Anfang August macht die freiwillige Feuerwehr Ort nach einem Einsatz auf der A8, der Innkreisautobahn, ein Video in den sozialen Medien öffentlich. Es zeigt, wie ein Feuerwehrmann auf der Autobahn vor dem Feuerwehr-Lkw herläuft und die Autos einweist. Die Feuerwehr ist mit Blaulicht und Folgetonhorn unterwegs, kommt aber nur sehr langsam voran. "Rettungsgasse – Wie es NICHT funktioniert", kommentierte die Feuerwehr das Video und appellierte "dringend zum wiederholten Male an alle Fahrzeuglenker, im Falle eines Staus unverzüglich eine Rettungsgasse zu bilden".

Die Feuerwehr Ort im Innkreis filmt bei einem Einsatz mit, wie ein Feuerwehrmann die Autobahn für die Durchfahrt freimachen muss.
Feuerwehr Ort

Die Rettungsgasse wurde in Österreich am 1. Jänner 2012 eingeführt. Sie gilt, sobald sich ein Stau aufzubauen beginnt, für alle Fahrzeuglenkerinnen und Fahrzeuglenker auf den Autobahnen und -straßen, wenn bei baulich getrennten Richtungsfahrbahnen mindestens zwei Fahrstreifen vorhanden sind. Alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer, die den ganz linken Fahrstreifen befahren, müssen dann so weit nach links wie möglich, alle anderen so weit nach rechts wie notwendig fahren. Wenn ein Pannenstreifen vorhanden ist, darf dieser beim Ausweichen nach rechts mitbenützt werden.

Bis 2012 fuhren die Einsatzfahrzeuge auf dem Pannenstreifen an einem etwaigen Stau vorbei. Der offizielle Grund, warum das unter der damaligen Verkehrsministerin Doris Bures (SPÖ) geändert wurde, war die Breite der Einsatzfahrzeuge. Lkws der Feuerwehr und Spezialeinheiten bräuchten mehr Platz, als der Pannenstreifen bietet. Zudem seien Fahrzeuge, die wegen einer Panne dort stehen, ein zusätzliches Hindernis.

derStandard

Man warb mit dem Versprechen, dass Einsatzfahrzeuge im Schnitt vier Minuten früher am Einsatzort sein werden. Die Daten dafür hatte man in Deutschland erhoben, wo es die Rettungsgasse schon länger gibt. Nach zehn Jahren Rettungsgasse reduzierte die Asfinag den Zeitgewinn auf zwei Minuten.

Der Spargedanke

Hinter all dem soll es aber noch einen Grund für die Rettungsgasse gegeben haben, der ebenfalls mit Deutschland verknüpft ist. Auf dortigen Autobahnen gibt es seltener oder meist nur sehr schmale Pannenstreifen, weshalb die Einsatzkräfte diese auch nicht befahren können. Mit der Rettungsgasse ließen sich folglich die teuren und selten genutzten Spuren auch auf manchen unserer Schnellstraßen oder Autobahnen einfach einsparen.

Denn tatsächlich ist schon eine zweispurige Autobahn breit genug, dass zwei Lkws und ein Pkw nebeneinander Platz haben. Trotzdem sei die Einführung der Rettungsgasse kein Geniestreich gewesen, ist ein Polizist überzeugt. Schuld daran seien nicht nur die Menschen, welche die Rettungsgasse noch nicht verstanden hätten oder sie mutwillig zum eigenen Vorteil nutzten, sondern verwirrende Formulierungen im Gesetz und Überkopfanzeigen, die bei leicht stockendem Verkehr an die Rettungsgasse erinnern. "Bei fließendem Verkehr auf einer Autobahn, und sei es nur mit 60 km/h, gibt es keinen Grund, eine Rettungsgasse zu bilden." Er erzählt von einer Situation, wo bei Kolonnenverkehr die Fahrzeuge auf der linken Spur ganz links gefahren seien, die auf der ganz rechten Spur auf dem Pannenstreifen, die auf der mittleren Spur ganz rechts auf ihrer Spur – was dazu geführt habe, dass auf der freien ersten Spur Fahrzeuge nach vorne gefahren seien und die an sich dreispurige Autobahn zu einer vierspurigen geworden sei.

