Das ZiB 2-Interview Armin Wolfs mit dem SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Andreas Schieder, war nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Dauerkampagne der politischen Rivalen gegen den SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler vor den Europawahlen im Juni 2024. Wenn Schieder sich auch mit großer politischer Routine um die europäische Glaubwürdigkeit der Sozialdemokraten und um die Entlastung seines Parteichefs bemühte, sind die Aussagen Bablers aus dem Jahr 2020 (!) so bizarr und so absurd, dass sie nicht ad acta gelegt werden können: Die EU sei "ein neoliberalistisches Konstrukt in der übelsten Art", "das aggressivste militärische Bündnis, das es je gegeben hat", "schlimmer als die Nato".

Der SPÖ hängen noch Andreas Bablers Aussagen zur EU aus dem Jahr 2020 nach.
IMAGO/Political-Moments

Bablers Differenzierungsversuche über "semantische Spitzfindigkeiten" hinsichtlich seiner "überzogenen Formulierung" reichen nicht aus. Er sollte sich zu dem von neun früheren sozialdemokratischen Spitzendiplomaten entworfenen und vernünftigen außenpolitischen Papier zur Europa- und Neutralitätspolitik und zur "maximalen Unterstützung der Ukraine" nicht nur "privat", sondern öffentlich bekennen. Bezüglich der Ukraine war seine Vorgängerin an der Parteispitze halbherzig und sein Vorvorgänger sogar ein "Putin-Versteher". Auch seine voreilige Absage an der Möglichkeit einer Koalition mit der ÖVP und die Bedingung der Mitgliederbefragung vor einer Regierungskoalition waren unklug ebenso wie der auch vom Bundespräsidenten zu Recht kritisierte Slogan "unsere Leut‘".

Überhaupt ähnelt die SPÖ nach wie vor eher einem Intrigantenstadel als einer solidarischen Gesinnungsgemeinschaft. Es vergeht kaum eine Woche ohne Querschüsse gegen Babler von Spitzengenossen aus Innsbruck und Linz. Im Gegensatz zur FPÖ und ÖVP ist die SPÖ politisch auf Urlaub und produziert nur Nachrichten über die eigene Schlangengrube.

Absturz

Der miserable Zustand der ältesten politischen Partei Österreichs ist deshalb brandgefährlich, weil die ÖVP durch ihre Politik der Anbiederung auch auf Bundesebene eine Koalition mit der FPÖ vorbereitet und den Grünen in der Regierung ein Absturz bei den Wahlen droht.

Das von der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner lancierte und von Karl Nehammer gierig aufgegriffene Wörtchen "normal" wurde das Schlagwort für eine von ihm deklarierte Definitionshoheit, die Cathrin Kahlweit, die angesehene Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, "baren Unsinn" nennt, verbreitet von dem vom Vormarsch der Rechtspopulisten in "Panik" geratenen Bundeskanzler. Ich fürchte allerdings, dass ihre Warnung ohne Echo verhallen wird: "Aber indem seine Partei immer wieder die FPÖ kopiert, macht die ÖVP diese nur noch größer, als sie schon ist."

Der selbsternannte "Volkskanzler" Herbert Kickl, vor vier Jahren von Bundeskanzler Sebastian Kurz aus dem Amt des Innenministers geworfen, kann laut allen Umfragen ruhig auf seine Stunde warten. Das Gerede über die Ausgrenzung der "Kickl-FPÖ" ist lächerlich. Kickl ist die FPÖ.

Solange die Sozialdemokraten sich nicht erfangen können und solange die ÖVP ihren verhängnisvollen Kurs fortsetzt, kann nur der Bundespräsident die friedliche Machtergreifung durch die Freiheitlichen nach einem Wahlsieg verhindern. (Paul Lendvai, 8.8.2023)

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