Festspiele Muti Bruckner Frömmigkeit
Riccardo Muti blickt in Salzburg in keine weihrauchvernebelte Ferne: Seine Lesart von Anton Bruckners siebter Sinfonie gewährt durchaus irdischen Trost.
AP/Charles Rex Arbogast

Die Welt sollte mehr (auf) Bruckner hören. Besonders in diesen Tagen von geschürter oder klimatisch begründeter Angst, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Allein das Finale des ersten Satzes von Anton Bruckners Siebter böte Sicherheit, Orientierung und die Überraschung, dass alles auch ganz anders gesehen werden könnte.

Die Bruckner nachgesagte Frömmigkeit spielt keine Rolle, wenn als Exeget Riccardo Muti am Pult der Wiener Philharmoniker steht. Da gibt es helle Schattierungen im Unbehausten, und in lieblicheren Passagen dräut das Bodenlose. Selbst die monumentalen C-Dur-Gewissheiten bleiben in der Lesart Mutis frei von naiven Heilsversprechungen. Allein, dass das Finale des vierten Satzes formal zurückgenommener daherkommt als das analog konstruierte Ende des ersten, taucht den feierlichen Triumphalismus ins Licht aufklärerischer Skepsis. Doch die Hoffnung obsiegt bei Bruckner.

Nicht bei Giuseppe Verdi. Von diesem standen mit Stabat Mater und Te Deum zwei der Quattro pezzi sacri auf dem Programm. Verdi gibt gar nicht vor, dass irgendwo irgendetwas gut werden könnte, irgendwo ein "lieber Vater" thront.

Sein Lobgesang hängt sich quasi immer wieder selber auf – im Nichts zwischen extremen Lagen. Muti zelebriert das mit Genuss. Der Lobpreis der Engel im Stile des gregorianischen Chorals war ein beiläufiges Gemurmel, das "Sanctus" ein Akt brutaler Gewalt. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor sang mit Klangmacht, bei viel Vibrato im Sopran und wenig Konsonanten – womit der Text ausfiel. Was aber fast egal war, weil Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker den Chor auf Händen trugen und jede Textpassage wie mit dem Pinsel ausgestalteten. Spannend. (Heidemarie Klabacher, 13.8.2023)