Gerry Foitik bei einer Pressekonferenz.
Gerry Foitik fordert klarere Regeln, wann eine Rettungsgasse zu bilden ist.
Österreichisches Rotes Kreuz (ÖRK) / Markus Hechenberger

"Unser Wunsch ist, dass wir zusätzlich zur bestehenden Definition im Gesetzestext 'vorsorgliches Bilden einer Rettungsgasse bei stockendem Verkehr' eine Geschwindigkeit, etwa 20 oder 30 km/h, unter der sie zu bilden ist, festschreiben", sagt dazu Bundesrettungskommandant Gerry Foitik vom Roten Kreuz. "Damit wäre für alle genauer definiert, wann vorsorglich eine Rettungsgasse zu bilden ist."

Probleme mit Auf- und Abfahrten

Er erklärt, dass die Rettungsgasse gut funktioniere, vor allem dann, wenn einfache, klare Verkehrssituationen bestünden – wie auf einer zweispurigen Autobahn. "Weniger gut funktioniert es bei komplexen Situationen, etwa wenn wie auf der A23 mehrere Auf- und Ausfahrten auf einem kurzen Abschnitt zusammenkommen. Oder wenn eine Überlastungssituation herrscht – kein Stau, sondern stockender Verkehr, mit abwechselnd schnellen Geschwindigkeiten auf vielen Fahrstreifen. Dann wissen die Verkehrsteilnehmer oft nicht, was wann zu tun ist."

Stau auf einer Autobahn
Bei Auf- und Abfahrten oder Autobahnknoten kommt es immer wieder zu Problemen, die Rettungsgasse zu bilden, weil mehrere Fahrzeuge die Fahrspuren wechseln.
APA/FRANZ NEUMAYR

Die Landespolizeidirektion Wien wollte sich zur Rettungsgasse nicht näher äußern. Ähnlich wie Foitik sieht dagegen auch Andreas Rieger vom Bundesfeuerwehrverband die Situation: "Das System funktioniert sehr gut, und wir sind sehr froh über die Einführung. Klar, es gibt ein paar schwarze Schafe, die das System für sich ausnutzen", ein großes Problem würden diese allerdings nicht darstellen. Ein solches sieht auch er viel mehr auf Stadtautobahnen und Abschnitten mit vielen Auf- und Abfahrten.

Rieger kommt bei dem Thema auch auf die Größe der Rüstlösch- und Tankfahrzeuge zu sprechen und erklärt dazu: "Wir wollen auf keinen Fall wieder zurück und auf dem Pannenstreifen fahren." Eine statistische Auswertung, wie viel besser die Situation für die Feuerwehren durch die Einführung der Rettungsgasse geworden ist, würde nicht geführt – dafür seien bei Einsätzen auch gar keine Kapazitäten frei.

Umfrage der Asfinag

Aber die Asfinag hat im Februar 2021 1.000 Nutzerinnen und Nutzer der Autobahnen und Schnellstraßen sowie 50 Einsatzleiterinnen und Einsatzleiter zur Rettungsgasse befragt. Dabei kam heraus, dass drei Viertel der befragten Mitglieder von Einsatzorganisationen überzeugt sind, dass sie durch die Rettungsgasse schneller zum Unfallort kommen. Aus dieser Befragung stammen auch die zwei Minuten Zeitersparnis – die also keiner Berechnung, sondern auf einer Schätzung basieren.

In der Bevölkerung war das Ergebnis noch deutlicher. Laut der Befragung haben 90 Prozent die Rettungsgasse als gut oder sehr gut beurteilt und sich für deren Beibehaltung ausgesprochen.

Einigkeit herrscht durch die Bank, wenn es um die Beseitigung von Wissensdefiziten geht. Bei der Asfinag-Umfrage scheiterten 14 Prozent bei der Beantwortung, wie eine Rettungsgasse auf einer zweispurigen Autobahn richtig zu bilden ist. Bei dreispurigen Autobahnen waren es sogar doppelt so viele. (Guido Gluschitsch, 17.8.2023)