Gravierte Schlösser an einem Brückengeländer
Nessa, Cornelia, Björn oder Dan – unsere Namen erzählen viel über uns.
Getty Images / Erik de Graaf

Wir suchen uns unseren Namen nicht aus, und trotzdem begleitet er uns ein Leben lang. Wir setzen ihn unter wichtige Dokumente, schreiben ihn auf alles, was uns gehört, und teilen ihn mit Menschen, die wir lieben. Spricht man ihn falsch aus oder bemüht sich nicht, ihn sich zu merken, verletzt uns das. Ein Name ist ein Wort, das stellvertretend für einen Menschen als Ganzes steht.

Die Idee, dass der Name mächtig ist, findet sich in Redewendungen, Märchen und sogar der Bibel wieder. Spricht man ihn unbedacht aus, ruft man damit vielleicht das Wesen, das ihn trägt. In Russland spricht man darum sicherheitshalber vom Honigfresser statt vom Bären. In der "Harry Potter"-Reihe folgen die Hexen und Zauberer demselben Aberglauben, wenn sie statt Voldemort "Er, dessen Name nicht genannt werden darf" sagen.

Auch in vielen Religionen wird ein Name aus Ehrfurcht gemieden. Gläubigen Jüdinnen und Juden gilt der Gottesname als unaussprechlich. Meinen sie Gott, sagen sie darum oft schlicht HaSchem – zu Deutsch: der Name. Im Islam trägt Gott hundert Namen, von denen der letzte den Menschen unbekannt ist. Und Christinnen und Christen meinen Gott als Ganzes, wenn sie im Vaterunser sagen: "Geheiligt werde dein Name."

Meist beschäftigen wir uns aber nur mit Namen, wenn die Geburt eines Babys bevorsteht. Was aktuell in Mode ist, gab die Statistik Austria am Donnerstag mit den Vornamencharts für das Jahr 2022 bekannt. Bei den Mädchen landete Emma zum zweiten Mal nach 2019 ganz oben, gefolgt vom ganz ähnlich klingenden Namen Emilia. Dahinter reihen sich, und das ist ein länger zu beobachtender Trend, kurze Namen wie Marie, Mia oder Anna ein.

Bei den Buben errang 2022 Maximilian wie schon 2011, 2017 und 2019 den ersten Platz. Hinter den ebenfalls aus dem Lateinischen stammenden Namen Felix und Paul auf dem Podest folgen wie zuletzt üblich eine ganze Reihe alttestamentarischer Namen wie Jakob, Noah oder Elias.

Aber ganz egal, wie beliebt sie bei anderen sind: Namen können uns in unserer Identität bestärken, uns daran binden, was uns wichtig ist. DER STANDARD hat mit drei Menschen gesprochen, die sich als Erwachsene selbst neue Namen gegeben haben, mit Namensvettern, die eine eigene Loge gegründet haben, und hat eine Soziologin dazu befragt, was die Wahl eines Kindernamens durch die Eltern aussagt.

Schwester Hanna: Kein Name wie Lateinvokabeln

Porträt von Schwester Hanna mit kurzem Haar, Brille und brauner Jacke
Schwester Hanna, bürgerlich Irene Neißl, ist Direktorin bei den Grazer Schulschwestern.
Foto: privat

“Mein Taufname ist Irene. In meinem Orden gibt es aber bereits eine Schwester Irene, und damit man immer weiß, von wem die Rede ist, darf es nicht zwei geben. Ich hatte mehrere Optionen, und Hanna hat mir einfach gefallen. Ich habe mir nicht wie eine ausgeklügelte Theologin überlegt, welche Bedeutung das Ganze hat. Bei mir muss immer alles kurz und bündig sein, Schnickschnack und Firlefanz habe ich nicht besonders gern. Und Hanna hat da genau ins Bild gepasst. Ich wollte nicht, dass mein Name wie eine Vokabel ist, die man auswendig lernen muss. Solche Ordensnamen gibt es ja auch.

