Zum Auftakt der "2+1"-Gespräche des STANDARD mit Politikerinnen und bekannten Persönlichkeiten treffen zwei aufeinander, die einander zuletzt wenig geschenkt haben: Klimaaktivistin Anja Windl von der Letzten Generation und Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm von der ÖVP debattieren über Marxismus, CO2-Ausstoß und die Frage, ob fünf Sklaven besser sind als 50.

STANDARD: Frau Windl, mögen Sie eigentlich mürbe Kipferln?

Windl: Ganz ehrlich, ich weiß nicht einmal genau, was das ist. Aber wenn es eine vegane Variante gäbe, wäre ich wohl auf jeden Fall dabei.

STANDARD: An sich ist das in Wien ein recht unumstrittenes Gebäck. Aber als Frau Plakolm anlässlich einer Ihrer Klebeaktionen Kipferln an Autofahrer im Stau verteilte – wie haben Sie das so gefunden?

Windl: Lustigerweise hat es einen Stau betroffen, der gar nicht von uns verursacht wurde. Es war einer der Pendlerstaus, die aufgrund der schieren Menge an Individualverkehr entstehen. So gesehen haben wir das mit Humor genommen.

Anja Windl und Claudia Plakolm
"Wir werden um die Störung unseres fossilen Alltags nicht herumkommen, wenn wir politischen Druck aufbauen wollen", sagt Anja Windl (links).
Regine Hendrich

STANDARD: Frau Plakolm, Sie haben sich als Vorkämpferin gegen Klimaaktivismus positioniert. Dann kam der Sommer mit Hitzewelle und Überflutungen. Die Wissenschaft ist sich einig, dass solche Wetterextreme durch den menschengemachten Klimawandel häufiger werden. Das Sommerwetter bringt Sie in die Defensive, oder?

Plakolm: Ich habe immer betont, dass mir Klimaschutz wichtig ist. Gerade in einem Sommer wie diesem mit langer Trockenperiode und danach enormen Regenfällen braucht man niemandem erklären, welche Auswirkungen der Klimawandel hat. Er ist Fakt, und jeder, der das leugnet, liegt absolut falsch. Aber ich kann mit den Methoden der Klimakleber nichts anfangen.

STANDARD: Sein Klimaziel verfehlt Österreich beim aktuellen Tempo allerdings. Kippt Ihre Partei in Wissenschaftsresistenz, sobald es um die Gefühle der Wählergruppen Autofahrer und Schnitzelesser geht?

Plakolm: Ganz im Gegenteil. Klimaschutz kann uns nur gelingen, wenn man die Menschen mitnimmt. Es muss eine Gesamtleistung sein, für die man Industrie und Wirtschaft genauso in die Pflicht nimmt. Die österreichischen Klimaziele sind strenger als die EU-Vorgaben. Die aktuelle Bundesregierung hat unglaublich viele Klimaschutzgesetze auf den Weg gebracht – vom Klimaticket über das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz bis zum Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz. Und um die Industrie zu transformieren, stellt die Bundesregierung sechs Milliarden Euro zur Verfügung.

STANDARD: Die Letzte Generation kann also eigentlich in Frühpension gehen?

Windl: Wenn man Frau Plakolm zuhört, könnte man das meinen. Die aktuellen Wifo-Zahlen sagen aber etwas anderes: Wir werden heuer eine CO2-Einsparung von um die 1,4 Prozent haben, im kommenden Jahr 0,1 Prozent. Auf diesem Weg erreichen wir niemals die Klimaneutralität 2040 und auch nicht das EU-Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu senken. Allein dafür drohen uns Strafzölle von fünf Milliarden Euro – also fast genau die Investitionssumme, die Frau Plakolm gerade genannt hat.

Plakolm: Man muss hier schon auch über den Tellerrand blicken. Viele Leute in Gesprächen sagen, die Klimakleber picken sich eigentlich im falschen Land an. Beim Thema Energiegewinnung wäre es zum Beispiel vielleicht sinnvoller, sich in China festzukleben, denn da wird alle zwei Wochen ein neues Kohlekraftwerk gebaut. Und China ist für mehr als 30 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, Österreich für 0,2.

STANDARD: Von der ÖVP kommt deshalb oft das Argument, selbst wenn Österreich sein Klimaziel erreicht, ist damit nicht viel globales Klima gerettet. Hat Sie da nicht ein Argument?

Windl: Absolut nicht. Wir schieben China einen Teil unserer eigenen Emissionen zu. Denn ein großer Part des chinesischen CO2-Ausstoßes kommt von Produkten, die wir in Europa konsumieren, die aber in China für uns hergestellt werden. Und es geht auch um einen moralischen Konflikt: Wenn mein Nachbar 50 Sklaven hielte, ich selbst aber nur fünf, würde mich das nicht von meiner Verantwortung entbinden, dass auch die fünf zu viel sind.

STANDARD: Im Mai stand eine Klebeaktion in Verdacht, einen Rettungseinsatz blockiert zu haben, bei dem ein Mann starb. Der Verdacht erhärtete sich nicht. Ihre Blockaden lösen aber unberechenbare Staus aus. Möglicherweise ist es nur eine Frage der Zeit, bis tatsächlich etwas passiert. Überlegen Sie sich andere Protestformen?

Windl: Aufgrund dieser Falschmeldungen war ich vielfach selbst mit Morddrohungen konfrontiert. Wir werden um die Störung unseres fossilen Alltags nicht herumkommen, wenn wir politischen Druck aufbauen wollen. Geschätzte 99,8 Prozent aller Staus gehen nicht auf unsere Proteste zurück.

STANDARD: Die ÖVP will härtere Strafen für Klimakleber. Was genau sollte man Ihrer Meinung nach mit der Frau Windl machen?

