Wer mit dem Zug ins Ausland fahren will, braucht oft Zeit und Nerven aus Stahl. Während einige Fahrten in Österreichs Nachbarländer sowie zu Nightjet-Destinationen wie Paris, Amsterdam oder Rom direkt über die ÖBB-Website buchbar sind, stolpert man immer öfter über den Satz "Ticket nicht verfügbar" oder "Ticket für Teilstrecke", je weiter man sich mit seinem Reiseziel von den Landesgrenzen entfernt. Flüge sind über Online-Portale innerhalb von Minuten gebucht. In den internationalen Fahrplan- und Tarifdschungel der Bahnunternehmen wagen sich hingegen nur hartgesottene Zugfans vor.

Das war nicht immer so. Jahrzehntelang war es möglich, in Österreich zum Schalter am Bahnhof zu gehen, ein Ticket nach Griechenland zu buchen und rund eineinhalb Tage später in Athen auszusteigen. Sogar durchgängige Züge gab es, die Reisende direkt von Nordeuropa über Österreich bis in den Balkan brachten, erinnert sich Juri Maier, der eine Werbeagentur leitet und sich in seiner Freizeit zusammen mit einer Gruppe von Bahnfans für mehr Nachtzüge in Europa einsetzt. Er reiste 1990 von Deutschland mit dem Zug bis in die Türkei. Die direkte Verbindung war praktisch – "aber weit weg von perfekt", wie Maier sagt. Erfahrene Reisende erkannte man an großen Mengen mitgebrachten Flaschenwassers – denn das Wasser auf den Toiletten reichte nicht immer für die zweieinhalbtägige Reise. Aber immerhin: Den Zug gab es.

Diesen April reiste Maier erneut mit der Bahn über Rumänien nach Istanbul. "Heute ist das ein komplizierteres Unterfangen", sagt Maier. Lange Nachtzugstrecken, wie sie der Hellas-Express von Dortmund nach Athen zurücklegte, sind längst Geschichte. Um die weite Strecke zurückzulegen, muss nun umgestiegen werden. Bei Verspätungen kann das dazu führen, dass man am Weg zum Ziel strandet – denn bei getrennt gebuchten Tickets greifen die EU-Fahrgastrechte nicht. Die Streckeninformationen muss man sich mühsam über teils unvollständig übersetzte Websites der einzelnen Bahnen zusammensuchen, Tickets im Vorhinein zu buchen ist in einigen Fällen nur über spezialisierte Reisebüros oder über die Interrail App möglich.

Schwierige Buchung

Blick auf die Abteile im Nachtzug von Wien nach Brüssel
Tickets für Reisen außerhalb des Nightjet-Netzes zu buchen ist oft nicht ganz einfach.
Philip Pramer

Wenn überhaupt ein Zug fährt. Der Nachtzug vom serbischen Belgrad ins griechische Thessaloniki wurde etwa im Zuge der Coronoa-Pandemie eingestellt – und das ist er bis heute. Eine STANDARD-Anfrage, ob und wann die Verbindung reaktiviert wird, ließ die serbische Staatsbahn ŽS unbeantwortet. Das ist kein Einzelfall: In den vergangenen 20 Jahren wurden in der EU mehr als 20.000 Kilometer an Bahnstrecken stillgelegt. Die Gleise, die noch geöffnet sind, sind nicht selten in einem desolaten Zustand, vor allem in Osteuropa. In einer Analyse des Weltwirtschaftsforums bekamen die Westbalkanstaaten duchwegs die schlechtesten Noten für ihren Bahnverkehr.

Konzentration auf inländische Strecken

Die unterschiedliche Qualität der Bahnunternehmen ist auch einer der Gründe, warum lange, internationale Zugverbindungen immer seltener anzutreffen sind. "Sie sind durch die Beteiligung verschiedener Bahnen und vielen Grenzübertritten sehr verspätungsanfällig", erklärt ein ÖBB-Sprecher. Verspätungen aus dem Ausland würden dann in das eigene System weitergeführt und seien dann gerade bei sehr ausgelasteten Strecken auch ein Problem für den inländischen Verkehr. Die Bahnen würden sich deshalb eher auf das nationale Geschäft konzentrieren. Trotzdem sei man die "internationalste Bahn" Europas, betont man bei der ÖBB.

Alte, verlassene Bahnanlagen werden von Birken als Pioniergehölze bewachsen. Hattingen an der Ruhr, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
In vielen Staaten wurde das Bahnnetz vernachlässigt.
imago images / Gottfried Czepluc

Dazu kommt die in den vergangenen Jahrzehnten stark gestiegene Konkurrenz durch Billigflieger: Sie können steuerfreies Kerosin tanken, internationale Flugtickets sind von der Mehrwertsteuer befreit. Die Luftfahrt ist zudem hochstandardisiert, die Bahn hingegen hochfragmentiert. Technische Standards unterscheiden sich von Land zu Land, an den Grenzen müssen oft Loks getauscht werden. Lokführerinnen und Lokführer müssen die Sprache jedes Landes, das sie durchqueren, auf B1-Niveau sprechen. All das macht die Bahn unwirtschaftlich – vor allem wenn die Umweltschäden für ihre Alternativen, allen voran das Flugzeug, nicht eingepreist werden.

