IHS-Direktor Holger Bonin und Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) während einer Pressekonferenz Thema Kalte Progression. Beide stehen hinter einen Pult.
Finanzminister Magnus Brunner und IHS-Chef Holger Bonin stellen den Progressionsbericht vor. Die Verschiebung der Steuerstufen bringt eine Steuerersparnis von 3,65 Milliarden Euro.
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Seit Jänner gibt es die kalte Progression in ihrer bisherigen Form nicht mehr. Die Steuerstufen werden jährlich mit der Inflation angepasst, womit verhindert werden soll, dass Gehaltserhöhungen von der nächsthöheren Steuerstufe aufgesogen werden. Das soll die Kaufkraft der Menschen im Umfeld der gestiegenen Inflation erhalten. "Diese schleichende Steuererhöhung haben wir beendet", sagte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) bei der Vorlage des Progressionsberichts. In Summe ist damit laut Brunner ein historischer Schritt gelungen.

Video: Die im Vorjahr beschlossene Abschaffung der Kalten Progression bringt den österreichischen Steuerzahlern im Jahr 2024 eine Ersparnis von 3,65 Mrd. Euro.
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Die finanzielle Dimension zeige, wie groß der Schritt ist. Allein im kommenden Jahr ersparen sich die Österreicher dadurch 3,65 Milliarden Euro. Zwei Drittel davon erhalten die Menschen automatisch zurück, ein Drittel wird für Härtefälle verwendet. In Zahlen ausgedrückt: 2,45 Milliarden werden über die Anhebung der Tarifgrenzen und die Erhöhung der Absetzbeträge an die Menschen zurückgegeben. Das soll vor allem jene mit geringerem Einkommen besserstellen, die von der Teuerung stärker betroffen sind. Zur Einordnung: Bis zum Jahr 2020 setzte die Steuerpflicht bei einem Einkommen von 11.000 Euro ein. Heuer liegt die Steuergrenze bei 11.693 Euro, nächstes Jahr bei 12.500 Euro. Alle Tarifgrenzen mit Ausnahme des Spitzensteuersatzes werden angepasst – die zugrunde gelegte Inflation liegt bei 9,9 Prozent.

Wer soll profitieren?

IHS-Direktor Holger Bonin lobte Brunner und die Regierung für diesen Ansatz. Passe man den Steuersatz nicht an die Inflation an, entstehe ein Art Übergewinn für den Staat, und das schaffe eine Ungleichheit. Die Abschaffung der kalten Progression gewährleiste, dass sich die Regierung nicht zulasten der Bevölkerung bereichere, so Bonin. Das sei besonders wichtig in Zeiten, in denen die Teuerung die Haushalte belaste. Die in Österreich geltenden Regeln haben zudem einen gewissen Spielraum, weil ein Drittel des Betrags flexibel eingesetzt wird. Damit erhalte der Entscheidungsträger auch eine Flexibilität, die es in wirtschaftlich schwierigen Zeiten brauche, fasste der Chef des Instituts für Höhere Studien zusammen. Kumuliert gehe es bis 2027 um die Rückgabe von 8,8 Milliarden Euro (davon angesichts sinkender Inflationserwartungen zwei Milliarden Euro im Jahr 2025, 1,7 Milliarden 2026 und 1,4 Milliarden 2027).

Wie aber soll jenes Drittel – also etwas mehr als eine Milliarde Euro – eingesetzt werden, über das die Regierung verfügen kann? Bonin hat hier zwei Vorschläge auf den Tisch gelegt: Einerseits könnte dieses Geld dafür verwendet werden, die untersten Tarifstufen zusätzlich zu entlasten. Sie sind laut dem IHS-Chef am stärksten von der Teuerung betroffen. Zudem lasse sich so ein Ausgleich schaffen zu den bisher pauschal ausgezahlten Unterstützungen, die laut Bonin für bessergestellte Haushalte nicht notwendig gewesen wären. Andererseits hält der IHS-Chef auch eine weitere Entlastung der Mittelschicht für sinnvoll. Dann bestehe für die Sozialpartner bei den im Herbst startenden Lohnverhandlungen weniger Druck für Einkommenssteigerungen, weil den Menschen durch die Steuerentlastung ohnehin mehr Geld bliebe.

Brunner fand beide Vorschläge interessant. Beide sollen nun mit dem Koalitionspartner Grüne besprochen werden. In Zeiten wie diesen mache es Sinn, die Menschen mit dem niedrigsten Einkommen zu entlasten, sagte Brunner. Andererseits zeigten sich Probleme eben auch in der Mittelschicht, so der Finanzminister. Er betonte, dass es fix eine Einigung über die Verwendung der Mittel geben werde. Würde sich die Koalition hier nicht einigen können, würde das Drittel auf alle Steuerstufen aufgeteilt werden. Bis Mitte September soll klar sein, wie die Mittel verwendet werden.

Das gewerkschaftsnahe Momentum-Institut spricht sich diesbezüglich für eine Entlastung der Einkommensschwächsten aus – wie es die Regierung auch für heuer beschlossen hatte. Die beiden unteren Steuerstufen wurden stärker angehoben. Konkret sollen mit der verfügbaren Milliarde laut Momentum die Absetzbeträge über die Inflationsrate hinaus um 17 Prozent steigen und die erste und zweite Lohn- und Einkommensteuerstufe um die volle Inflationsrate von 9,9 Prozent. Alle Steuerstufen darüber blieben unangetastet, weil davon ausschließlich Besserverdiener profitierten.

"Flexibilität im System"

Für den Progressionsbericht wurde errechnet, wie die Steuereinnahmen gewesen wären, wenn es keine Verschiebung der Tarifstufen gegeben hätte. So kam man auf die 3,65 Milliarden Euro. Bonin verglich das österreichische Modell auch mit jenem in Deutschland. Bei einem Jahreseinkommen von 32.000 Euro beträgt der Steuersatz in Österreich schon 41 Prozent (dritte Steuerstufe). In Deutschland komme der Spitzensteuersatz von 42 Prozent aber erst bei einem Einkommen ab 60.000 Euro zum Einsatz – also rund beim doppelten Einkommen. Dass in Österreich die Quote der Vollzeit arbeitenden so niedrig sei, könnte laut Bonin auch damit zu tun haben, dass die hohe Steuergrenze recht rasch erreicht werde. Hier ortet der IHS-Chef also noch "Flexibilität im System". (Bettina Pfluger, 8.8.2023)