Chor
Dirigent Heinz Ferlesch taucht in die späte Renaissance ein.
Nini Tschavoll

Es ist eine Reise in Regionen bedeutender Musikgeschichte: Chorleiter Heinz Ferlesch wird mit Barucco und dem Chor Ad Libitum im Stift Herzogenburg, in der Stiftskirche, am 15. August Claudio Monteverdis Meisterwerk, die "Marienvesper" aufführen. Ferlesch, künstlerischer Leiter der Wiener Singakademie, führt immens viel im Konzerthaus auf. Allerdings würde er - zum Gedankenexperiment aufgefordert - eine Aufführung der "Marienvesper" ebendort nicht gänzlich anders anlegen als in einem sakralen Raum. „Die Marienvesper ist einerseits ein Werk, das über Raum und Zeit erhaben ist, und andererseits benötigt sie gerade deswegen akustische Weiten, die der Transzendenz der Komposition zu Gute kommen. Das Wiener Konzerthaus hat eine sehr gute Akustik - deswegen würde ich mein Raumkonzept gleich lassen wie in großen Kirchen."

Kleine Differenzierungen gäbe es natürlich: "Anders wäre, dass der im Vergleich zu den Kirchen eher trockene Konzertsaal die figuralen Abschnitte in der Komposition gut hörbar machen würde, die ganz langsamen und schwebenden Passagen aber vielleicht in den Kirchen besser zur Geltung kommen", erklärt Ferlesch, der, was ihn selbst anbelangt, Dirigent John Elliott Gardiner als frühen Einfluss nennt.

Fragen der Energie

"Ich war seit Beginn meines Studiums ein großer Fan von ihm - und bin es immer noch. Mich beeindruckt der Klang des Monteveri Choirs und seine für mich sehr stimmige Herangehensweise an die Interpretation. Im Bereich der romantischen Musik war es Claudio Abbado, der mich immer begeistert hat – Fabio Luisi zählt auch zu den musikalischen Persönlichkeiten, die ich sehr schätze."

In diesem Kontext entdeckt er auch so etwas wie ein Mysterium des Musizierens: "Spannend wird es dann, wenn sich das Dirigieren von den schlagtechnischen Notwendigkeiten etc. entfernt und man gar nicht so recht weiß, warum es trotzdem funktioniert – Energie kann auf verschiedenste Arten geleitet werden."

Das Vibrieren des Tones

Manche setzet das Vibrato als Element von Intensität und Energie ein, oft eigentlich zu verschwenderisch und sorglos. Da ist Ferlesch allerdings genau: "In der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts war das Vibrieren eines Tones immer eine Unterstützung, Verstärkung und ein Hervorheben des Selbigen. In anderen Worten: Es war eine Verzierung und eine Besonderheit, derer man sich dann bedient hat, wenn der Ausdruck oder die zu interpretierende Handlung diese Art zu singen bzw. spielen notwendig machte." Vibrato sei in der Welt des Originalklanges also "kein Dauerzustand oder ein Schatten, der immer und automatisch da ist, sondern eine Ausdrucksform, deren Anwendung viel Kenntnis und Erfahrung benötigt. Das gilt für die Stimme wie für das Instrument zu gleichen Maßen." Solche Erkenntnisse würde man sich auch bei manchen vokalen Stars wünschen...

Um bei ihm im Chor zu landen, braucht es wohl dieses Bewusstsein bezüglich der Ausdrucksmittel, aber auch ein bisschen mehr… „Prinzipiell ist eine große Lust am gemeinsamen Musizieren in der Welt meiner Klangkörper das Wichtigste. Zudem ist eine gewisse stimmtechnische Ausbildung notwendig, um den Anforderungen der Literatur adäquat gerecht werden zu können. Ich suche Damen und Herren, die sowohl klanglich wie menschlich gut zusammenfinden und gerne gemeinsam Zeit verbringen. Damit Interessierte wissen, worauf sie sich einlassen, kann jederzeit eine ,Probeprobe‘ vereinbart werden", erklärt der Oberösterreicher.

Viel unterwegs

Barucco und der Chor Ad Libitum sind markante Namen, was hat es damit auf sich? "Der Chor Ad Libitum feiert heuer sein 30 jähriges Jubiläum und es war von der Gründung an das Ziel, Vokalmusik so gut wie irgendwie möglich zu interpretieren und zur Aufführung zu bringen. Dieser Geist und die Gründungsidee blieb immer bestehen und so hat sich der Chor zu einem überregionalen Klangkörper entwickelt, der in den vergangenen 10 Jahren in vielen der wichtigsten Häuser und Festivals in Österreich und darüber hinaus zu Gast war. Dies wäre er "oft gemeinsam mit dem Originalklangorchester Barucco" gewesen, das sich der selben Idee im Bereich der Instrumentalmusik verschrieben habe. "Barucco zählt mittlerweile zu den führenden Barockorchestern Europas."

So gibt es einige Zukunftspläne: Der Chor Ad Libitum und Barucco werden am 24. September im Brucknerhaus im Rahmen des Brucknerfestes mit zwei Raritäten der Musikgeschichte gastieren: Händels "Caecilienode" und dessen "Alexanderfest" in der Fassung von W. A. Mozart: "Seine Bearbeitungen von Werken Händels haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Musik des englischen Meisters am Festland bewahrt und neu entdeckt wurde", so Ferlesch, der weitere Terminen nennen kann:

"Der Chor Ad Libitum hat am 2. Dezember im Valentinum St. Valentin sein Jubiläumskonzert ,An die Musik – 30 Jahre Chor Ad Libitum‘. Dann geht es weiter mit dem ,Te Deum‘ von Arvo Pärt und von Anton Bruckner, dem Paulus mit dem Sinfonieorchester Vorarlberg, der Matthäuspassion, dem neuen Programm ,Pax' mit Pro Brass und einer Johannespassion in der Sala Sinfonica in Madrid."

Das ist also einiges, jetzt aber einmal mit Monteverdi in die Renaissance und eine musikhistorische Phase des Übergangs eintauchen. (Ljubisa Tosic,14.8.2023)