Mohamed Bazoum ist die ranghöchste Geisel der Welt. Der Staatschef des Niger wird seit drei Wochen im Erdgeschoß seiner Residenz in der Hauptstadt Niamey festgehalten: bewacht von Soldaten der Präsidentengarde, die ihn eigentlich beschützen sollten. Deren Chef Abdourahamane Tchiani hat am 26. Juli einen Staatsstreich gegen den 63-jährigen Präsidenten ausgeführt. Jetzt soll Bazoum dazu gezwungen werden, seine Rücktrittserklärung zu unterschreiben. "Das wird er nie tun", ist sein langjähriger Freund Mamadou Kiari Liman-Tinguiri überzeugt. "Dazu ist er mental viel zu stark", sagt Nigers Noch-Botschafter in Washington.

Mohamad Bazoum
Mohamed Bazoum wird in seiner Residenz festgehalten.
AP/Michel Euler

Unterschreibt er nicht, werde er eben "ausgehungert". Seine Bewacher haben den Strom zu seiner Villa abgeschaltet, ebenso das Leitungswasser und das Gas zum Kochen. Mehr als zwei Wochen lang kamen auch keine Lebensmittel in die Präsidentenvilla, berichtet Bazoums Tochter, die 34-jährige Zazia, dem britischen "Guardian": "Im Kühlschrank verrottete das Essen. Sie hatten nur noch Reis und Pasta." Ihr Vater habe wie ihre Mutter fünf Kilo abgenommen, sagt Zazia, ihr Bruder sogar zehn. "Das ist Folter", schimpft die Juristin. Ihr 20-jähriger Bruder habe ein Herzleiden: Erst am Wochenende sei endlich ein Arzt vorgelassen worden. Der brachte auch ein paar frische Lebensmittel mit.

Kontakt über Telefon

Sein Telefon haben ihm die Wärter überraschenderweise gelassen. Mit dem hält er Kontakt zu US-Außenminister Antony Blinken, zur Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, zu seinem Freund Liman-Tinguiri und zu seiner Tochter. Weil er in einem Beitrag für die "Washington Post" die "gesamte internationale Gemeinschaft" dazu aufrief, die "verfassungsrechtliche Ordnung" im Niger wiederherzustellen, will ihn die Junta nun des Hochverrats anklagen. Darauf steht in dem Sahelstaat die Todesstrafe. Mit seinen Telefonaten habe Bazoum die "innere und äußere Sicherheit des Landes" gefährdet, meint Junta-Sprecher Amadou Abdramane. Mache der westafrikanische Staatenbund Ecowas seine Drohung eines Militärschlags wahr, könne Bazoums Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden, gaben die Putschisten Washingtons Vize-Außenministerin Victoria Nuland bei deren Besuch in Niamey zu verstehen. Der Staatschef ist tatsächlich zur Geisel geworden.

Mittlerweile kommen auch die Hintergründe des Staatsstreichs immer deutlicher zum Vorschein. Zum Verhängnis wurde Bazoum sein unterkühltes Verhältnis zum Militär: Der linksgerichtete Philosophiestudent und Gewerkschaftsaktivist ging etwa im Umgang mit den islamistischen Extremisten andere Wege. Statt nur mit Waffengewalt zu reagieren, suchte er auch das Gespräch und hatte damit – anders als die Militärregime in Mali und Burkina Faso – durchaus Erfolg. Als er den Generälen auch noch die finanziellen Mittel kürzen wollte, schlugen sie zu: Sie trauten dem Angehörigen der arabischen Minderheit des Landes ohnehin nicht über den Weg. Schon kurz nach seiner Amtseinführung vor zwei Jahren hatten Teile des Militärs einen Umsturz geplant, wurden damals allerdings noch ausgerechnet vom Chef der Präsidentengarde Tchiani gestoppt.

Widerstand gegen Intervention

Undurchsichtig ist Bazoums Verhältnis zu seinem populären Vorgänger Mahamadou Issoufou, mit dem er einst gemeinsam die Nigerianische Partei für Demokratie und Sozialismus (PNDS) gegründet hatte. Der einflussreiche Doyen der nigrischen Politik, der als erster Präsident seines Landes nach zwei Amtsperioden freiwillig die Macht abgab, soll mit dem Regierungsstil seines Nachfolgers nicht immer einverstanden gewesen sein, heißt es. Bezeichnenderweise blieb er nach dem Putsch tagelang stumm. Er habe seine Chance als Vermittler nicht vermasseln wollen, gab er später bekannt. Falls es sie tatsächlich gab, kam bei seinen Schlichtungsbemühungen allerdings nichts heraus.

Bazoums Chancen, wieder als Präsident eingesetzt zu werden, nehmen derzeit so rasant ab wie sein Körpergewicht. Auch wenn die Generalstabschefs der Ecowas-Staaten über die Modalitäten eines militärischen Einsatzes beraten: Der Widerstand gegen eine derartige Intervention ist auch seitens der Afrikanischen Union zu groß. So wird sich Ecowas damit begnügen müssen, mit der Junta eine möglichst rasche Rückkehr zur Demokratie auszuhandeln. Und Mohamed Bazoum wird auf der Strecke bleiben, auch wenn er sich weiterhin weigert, seine Demission zu unterschreiben. (Johannes Dieterich, 17.8.2023)