Puppe Olimpia ist ihm zu sehr ans Herz gewachsen, was natürlich emotionale Probleme macht.
Puppe Olimpia ist ihm zu sehr ans Herz gewachsen, was natürlich emotionale Probleme bereitet.
Anna Stöcher

Eine "Musik der traurigen Maschinen" hat sich der Klagenfurter Naked-Lunch-Gründer Oliver Welter zur Bühnenumsetzung von E. T. A. Hoffmanns skurrilem Nachtstück Der Sandmann einfallen lassen. Sie erdröhnt noch bis Samstagabend auf dem Villacher Rathausplatz, unter Beihilfe des Pianisten Alf Peherstorfer, des Klangexperimentators Boris Hauf und eines fünfköpfigen Vokalensembles.

Idee und Inszenierung stammen von Bernd Liepold-Mosser, der seit mehr als zehn Jahren mit Welter zusammen immer wieder erfolgreiche Produktionen im Grenzbereich zwischen Sprech- und Musiktheater geschaffen hat. Diesmal lautet der Untertitel "Musical", was auch darauf verweist, dass die Draustadt seit 2017 regelmäßig zu einem Sommermusical-Open-Air lädt. Denn um ein Musical im engeren Sinn handelt es sich nicht, eher um ein Konzert mit einer Abfolge thematisch verwandter Nummern.

Inhaltlich hält sich die Produktion eng an die berühmte literarische Vorlage, die in Jacques Offenbachs Oper Hoffmanns Erzählungen im zweiten Akt ebenso verarbeitet wurde wie im Ballett Coppelia von Léo Delibes. Im Mai 2017 wandelte Robert Wilson bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen die Literaturvorlage in das Musiktheater Der Sandmann um.

Verstand verlieren

Der Held Nathanael, frühkindlich wegen seiner Einschlafprobleme von der Mutter traumatisiert durch die der schwarzen Pädagogik entstammende Gestalt des Sandmanns ebenso wie durch alchemistische und letztlich tödliche Experimente seines Vaters, verliebt sich dank einer Brille in den Automaten Olimpia. Nicht mehr fähig, zwischen einem Lebewesen und einem technischen Gerät zu unterscheiden, verliert er den Verstand, zerstört seine freundschaftliche Beziehung zu Clara und stürzt sich in den Tod, was hier heißt, über die Bühnenrampe auf den Rathausplatz.

Gelegentlich geistern auch weiße Werwölfe durch die Gegend (Ausstattung Karla Fehlenberg). Das Gezerre um die Augen der Puppe zwischen einem Optiker und dem italienischen Physiker Spalanzani, bei dem Olimpia in die Brüche geht, wird auf der Zeltbühne halb gespielt und halb erzählt, begleitet von oft halluzinatorisch schlingernden Linienprojektionen im Hintergrund (Videos: Tomislav Gangl).

Aktualisierende Texteinschübe lassen das Thema der Technisierung der Gesellschaft anklingen – bis hin zum Herzschrittmacher des einzelnen Menschen, zu Diskussionen über künstliche Intelligenz, aber zu auch Problemen eines sexistisch reduzierten Frauenbildes. Welters klangliche Konnotationen sind äußerst eindringlich.

Starke Momente

In manchen Phasen des eineinhalbstündigen Abends scheint der Asphalt zu beben, aber die feinen lyrischen Vokallinien, die den menschlichen Stimmen freigehalten werden, erinnern dann irgendwie auch an die Frühzeit der 1991 gegründeten Klagenfurter Band, die sich nach dem surrealistischen Meisterroman von William S. Burroughs benannt hat. Da hat Oliver Welter seine bekannt starken Momente, lässt aber ebenso Jens Claßen, Michaela Kaspar, Raphael Nicholas, Lisa Schrammel und Georg Schubert jeweils zumindest für einen Song ans Mikrofon.

Alle fünf sind Mitwirkende des Wiener Theaters an der Gumpendorfer Straße, das die Produktion nächsten Jänner übernimmt. (Michael Cerha, 10.8.2023)