Plakolm: Bei wiederholter Gefährdung der öffentlichen Sicherheit muss man als Gesetzgeber strengere Durchgriffsrechte haben. Da reichen Verwaltungsstrafen wie beim Falschparken nicht. Ein konkreter Vorschlag des Innenministeriums liegt aktuell beim Koalitionspartner. Und ich würde mir wünschen, dass auch er eine klare Sprache spricht, so wie die Grünen in der deutschen Regierung es schon getan haben.

STANDARD: Frau Windl, sind Sie eigentlich auch abseits des Klimathemas ein politischer Mensch?

Windl: Ich würde sagen, ja.

STANDARD: Manche, auch in der ÖVP, sagen: Die Klimakleber sind nur an der Oberfläche grün, darunter aber mindestens Marxisten. Wollen Sie eigentlich nur Tempo 100 oder doch auch Kolchosen und die Planwirtschaft einführen?

Windl: Ich will eine sozial gerechte Umsetzung von Klimaschutz, die uns allen das Überleben ermöglicht. Die Lösungen dafür sollen demokratisch von der Bevölkerung ausgearbeitet und mitgetragen werden, wie bei den Empfehlungen des Klimarats. Aber wenn sich Superreiche für etliche hundert Tonnen CO2 aus Hedonismus ins All schießen lassen, sollte das tatsächlich verboten werden.

STANDARD: Frau Plakolm, sind die Klimakleber eigentlich normal?

Plakolm: Ich finde es in einer Demokratie legitim, dass jeder seine eigene Definition von normal hat. Für mich sind die normalen Menschen nicht die, die fahnenschwenkend auf Demos lautstark ihre Meinung kundtun; auch nicht die, die sich mit Superkleber auf die Straße picken. Für mich sind es die, die tagtäglich in der Früh aufstehen, arbeiten gehen, Steuern zahlen, für ihre Familien sorgen und sich ehrenamtlich engagieren für Zusammenhalt in der Gesellschaft.

STANDARD: Die Klimakleber sind nicht normal?

Plakolm: Es steht jedem frei, seine Definition von normal zu treffen. Für mich sind die Klimakleber definitiv nicht normal.

Windl: Wir haben viele Personen in unserer Bewegung, die eine Familie haben, tagtäglich ihrem 40-Stunden-Job nachgehen und sich dazu noch für mehr Klimaschutz engagieren.

STANDARD: Die Letzte Generation tut ja eigentlich viel von dem, was Ihre Partei super findet. Zeitig in der Früh aufstehen zum Beispiel und sich ehrenamtlich engagieren. So gesehen könnte sie ja fast schon als inoffizielle ÖVP-Jugendorganisation durchgehen, oder?

Plakolm: Da war mein Nebensatz wichtig. Beim ehrenamtlichen Engagement habe ich gesagt: sich um den Zusammenhalt in der Gesellschaft bemühen. Und das machen die Klimakleber definitiv nicht.

STANDARD: Ein bisschen Populismus zwischendurch: Frau Plakolm, wo waren Sie heuer auf Sommerurlaub, beziehungsweise wo geht’s noch hin?

Plakolm: Ich war einerseits mit Freunden beim Woodstock der Blasmusik im Innviertel, andererseits auf dem Großglockner. Es war schon länger ein Ziel von mir, einmal auf den höchsten Berg Österreichs zu klettern und auch wieder heil herunterzukommen. Bald habe ich dann noch ein paar Tage Urlaub am Bauernhof in Flachau gemeinsam mit der Familie.

STANDARD: Sie setzen Sie sich also nicht den Klimaklebern zufleiß extra in ein Flugzeug, um Ihre eigene These zu belegen, dass deren Aktionen kontraproduktiv sind?

Plakolm: Es ist eine individuelle Entscheidung. Man kann als Klimakleber auch nach Bali fliegen. Ich mache lieber Urlaub in Österreich. Da brauche ich auch nicht weit wegfahren.

STANDARD: Frau Windl, wie ist das bei Ihnen? Sind Sie eine dieser Klimaaktivistinnen, die im Jänner immer nach Bali jetten?

Windl: Dazu gehöre ich nicht. Ich bin seit über zehn Jahren nicht mehr geflogen und habe auch nicht vor, das zu Lebzeiten noch einmal zu tun.

STANDARD: Fliegen generell: a) gut?, b) böse?, c) kommt drauf an, ob ich sonst einen Acht-Zylinder-SUV fahre ...

Windl: Wir brauchen die nötigen Handlungsalternativen. Kerosin gehört EU-weit hoch besteuert. Wenn 70 Prozent der Zugreisen teurer sind, als das gleiche Ziel per Flugzeug anzusteuern, gibt man den Menschen gar keinen Spielraum.

STANDARD: Man hört ja immer, dass die Gesellschaft so polarisiert ist und wir Medien das noch befeuern. Deshalb möchte ich Sie zum Abschluss bitten, je drei Dinge zu nennen, die Sie an der jeweils anderen ganz super finden.

Plakolm: Ich finde gut, dass man mit Ihnen ruhig diskutieren kann. Das ist nicht mit jeder Ihrer Kolleginnen so selbstverständlich. Unabhängig von den Inhalten finde ich Engagement begrüßenswert – und dass es junge Leute gibt, die in der Früh aufstehen.

Windl: Die Redegewandtheit. Da merkt man natürlich, dass da schon einiges an beruflicher Erfahrung drinsteckt. Außerdem: den Einsatz und die grundsätzliche Diskussionsbereitschaft. Sie sind ja schon oft in Konfrontation mit Menschen der Letzten Generation gegangen und machen es trotzdem weiterhin. (Interview: Martin Tschiderer, 10.8.2023)