Die Volkspartei legt einen inhaltlichen Fokus auf das Sozialsystem. Ein interner Entwurf für ein Kapitel des ÖVP-"Zukunftsplans" liegt der Austria Presse Agentur und dem STANDARD vor. Sukkus des Zweiseiters: Österreich habe ein gutes Sozialsystem, aber Leistungen müssten gekürzt werden, um die Finanzierung insgesamt zu gewährleisten.

Konkret schwebt der Partei von Kanzler Karl Nehammer vor, "vollumfängliche Sozialleistungen" erst nach einem fünfjährigen legalen Aufenthalt in Österreich auszuzahlen, davor sollen Menschen nur die Hälfte der jeweiligen Bezüge bekommen. Welche Leistungen die ÖVP konkret kürzen will, ist in dem Papier nicht festgehalten.

Karl Nehammer vor einer österreichischen und einer europäischen Flagge.
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) will Sozialleistungen kürzen.
APA/GEORG HOCHMUTH

Wenn die Kosten für das System immer weiter steigen, hätte das "einen Verlust der zurzeit sehr hohen Qualität des Sozialsystems zur Folge", heißt es in dem Papier. Und: "Wenn wir nicht handeln, müssen wir dabei zusehen, wie das Sozialsystem zum immer größer werdenden Pull-Faktor wird und immer mehr Menschen nach Österreich kommen, nicht um hier Schutz oder Arbeit zu finden, sondern um sich ein gutes Leben auf Kosten des österreichischen Steuerzahlers zu finanzieren. Damit wäre der soziale Frieden in Österreich in Gefahr." Die Kürzung der Leistungen in den ersten fünf Jahren des legalen Aufenthaltes solle "für alle gelten".

Absage vom Koalitionspartner

Die Idee ist nicht neu, sondern die verschriftlichte Variante einer Forderung, die Nehammer in seiner "Zukunftsrede" im März aufgestellt hat. Vom grünen Koalitionspartner holte sich der Kanzler damals eine prompte Abfuhr. Die Ideen für Kürzungen im Sozialbereich seien rechtlich kaum umsetzbar, sagten die Grünen.

Auch für den Sozialrechtsexperten Wolfgang Mazal lässt der Entwurf nach wie vor völlig offen, um welche Leistungskürzungen es sich hier handeln soll, wie er im STANDARD-Gespräch festhält. Würde der Sparstift beim Arbeitslosengeld angesetzt werden, "dann müsste diese Versicherungsleistung auch bei Inländern gekürzt werden", sagt Mazal, der auch als Arbeitsrechtsexperte immer wieder von der ÖVP herangezogen wird.

Kaum Spielraum bei Kürzungen

Was die Sozialhilfe anbelangt, so würde eine Kürzung bei EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern sowie bei Drittstaatsbürgern gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen, sagt Mazal. "Außer die ÖVP sagt, dass sie das Europarecht ändern will." Er wertet diesen Entwurf daher lediglich als Versuch der ÖVP, eine Debatte auf EU-Ebene anzustoßen. "Denn letztlich ist der Handlungsspielraum aufgrund europarechtlicher und menschenrechtlicher Regelungen sehr gering", sagt Mazal.

Der nochmalige sozialpolitische Kampagnenanstoß der Volkspartei reiht sich, zufällig oder nicht, zeitlich nach einer medialen Schwerpunktaktion des Innenministers ein: Gerhard Karner (ÖVP) präsentierte vergangene Woche die Ermittlungserfolge beim Betrug mit Sozialleistungen. 89 Millionen Euro Schaden hat eine darauf spezialisierte Taskforce in der Zeit ihres Bestehens festgestellt.

Und auch ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner betonte bei dieser Gelegenheit, dass es auch Solidarität mit jenen geben müsse, "die Sozialleistungen durch ihre Steuern und Beiträge finanzieren". Der "Zukunftsplan" der Volkspartei soll Ende des Jahres fertiggestellt sein. (sefe, etom, 14.8.2023)