Mit dem Namenswechsel setzt man einen bewussten Schritt für ein intensiveres Glaubensleben, für einen neuen Lebensabschnitt. Ich heiße nach der alttestamentlichen Hanna, der Mutter des Propheten Samuel. Das hat mich angesprochen, und die Namensbedeutung auch. Hanna heißt: Gott ist gnädig. Bei der Arbeit in der Schule bin ich die Hanna, die Menschen aus meinem früheren Leben sagen natürlich alle Irene zu mir.

Aber ich muss zugeben, wenn mir jemand aus meinem früheren Leben auf der Straße 'Irene' nachruft, reagiere ich nicht mehr. Die Kinder muss ich immer wieder erinnern, wenn sie 'Frau Direktor' sagen. Schwester Hanna reicht."

Christoph Schwarz trifft Christoph Schwarz

Fünf Männer in einer Reihe in der Bäckerei Schwarz
Von links nach rechts oder von rechts nach links: Christoph Schwarz, Christoph Schwarz, Christoph Schwarz, Christoph Schwarz und Christoph Schwarz in der Bäckerei Schwarz.
STANDARD / Ricarda Opis

Fünf Männer, ein Name. Im Gastgarten einer Bäckerei in Wien wird viel gelacht und Schmäh geführt, als Christoph Schwarz, Christoph Schwarz, Christoph Schwarz, Christoph Schwarz und Christoph Schwarz erzählen, wie sie einander kennengelernt haben. Angefangen hat alles damit, dass einer von ihnen vor Jahren begann, Leute zu kontaktieren, die heißen wie er selbst.

Ein Christoph aus der Runde erinnert sich, dass er die ursprüngliche E-Mail seines Namenszwillings fast nicht angeschaut hätte. Er habe die Angewohnheit, sich selbst Mails zu schicken, quasi als Erinnerungsstütze. "Eigentlich bin ich in letzter Sekunde draufgekommen, dass die E-Mail gar nicht von mir selber an mich selber ist, sondern vom Christoph." Ein anderer Christoph hat den genauen Inhalt der Nachricht von damals nicht mehr im Kopf, "aber es war auf eine gewisse Art und Weise ausreichend charmant und doch ein bisschen unglaubwürdig, dass ich dann wissen wollte, was da jetzt dahintersteckt".

Der Christoph, der alles ins Rollen brachte, wird von der Gruppe auch "Christoph Film" genannt. Jeder hat eine solche eindeutig identifizierende Bezeichnung bekommen. Am Tisch sitzen: Journalist, Pilot, Film, Musik und Politik. Bei Treffen seien diese Zusätze jedoch meist sinnlos gewesen, weil immer klar gewesen sei, wer gemeint ist, wenn jemand Christoph ruft.

Die fünf Männer kennen sogar noch mehr Namensvetter. Die Gruppe, die sich "Christoph-Schwarz-Loge" nennt, hat derzeit circa zehn Mitglieder, vor einigen Jahren ist bereits ein Film über die "Loge" entstanden. Diese ist auch immer wieder Thema am Tisch. Es fallen Sätze wie "Ich hab die Satzung jetzt nicht mit". Was jedenfalls nicht verhandelbar ist, wenn man Mitglied werden möchte: die Schreibweise des Namens. Trotzdem wird Wert auf Offenheit gelegt: "Wir sind eine irrsinnig offene Loge, das ist mir auch wichtig", sagt ein Christoph. "Es könnten theoretisch auch Frauen mitmachen. Sie müssen halt nur Christoph Schwarz heißen."

Um noch mehr Christoph Schwarz zu erreichen, wurden auch Kennenlernboxen im deutschsprachigen Raum verschickt – mit selbstgekochter Marmelade, einem Video und Visitenkarten. Doch der Ansturm auf die "Loge" blieb aus. "Ein Christoph Schwarz hat gesagt, er habe gedacht, dass das eine Druckerei ist, die zeigt: So könnte deine Visitenkarte ausschauen", erinnert sich einer der Männer. "Wir wollten halt irgendwie suggerieren, dass es uns wirklich gibt." Jemand anderer habe geschrieben, es müsse sich um eine Verwechslung handeln.

