Im Gastblog berichten Valentina Laaha, Daniel Brandner, Roman Scholz, Kerstin P. Hofmann und Kerstin Kowarik aus ihrer Forschung und erklären, wie sie Schlüsse auf menschliches Verhalten vor tausenden Jahren ziehen können.

Im interdisziplinären Projekt "Alpine Interdependenzen" erkunden Forscherinnen und Forscher unter der Leitung des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Römisch-Germanischen Kommission (RGK) des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) die Anfänge der Hochweidenutzung auf dem Dachsteinplateau und die Auswirkungen des Klimawandels auf prähistorische alpine Gemeinschaften.

Seen, Moore und Weidelandschaften

Die interdisziplinären Forschungen an Sedimentarchiven (Seen, Moore) und archäologischen Fundplätzen zielen auf folgende Fragen ab: Wann begann die Hochweidenutzung? Welchen Einfluss hatte diese auf die Herausbildung der uns heute bekannten Landschaft? Veränderte sich die Nutzung zum Beispiel im Zuge von Klimaschwankungen und geologischen Extremereignissen oder Migrationen und Kulturwandel?

Diese Forschungen knüpfen an die langjährigen Arbeiten des Vereins Anisa an, die die bronzezeitliche Fundlandschaft des Dachsteins erst sichtbar gemacht haben. Sie stehen dabei in enger Beziehung zu den Forschungen im Umfeld der Salzbergwerke von Hallstatt durch das Naturhistorische Museum Wien und der RGK. Auch stellen sie eine wichtige Ergänzung zu den umwelthistorischen Forschungen im Hipercorig-Hallstatt-History-Projekt dar.

Die Grafenbergalm

Die auf 1.600 Meter Seehöhe gelegene und bis heute bewirtschaftete Grafenbergalm liefert perfekte Ausgangsbedingungen für die Forschungen. Dort finden sich wichtige Umweltarchive wie Seen und Moore ebenso wie Spuren bronzezeitlicher und römischer Hüttenplätze.

Blick über das Untersuchungsgebiet der Grafenbergalm.
Blick über das Untersuchungsgebiet der Grafenbergalm.
Foto: RGK/R. Scholz

Bereits 2021 wurden die Bodensedimente des Grafenbergsees beprobt, um die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt zu rekonstruieren. Aktuell befinden sich die Bohrkerne zur geowissenschaftlichen Auswertung am Institut für Geologie der Universität Innsbruck.

Messgeräte und Bohrer statt Kühe

Diesen Juni ging es für das Forschungsteam vollgepackt für zwei Wochen auf die Grafenbergalm. Mit Hilfe von geophysikalischen Messmethoden wurden potentielle bronzezeitliche und römische Hüttenplätze untersucht und Proben des lokalen Almbodens für bodenökologische und bodenchemische Analysen gesammelt.

Von besonderem Interesse war ein Fundplatz im Osten der Alm, wo oberirdisch noch Fundamentreste sichtbar sind. Hier wurde durch den Verein Anisa eine bronzezeitliche Gewandnadel aus der Zeit um 1300 vor Christus geborgen. Diese lässt vermuten, dass sich auf dem später weitergenutzten Areal die Reste einer bronzezeitlichen Almhütte befinden. Das Ziel ist es, die Geschichte dieser Almfläche über die Jahrtausende zu verfolgen. Dabei dient uns der Boden als archäologisches Archiv.

Die Messungen mit dem Magnetometer, das menschliche Hinterlassenschaften aufgrund feinster Änderungen im Magnetfeld der Erde anzeigt, ließen bereits im Feld erkennen, dass hier Spuren ehemaliger Koch- oder Feuerstellen vorlagen. Daher wurde eine Bohrraster angelegt, um dann systematisch mit einem sogenannten Handbohrer kleine Bohrkerne zu ziehen.

Helikopter fliegt über See
Da der Grafenbergsee nicht mit dem Auto zu erreichen ist, wird die Bohrplattform per Helikopter angeliefert.
Foto: NHMW/D. Brandner

Diese geben uns nicht nur Auskunft über den Bodenaufbau im Bereich der Fundstelle, sondern helfen uns auch durch die im Boden enthaltenen Materialien, zum Beispiel Holzkohle und frühere Bodenoberflächen (sogenannte Paläoböden), die Nutzungs- und Umweltgeschichte der letzten Jahrtausende zu rekonstruieren. Für eine genauere Analyse der menschlichen Einwirkungen auf die lokale Bodenbildung haben wir dann fast 300 Erdproben für chemische Untersuchungen genommen.

