Auf einer Straße in Südafrika steht eine Reihe an Lastwagen befüllt mit Kohle.
Die Massen an Kohle-LKWs sind in Südafrika vielen ein Dorn im Auge.
EPA/STR

Sie breiten sich wie riesige metallene Ungeziefer über das Land aus: Tausende von tonnenschweren Lastkraftwagen, die ihren Weg von Südafrikas Kohlefeldern in der Mpumalanga-Provinz zur Küste am Indischen Ozean suchen. Sie bringen unzählige Unfälle und Verkehrsstaus mit sich und lassen mit Schlaglöchern versehrte Straßen hinter sich. In den vergangenen 18 Monaten hat sich das Ärgernis zu einer Plage von biblischem Ausmaß ausgeweitet.

Ihr Ziel war zunächst die südafrikanische Hafenstadt Richards Bay, die unter dem Ansturm der kohlebeladenen Lastwagen zusammenzubrechen droht. Vor dem überlasteten Hafen bilden sich regelmäßig kilometerlange Laster-Schlangen: Die Einwohnerinnen und Einwohner des 60.000-köpfigen Touristenstädtchen sehen sich gezwungen, den 40 Tonnen schweren Eindringlingen mit vorgehaltener Waffe die Zufahrt zu verwehren. Viele Kohletransporteure weichen unterdessen in die Haupt- und Hafenstadt Maputo des Nachbarlandes Mosambik aus – mit dem Ergebnis, dass sich an der Grenzstation Komatipoort zuweilen bis zu 20 Kilometer lange Staus bilden. Bis zu 3000 Brummer suchen täglich die Grenze zu überqueren. "Eine Krise von katastrophalem Ausmaß", stöhnt selbst Südafrikas ansonsten stoischer Staatspräsident Cyril Ramaphosa.

Ausgelöst wurde das Chaos von europäischen Staaten, die seit ihrer Entwöhnung von russischem Gas wieder auf die alte, noch schädlichere Kohle umstiegen. Südafrika, der weltweit fünftgrößte Exporteur des fossilen Brennstoffs, trug zur Deckung des überraschenden Bedarfs gerne bei: Der Preis für Kohle war im vergangenen Jahr von 60 auf vorübergehend bis zu 450 US-Dollar pro Tonne gestiegen. Allein in Richards Bay wurden 2022 mehr als 14 Millionen Tonnen Kohle nach Europa verladen, 520 Prozent mehr als im Vorjahr.

Engpass auf Schiene

Würde in Südafrika alles mit rechten Dingen zugehen, könnte der Kohleboom für die Bevölkerung ein zumindest kurzfristiger Segen sein: Doch am Kap der Guten Hoffnung geht kaum noch etwas mit rechten Dingen zu. Wäre die vor 50 Jahren gebaute Eisenbahnlinie zwischen den Kohlegebieten in Mpumalanga und Richards Bay in Schuss, könnte der Kohleexport sogar noch ausgeweitet werden: Aber Kabeldiebstahl, miserable Wartung der Schienenstrecke und die Ausplünderung des staatlichen Transportunternehmens "Transnet" durch die "Comrades" des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) zwangen den Konzern in die Knie. Fast wöchentlich entgleisen Züge: Sie wieder richtig auf die Schienen zu stellen, erfordert Tage. Während des vergangenen Boomjahrs schaffte Transnet weniger als 50 Millionen Tonnen Kohle nach Richardsbay – so wenig wie seit drei Jahrzehnten nicht mehr. Obwohl das 40 Prozent teurer ist, sehen sich die Minengesellschaften gezwungen, immer mehr Kohle auf der Straße zu befördern – mit den oben beschriebenen Folgen. Dass das bald anders wird, ist angesichts der Erfahrungen mit anderen Staatskonzernen wie dem Stromerzeuger Eskom, der Fluglinie SAA, dem Mineralölunternehmen PetroSA, der Rüstungsfirma Denel und der Post zu bezweifeln. Sie alle schlittern trotz Milliarden-Injektionen an Steuergeldern am Abgrund entlang.

Klimaaktivisten könnten über die unbeabsichtigte Exportbegrenzung glücklich sein – wenn das Land nicht selbst Unmengen an Kohle verfeuern würde. Südafrika stellt rund 70 Prozent seiner Elektrizität in überwiegend archaischen Kohlekraftwerken her: Sie geben mehr Schwefeldioxid in die Luft ab, wie China und die USA zusammengenommen. In Sachen Kohlendioxid liegt das Land mit einem jährlichen Ausstoß von 400 Millionen Tonnen weltweit an 14. Stelle. Dabei reicht die Stromerzeugung nicht einmal aus: Weil es der ANC in seiner 30-jährigen Regierungszeit versäumt hat, die Produktion zu steigern, muss in Südafrika täglich für mehrere Stunden der Strom abgeschaltet werden.

Europa als Heuchler?

Gründe genug, für einen schnellen Umstieg der Elektrizitätsgewinnung von Kohle zu erneuerbaren Energien zu sorgen: Über Sonne und Wind verfügt Südafrika schließlich im Überfluss. Westliche Staaten wie die USA, die EU, Deutschland und Frankreich sagten dem Land beim Klimagipfel in Glasgow 8,4 Milliarden US-Dollar Subventionen und günstige Kredite für einen derartigen Umstieg zu: Insgesamt würde dieser in den kommenden fünf Jahren 84 Milliarden Dollar kosten, rechnete Südafrikas Präsidialamt vor.

Auf dem Weg dorthin sind außer derartigen finanziellen auch politische Hürden zu überwinden: Als prominentester Vertreter der Kohle-Lobby sperrt sich auch Minenminister Gwede Mantashe (Spitzname: King Coal) gegen einen schnellen Ausstieg aus der Stromgewinnung durch Kohle. Entgegengesetzte Bemühungen aus dem Ausland wehrt der Minister als Heuchelei ab. Wie könnte Europa andere Staaten zum Kohleausstieg drängen, wenn es dieselbe Kohle in bisher beispiellosen Mengen selber einkauft und verbrennt? (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 15.8.2023)