Doch wie war es nun, das Gefühl, auf die anderen Christophs zu treffen? Einer vergleicht es mit dem Treffen von Cousins und spricht von einer Nähe, "die man sich gar nicht aussuchen kann". Über die Jahre hätten sie einander wirklich gut kennengelernt. Ein anderer fand es spannend, Leute zu treffen, denen er sonst nie begegnet wäre. "Man würde sich ja normalerweise Menschen, mit denen man seine Freizeit verbringt oder die man als Freunde gewinnt, niemals nach dem Namen aussuchen", sagt er. Identitätskrisen seien jedenfalls ausgeblieben, heißt es im Gastgarten: "Dieses 'Wer ist weiter oben im Google-Ranking?', 'Wer ist fescher, kleiner, größer?' Weil es dann irgendwie sehr bald sehr freundschaftlich war."

Ferdinand Schmalz: "Der Matthias ist ein Niemandsland"

Ferdinand Schmalz in Anzug und Hut vor einer Attraktion im Wiener Prater
Ferdinand Schmalz, bürgerlich Matthias Schweiger, ist Schriftsteller und Ingeborg-Bachmann-Preisträger.
Apollonia T. Bitzan

"Ich wollte immer schon markieren, dass das etwas Künstliches ist, so eine Autorenexistenz. Und wenn das Ganze schon ein Kunstprojekt ist, warum nicht sich selbst zur ersten Figur machen?

Ein Freund hat einmal eine Karikatur von mir als Walross gezeichnet und 'Schmalz' darunter geschrieben. Sie ist lange bei uns in der Küche gehangen, und irgendwann ist es ein Spitzname von mir geworden. 'Der Schmoiz' habens zu mir gesagt. Später habe ich dann den Ferdinand dazu erfunden.

Damals hatte ich ein Kunstkollektiv mit Freunden, und wir haben einen Stand als 'Schwarzmarkt der Identitäten' betrieben. Dort haben wir alles zum schnellen Identitätswechsel angeboten: Schlecht gefälschte Ausweise, Schnurrbärte zum Aufpicken, Anekdoten für ein Leben, das man nie geführt hat. Und auch eine Kiste mit Zugangsdaten für Facebook-Accounts, die wir hochgezüchtet hatten.

Damals habe ich das mit dem Ferdinand noch nicht ganz ernst genommen und ihn auch in die Kiste gegeben. Er ist aber nicht gekauft worden, und dann bin ich darauf sitzen geblieben. Da habe ich mir gedacht: Jetzt habe ich schon 600 Facebook-Freunde, da kann ich auch Autor werden damit.

Ich exerziere das ja nicht so krass durch, wie manche andere das machen. Aber ich merke schon, dass es guttut, ein bisschen Abstand zu diesem öffentlichen Alter Ego zu haben. Jetzt bekommen es auch meine Kinder langsam mit. Letztens bin ich außer Haus gegangen, und mein Sohn ist mir nachgelaufen und hat gesagt: 'Papa, Papa! Du musst den Hut mitnehmen, sonst bist du nicht Ferdinand Schmalz!'

Im Freundeskreis bin ich der Hias, im künstlerischen Bereich der Ferdinand. Matthias, das sagen oft so Leute aus der Kunstszene, die mir besonders nah sein wollen. Das verwendet aber sonst wirklich niemand. Der Matthias ist das Niemandsland."

Wie Eltern Namen für ihre Kinder wählen

Ein Porträt von Ulrike Zartler im blauen Blazer
Ulrike Zartler lehrt an der Uni Wien.
citronenrot

Ulrike Zartler ist Professorin für Familiensoziologie an der Universität Wien. Sie nennt die Vergabe des Vornamens "ein ganz wichtiges Ritual für die Eltern, die dazu sehr viel überlegen, weil ja ein Name sehr bedeutsam ist. Er steht für Identität und macht einen Menschen überhaupt erst erkennbar und unterscheidbar von anderen." Gleichzeitig sei es auch eine große Verantwortung, einen Namen für jemand anderen zu wählen.

Wie die Entscheidung für einen Namen schließlich ausfällt, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. "Eltern wählen zum Beispiel gerne wohlklingende Namen für ihre Kinder", sagt Zartler. Für Mädchen seien Zweisilber, die mit dem Buchstaben "L" beginnen und mit "A" enden, sehr beliebt, etwa Laura, Lisa oder Lena.

