckenhauser, 8.8.2023)