Keine öffentliches Fahrplanverzeichnis

Doch selbst wenn es Zugverbindungen gibt, sind diese für Reiseintessierte nicht immer einfach zu finden. Denn in der EU gibt es bislang keine verpflichtende Datenbank für Verkehrsdaten. Der internationale Eisenbahnverband UIC betreibt mit Merits zwar ein System zur Bereitstellung von Fahrplandaten, mit dem auch die Online-Tools der ÖBB und der Deutschen Bahn arbeiten. Doch die Teilnahme ist freiwillig – und die Nutzung der Daten kostspielig: Rund 50.000 Euro jährlich kostet eine Lizenz für die Datenbank, die allerdings bloß statische Daten ohne Verspätungen oder Streckensperren enthält.

Zudem sind längst nicht alle Züge in Merits enthalten. Die katalonische Regionalbahn, die auch Züge über die französische Grenze anbietet, speist etwa keine Daten in das System ein, auch einige kroatische Nachtüge sucht man vergeblich. Bahnunternehmen würden im Gegensatz zu früher weniger Daten in das System einspielen, kritisierte etwa der britische Bahnexperte Jon Worth in einem Interview mit ORF.at, einen Eindruck, den auch Nachtzugaktivist Maier teilt. "Völlig falsch" sei das, heißt es auf STANDARD-Anfrage von Bahnverband UIC. Das Gegenteil sei der Fall, die Daten würden immer besser werden.

Fakt ist hingegen, dass "Merits" nur Fahrpläne liefert, aber keine Möglichkeit zur direkten Buchung bietet. Anbieter wie Trainline, Raileurope oder Omio, die eine Alternative zu Flugsuchmaschinen sein wollen, tun sich deshalb schwer, auch Zugverbindungen anzubieten. "Das ist ein ziemlich zeitaufwendiger Prozess", sagt Naren Shaam, Gründer und Geschäftsführer von Omio, zum STANDARD. Mit jedem Bahnunternehmen brauche es eigene Vereinbarungen, jedes Buchungssystem funktioniere anders – sie unter einer einfachen Benutzeroberfläche zu vereinen sein ein enormer technischer Aufwand. Bei den Preisen und Provisionen gebe es wenig Spielraum, in vielen Fällen sei das Angebot für den Reisevermittler nicht kostendeckend. Das ist wohl auch einer der Gründe, warum viele Reisesuchmaschinen, die eigentlich verschiedene Transportmittel anbieten wollen, erst recht wieder vorrangig Flüge anpreisen.

Frau von hinten fotografiert, die am Bahnsteig sitzt
Reisen mit Zug, Bus, Bahn und mehr sollen künftig in einer einzelnen App buchbar sein.
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EU-weites Buchungssystem

Geht es nach den Plänen der EU-Kommission, muss diese sogenannte multimodale Reiseplanung einfacher werden. Mit dem E-Scooter zum Bahnhof, mit dem Zug nach Rom, mit dem Mietauto weiter an die Küste und mit dem Flugzeug wieder nach Hause – das soll künftig in einer einzigen App buchbar sein. Ein neues EU-Gesetz soll Bahnunternehmen, Busbetreiber, aber auch Reedereien und Fluglinien dazu verpflichten, Daten über ihre Angebote zu liefern. Diese Richtlinie über multimodale digitale Mobilitätsdiensleistungen (MDMS) hätte bereits Anfang 2023 vorgestellt werden sollen. Doch da die Interessen der Betroffenen auseinandergehen, stocken die Verhandlungen.

Es ist wahrscheinlich, dass man sich in der Mitte trifft: Möglich ist etwa, dass nur große, marktbeherrschende Verkehrsunternehmen, ihre Daten teilen müssen – die kleineren hätten ohnehin einen Anreiz, über die Plattformen neue Kundinnen und Kunden zu gewinnen. Auch ob Bahnunternehmen anstatt einer Buchungsmöglichkeit nur Links zu ihren eigenen Verkaufsseiten bereitstellen müssen, wird diskutiert.

Im September soll ein konkreter Enwurf für die MDMS-Richtlinie veröffentlicht werden. Das heißt allerdings noch lange nicht, dass die Idee tatsächlich umgesetzt wird – und selbst wenn es so sein sollte, werden wohl noch einige Jahre vergehen, bis Verkehrsunternehmen tatsächlich mehr Daten teilen müssen. Doch das das durchgänge Ticket von Wien nach Athen könnte nun zumindest ein bisschen näher gerückt sein. (Philip Pramer, 19.8.2023)