Pakistan hat einen neuen Premierminister: Anwar-ul-Haq Kakar, Senator aus der Provinz Belutschistan, wurde am Samstag zum Chef einer Übergangsregierung bestellt. Diese soll den Atomwaffenstaat mit einer Bevölkerung von 241 Millionen Menschen in Neuwahlen führen. Wann sie stattfinden, ist allerdings die große Frage.

Laut Verfassung wären sie im November fällig. Indem Präsident Arif Alvi das Parlament in Islamabad am Mittwoch jedoch wenige Tage vor Ende der Legislaturperiode auflöste, wurde etwas mehr Zeit für eine Übergangsregierung gewonnen. Sie könnte einen Monat länger als die sonst vorgesehenen 90 Tage bis zur Wahl im Amt bleiben.

Demo für Imran Khan
Die Demokratie in Pakistan muss warten Ex-Premier Imran Khan beschuldigt die USA, mit den mächtigen Militärs in Pakistan gemeinsame Sache gegen die Demokratie zu machen. Seine Anhängerschaft sieht das auch so.
AFP/ARIF ALI

Aber auch das wird nicht reichen: Denn es soll die dieses Jahr abgehaltene Volkszählung berücksichtigt werden – und ihre Umsetzung, die Neuberechnung und Neuzeichnung von hunderten Wahlbezirken könnte Monate, wahrscheinlich bis ins neue Jahr, dauern.

Das gibt der pakistanischen Armee mehr Zeit, ihre Kontrolle zu konsolidieren. Nach den Turbulenzen, die die Absetzung von Premier Imran Khan im April 2022 ausgelöst hat, soll wieder Ruhe einkehren.

Dass der bis dato amtierende Premier Shahbaz Sharif nicht die Übergangsregierung führt, entspricht dem pakistanischen Gesetz. Der neue Premier Kakar wird als rechtsreligiös beschrieben und sitzt als Unabhängiger im Senat. Er steht jedoch der Belutschistan Awamy Party nahe – und die wiederum der pakistanischen Armee. Auch dass der neue Regierungschef eine kleine Provinz repräsentiert, die noch dazu ein Separatistenproblem hat, ist Absicht. In der belutschischen Stadt Gwadar, wo China einen großen Hafen baut, wurde am Sonntag ein Anschlag auf chinesische Arbeiter verübt.

Fünf Jahre Politikverbot

Der gestürzte Imran Khan wurde Anfang August zu drei Jahren Haft wegen Korruption verurteilt und sofort danach verhaftet. Damit gelten für ihn fünf Jahre Politikverbot. Er hat gegen das Urteil berufen. Seine Anwälte beklagen auch seine besonders harten Haftbedingungen.

Nach Khans erster Festnahme im Mai – er kam später wieder auf freien Fuß – griffen seine Anhänger Einrichtungen der Armee, sogar deren Hauptquartier an. Die Armee blieb damals zwar in den Kasernen, was zu Spekulationen über eine interne Spaltung Anlass gab. Es folgte jedoch eine Welle von Repressalien, Verhaftungen und Anklagen gegen Exponenten von Khans Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI, Bewegung für Gerechtigkeit).

Dass die Regierung von Shahbaz Sharif zulässt, dass die "Unruhestifter" und "Hetzer" verfassungswidrig vor Militärgerichte gestellt werden, ist ihr endgültiger Sündenfall auch in den Augen jener, die Imran Khan nicht als Ikone der Demokratie in Pakistan idealisieren. Das Rezept hat jedenfalls gewirkt, nach dem Urteil gegen Khan blieb es verhältnismäßig ruhig.

Khan beschuldigt die USA, mit den mächtigen Militärs in Pakistan gemeinsame Sache gegen die Demokratie zu machen. Richtig ist, dass die Armee wieder einmal – so wie immer wieder in der pakistanischen Geschichte – die Zügel stärker in die Hand nimmt. Die Demokratie wird zur Fassade für eine Militärherrschaft, auch ohne Putsch.

Profiteur der militärischen Machtpolitik, die auf eine bitter zerstrittene innenpolitische Szene setzt, war aber selbstverständlich einst auch Khan selbst. In dieser Beziehung ist er ein exemplarischer Fall: Mit Unterstützung der Armee kommen Politiker nach oben; wenn sie nicht entsprechen, fallen sie.

Ungewöhnlich war, dass sich Imran Khan, der im Dezember 2022 Ziel eines Attentats war, nach seinem Sturz wehrte und seine Anhänger auch physisch mobilisierte. In internationalen Medien trat er relativ erfolgreich als Held des Anti-Establishment auf und verlangte mit gutem Grund Neuwahlen: Shahbaz Sharif – als Premier für seinen Bruder Nawaz, der eben falls bei der Armee in Ungnade gefallen ist, eingesprungen – ist unbeliebt. Tatsächlich hatte Khan auch Zuspruch in Teilen der Armee und der Justiz – aber offenbar nicht genügend. Den Machtkampf scheint er vorerst verloren zu haben. Die Führung seiner PTI ist pulverisiert.

Die "dritte Kraft"

Der ehemalige Cricketstar und Playboy und seine Partei wurden vor gut zehn Jahren vom damaligen Armeechef Qamar Javed Bajwa als "dritte Kraft" lanciert – um die zwei großen traditionellen Parteien, die Pakistan Muslim League (PML-N) und die Pakistan People’s Party (PPP), zu schwächen. 2018 gewann er die nicht ganz sauberen Wahlen.

Das Verhältnis zum Armeechef verschlechterte sich, als sich Imram Khan in die Bestellung des Chefs des Geheimdienstes ISI (Inter-Services Intelligence) einmischte. Bajwa machte Khan auch für die tiefe Finanz- und Wirtschaftskrise verantwortlich. Inzwischen gibt es einen neuen Armeechef: General Syed Asim Munir, der als Ex-ISI-Chef dem Expremier um nichts freundlicher gesinnt ist, sie trugen 2019 einen schweren Konflikt aus.

Dass Khan nach seinem unfreiwilligen Abtritt juristisch verfolgt wird, ist sozusagen ebenso klassisch: Er teilt dieses Schicksal mit seinen Vorgängern. Im konkreten Korruptionsfall geht es darum, dass er Geschenke, die er als Premier erhalten hatte, angeblich verkauft und nicht gemeldet hatte. Genannt wird etwa eine Uhr – mit Brillanten besetzt und mit der Kaaba auf dem Ziffernblatt –, die ihm der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman schenkte.

Von Saudi-Arabien sowie von den Vereinigten Arabischen Emiraten wurde Pakistan soeben eine Soforthilfe von drei Milliarden US-Dollar (2,74 Mrd. Euro) zugesprochen, weitere drei kommen vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Nicht alle pakistanischen Probleme sind hausgemacht, das Land hat auch noch die Folgen der Flutkatastrophe von 2022 zu überwinden.

Ex-Premier Imran Khan beschuldigt die USA, mit den mächtigen Militärs in Pakistan gemeinsame Sache gegen die Demokratie zu machen. Seine Anhängerschaft sieht das auch so. (ANALYSE: Gudrun Harrer, 13.8.2023)