Forschende dokumentieren auf der Alm Ergebnisse 
Arbeiten auf der Grafenbergalm. Die Bohrkerne im Handbohrer werden dokumentiert und Erdproben gesammelt.
Foto: H. Reschreiter

Von nasser Erde zum Element

Die Bodenproben wurden auf der Alm in "Fundsackerl" verpackt und haben nun im Labor der RGK in Frankfurt noch einiges vor sich. Zunächst werden sie dort sorgfältig getrocknet und danach in einer Planetenkugelmühle mit Metallkugeln zu einem feinen, homogenen Pulver zermahlen. Dieses Pulver wird dann in "Sample Cups", kleine Kunststoffbecher mit einem Boden aus Spezialfolie, gefüllt. Der gesamte Arbeitsablauf wird umfangreich dokumentiert, um Beobachtungen genau festzuhalten und den Erkenntnisweg transparent zu gestalten.

Befüllung von Behältern zu Forschungszwecken
Die gemahlenen Erdproben werden in "Sample Cups" gefüllt.
Foto: Ch. Fasching

Das Probenpulver ist nun bereit für die Analyse mittels Röntgenfluoreszenz-Verfahren. Dabei werden die Proben mit Röntgenstrahlen beschossen, woraufhin die chemischen Elemente im Pulver ein spezifisches Spektrum an Strahlung abgeben. Anhand dieses Spektrums kann ermittelt werden, aus welchen Elementen die Probe besteht und wie viele dieser Elemente jeweils enthalten sind.

Forscherin gibt Proben in Röntgenfluoreszenz-Gerät 
Das Röntgenfluoreszenz-Gerät analysiert die in der Erdprobe vorhandenen Elemente.
Foto: Ch. Fasching

Ein neuer Blick in den Boden

Was macht nun aber die Archäologie mit dieser Information? Durch menschliche Aktivität sammeln sich über die Zeit verschiedene Elemente im Boden an. Einige davon werden mit Wasser und über die Zeit ausgewaschen und "bewegen" sich im Boden, andere bleiben aber in ihren Entstehungsschichten. Diese sich im Boden ansammelnden Elemente bilden über die Zeit ein Archiv, aus dem sich rekonstruieren lässt, was an diesem Standort seit der letzten Eiszeit passiert ist. Wir sprechen daher vom sogenannten Bodengedächtnis (englisch "soil memory").

Besonders spannend sind dabei Elemente wie Phosphor, Kalium oder Kalzium, deren Anreicherung oder Fehlen auf menschliche Aktivitäten zu verschiedenen Zeiten hinweisen können. Ein hoher Phosphorgehalt entsteht zum Beispiel aus Ansammlung von organischem Material, wie beispielsweise Exkrementen oder Essensresten und gibt so Hinweise auf menschliches (Ein-)Wirken.

Mithilfe von 14C-Datierungen (naturwissenschaftliches Datierungsverfahren für kohlenstoffhaltige Materialien) der zugehörigen Schichten ist es im Idealfall zudem möglich, menschliche Präsenz und Aktivitäten, wie das Weiden von Tieren oder das Kochen im Bereich der Hütte über die Zeit zu rekonstruieren. Dabei hat jeder Boden ein unterschiedlich gutes Bodengedächtnis, abhängig von Standort, Bodenentwicklung, Klima und vielem mehr. Wie gut dieses im Hochgebirge und im Fall der Grafenbergalm ist, wird sich bei den Analysen der vorbereiteten Proben zeigen.

Zwei Forschende stehen neben Borhproben
Diskussion der Seesedimente im Labor für wissenschaftliche Bohrkernanalysen an der Universität Innsbruck.
Foto: RGK/K. P. Hofmann

Durch das Raster aus Bodenproben über die Fundstelle können außerdem Aktivitätszonen in und um die Hütte sowie verschiedene Phasen der Nutzung über die Zeit genauer untersucht werden. Auffällig war bereits im Feld, dass sich Holzkohlefragmente meist direkt über dem Grundgestein befunden haben, und manchmal eine weitere Schicht Kohle weiter oben im Boden zu finden war. Dies sind erste Hinweise auf eine mehrfache Nutzung. So könnten zu verschiedenen Zeiten Feuerstellen beziehungsweise Almhütten bestanden haben oder auch Rodungen durchgeführt worden sein.

Von der Bronzezeit in die Zukunft

Das Dachsteinplateau ist, wie alle Hochgebirgsregionen, ein klimasensitiver Raum. Schon kleine klimatische Schwankungen oder menschliches Einwirken können zu großen Veränderungen in den Ökosystemen führen. Derartige Untersuchungen erlauben es, ein genaueres Bild der Mensch-Umwelt- und Mensch-Boden-Beziehung über viele solche Veränderungen hinweg zu zeichnen. Dieses Wissen über vergangene Prozesse kann uns auch heute bei Entscheidungen helfen, die sich auf die Zukunft der Almwirtschaft und die Nutzung des von der aktuellen Klimakrise stark betroffenen Hochgebirges beziehen. Archäologie ist somit eine gesellschaftliche Praxis des Umgangs mit der Vergangenheit für eine reflektierte Gegenwart und Zukunft. (Valentina Laaha, Daniel Brandner, Roman Scholz, Kerstin Hofmann, Kerstin Kowarik, 10.8.2023)