Past Lives
Nora (Greta Lee) und Hae Sung (Teo Yoo) haben sich lang nicht gesehen.
2023 Twenty Years Rights LLC

Past LivesIn einem anderen Leben ist eines der unaufgeregteren Kinoereignisse im einem bisher bereits sehr ereignisreichen Kinojahr. Kein Aufstand der Plastikpuppen wird hier erprobt, kein fließbandähnlicher Auflauf von Stargesichtern weit und breit. Stattdessen könnten in Celine Songs Debütfilm ein Paar ehrlich bewegte Tränen kullern.

Legendäres Indie-Studio Killer Films

Songs Film ist ein Indepententfilm-Schmuckstück und wurde beim diesjährigen Sundance Film Festival zum Liebling der Kritikerinnen und Kritiker. Als Oscar-Kandidat wird er nun auch schon gehandelt. Ein verdienter Triumph für das Filmstudio Killer Films, das sich unter der Ägide der Produzentinnen Pamela Koffler und Christine Vachon seit Mitte der 1990er-Jahre für queere und weibliche Perspektiven im US-Kino einsetzt. Mit Erfolg: Unangepasste Regisseure wie Todd Haynes sind Killer Films seit Jahrzehnten treu, wegweisende Indie-Filme wie Carol (2015), Boys Don’t Cry (1999) oder Kids (1995) entstanden mithilfe des Studios. Und nun eben Past Lives, der nach Sundance auch im diesjährigen Berlinale-Wettbewerb für ein Aufatmen gesorgt hat.

Warum? Weil es ein im besten Sinne einfacher Film ist, kompromisslos persönlich und tief romantisch. Dabei knüpft er an eine ins Abseits geratene Kinotradition an: die der unmöglichen Liebe, der tragischen Romanze. Aber Song bringt auch eine sehr zeitgemäße Perspektive ein. Die unglücklich Verliebten sind nämlich nicht wegen einer Familienfehde oder etwaiger Partner oder Partnerinnen getrennt (zumindest zu Beginn nicht), sondern aufgrund von Migration.

Constantin Film Österreich

Virtuell, körperlich

Kennengelernt haben sich Nora und Hae Sung als Schulkinder in Seoul. Doch kurz bevor sie in das Alter kommen, in dem aus der unschuldigen Liebe eine Beziehung wachsen kann, emigriert Noras liberale Künstlerfamilie nach Kanada. Zwölf Jahre später lebt die ehrgeizige angehende Bühnenautorin (wie die Filmemacherin selbst) in New York und findet über Facebook heraus, dass Hae Sung sie sucht. Sie nehmen Kontakt auf, und Nora frischt in stundenlangen Skype-Telefonaten ihr Koreanisch wieder auf. Schlaflos in Seattle 2.1. Doch beide verlassen den virtuellen Raum nicht, ein Besuch auf dem jeweils anderen Kontinent will nicht klappen, und das echte Leben ist dann schlussendlich zwingender – die Skype-Sessions schleichen sich aus.

Wieder ein Jahrzehnt später treffen sich Nora und Hae Sung. Beide sind Mitte dreißig, beide hatten Beziehungen, haben geheiratet oder hatten Heiratspläne. Zufriedenheit und Frust über das jeweilige (Berufs-)Leben halten sich – wie in dem Alter üblich – die Waage. Und endlich rafft sich Hae Sung, mittlerweile ist er Ingenieur, auf, die Schriftstellerin Nora in New York zu besuchen.

Als sie sich begegnen, ist der Schock, einander nach über 20 Jahren in Erwachsenenkörpern zu erleben, groß. Liebe ist ja auch immer ein olfaktorisches und haptisches Erleben, selbst wenn es nicht ins Erotische kippt. Das Nebeneinandergehen, eine zarte Berührung beim gemeinsamen Selfie, die erste Umarmung. All das ist zwischen Nora und Hae Sung ins Tausendfache gesteigert.

Seelenverwandtschaft(en)

Dass der Film diese körperlich-angespannte Verlegenheit derart gut übersetzt, ist den fokussierten, auf Straßenszenen setzenden Filmbildern geschuldet sowie dem Spiel der beiden Hauptdarsteller Greta Lee und Teo Yoo. Doch dann drängt sich ein dritter Körper in die Seelenverwandtschaft.

Uno, due, tre. Nora, ihr Mann Arthur und Hae Sung.
2023 Twenty Years Rights LLC

Noras Mann Arthur (John Magaro) zerspringt fast vor kaum unterdrückter Verlustangst wegen des koreanischen Jugendfreunds. "Wäre das ein Roman", sagt Arthur, "dann wäre ich der nervige weiße Typ, den du loswerden müsstest, um mit der Liebe deines Lebens zusammen zu sein." Mit solchen selbstreflexiven Szenen und Gesprächen windet sich Past Lives elegant heraus aus dem klebrigen Ideal der unmöglichen Liebe, ohne es zu verleugnen. Es lebe die lebensnahe Romanze! (Valerie Dirk, 10.8.2023)