Über einen längeren Zeitraum betrachtet, lassen sich bei Vornamen im deutschsprachigen Raum auch Modewellen feststellen, wie Zartler erklärt: "Es gibt Namen, die haben irgendwann Hochkonjunktur, dann ebbt das wieder ab, und sie erscheinen fast schon altmodisch. Erst später kommen diese Namen dann wieder. Die Faustregel ist so ungefähr nach 100 Jahren."

Die Familiensoziologin beobachtet auch schichtspezifische Faktoren: "Am Beginn des 20. Jahrhunderts sind noch die Hälfte der Namen von allen Bildungsschichten benutzt worden, heute ist das nur mehr ein Viertel." Auch die Vielfalt der vergebenen Namen habe sich etwa auch durch die Globalisierung erhöht.

Wie wir heißen, hat auch unmittelbare Auswirkungen auf den Lebensalltag, und das schon in jungem Alter: "Eine Sophie wird in der Schule besser beurteilt als eine Jacqueline", sagt Zartler. Wird eine Bewerbungsmappe abgegeben, sind auch hier die Erfolgschancen anders, je nachdem, welcher Name darauf steht, wie aus den Schilderungen der Familiensoziologin hervorgeht. "Und wir sehen Diskriminierung auf Basis des Vornamens auch bei der Wohnungsvergabe. Also in vielen sehr wichtigen Lebensbereichen."

Mo Blau: Einfach nur Mo

Eine Person mit grünem Shirt und rosa Hut
Mo Blau leitet das Transgenderreferat der Hosi Wien.
privat

"Ich habe mir schon als Kind immer selbst ausgedachte Namen gegeben: Spitznamen, Kunstnamen oder Versionen von meinem Namen, die ein bisschen neutraler waren. Aber damals war das Wissen über Geschlechtsidentität limitiert. Ich hätte nie darüber nachgedacht, dass meine Abneigung gegenüber meinem Geburtsnamen vielleicht damit zu tun hat, dass ich mich damit nicht identifizieren kann. Später habe ich realisiert, dass ich nichtbinär bin, also mich weder als Mann noch als Frau fühle.

Rein ästhetisch mag ich den Namen, der noch im Pass steht. Den hat mir meine Mutter gegeben, zu der ich ein gutes Verhältnis habe, und ich wollte sie nicht vor den Kopf stoßen. Erst als ich hier zur Hosi Wien gekommen bin, habe ich mir gedacht: Okay, wenn die es hier nicht hinbekommen, wer sonst soll es schaffen? Da habe ich mich entschieden, den Namen Mo zu führen.

Ich hatte ein bisschen Angst, dass ich mich etwa auf der Arbeit direkt outen muss, wenn mein Name zu eindeutig nicht mit dem übereinstimmt, was die Leute wahrnehmen. Also habe ich Mo gewählt, weil das als Spitzname falsch verstanden werden kann. Viele denken dann an Moritz, und ich habe arabische Verwandte, die denken, das steht für Mohammed. Ich sage dann aus Spaß immer: Nein, das steht für Monika.

Für mich ist mein Name mein Name, und es ist egal, ob der auch im Pass steht. Wenn ich aber bei Behörden oder Ärzten bin, habe ich manchmal das Gefühl, ich habe eine zweite Identität. Dann lese ich den Namen und denke mir: Wer ist diese Person?

Ich habe einen deutschen Pass. Wenn sich die Rechtslage dort ändert, würde ich meinen Namen vielleicht ändern. Falls man dazu Namen braucht, die eindeutig männlich oder weiblich sind, würde ich gerne Salome als Zweitnamen nehmen. So hieß meine Uroma, die meine Mutter aufgezogen hat. Ich möchte sie ehren, und der Name ist auch schön.

Dadurch, dass ich oft eher als maskulin gelesen werde, wäre es eine kleine Irritation und die Leute würden vielleicht nachfragen. Das bietet eine Möglichkeit, etwas dazu zu sagen. Aber wenn ich keine Lust habe oder mich nicht sicher fühle, bin ich Mo." (Ricarda Opis und Christina Rebhahn-Roither, Sebastian Kienzl und Michael Matzenberger, 10.8.2023)