Der Erfolg generativer künstlicher Intelligenz (KI) beruht auf einer großen Ungerechtigkeit: Tech-Konzerne bedienen sich an frei zugänglichen Texten und Bildern im Internet wie an einem Steinbruch und trainieren mit den Daten ihre KI-Systeme, ohne die Urheber daran zu beteiligen. In jeder Antwort, die ChatGPT ausspuckt, steckt unbezahlte geistige Arbeit freiwilliger Wikipedia-Autorinnen und -Autoren, mit deren Artikeln das Sprachmodell gefüttert wurde. In Hollywood sind daher vor ein paar Wochen Drehbuchautoren und Schauspieler in den Streik getreten: Sie fürchten, künftig von Computern ersetzt zu werden.

Frau im Paillettenkleid vor ihrem eigenen Spiegelbild.
Gleich, aber nicht echt. Mit digitalen Doubles lässt sich viel Geld verdienen.
Getty Images

In einem offenen Brief, der von renommierten Schriftstellern wie Margaret Atwood und Jonathan Franzen unterzeichnet wurde, fordern über 8.500 Autorinnen und Autoren die Entwickelnden dazu auf, den Datenklau an ihren Werken zu beenden. "Diese Technologien ahmen unsere Sprache, unsere Geschichten, unseren Stil und unsere Ideen nach und erbrechen sie. Millionen urheberrechtsgeschützter Bücher, Artikel, Essays und Poesie liefern das Futter für KI-Systeme, endlose Mahlzeiten, für die keine Rechnung ausgestellt wurde", heißt es in dem Schreiben. Die Betroffenen fordern eine angemessene Kompensation für die Nutzung ihrer Daten.

Der Mann, der mit dem Schürfen von Texten und Bildern ein milliardenschweres Unternehmen geschaffen hat, OpenAI-Chef Sam Altman, will mit seinem Krypto-Start-up Worldcoin die Retina von acht Milliarden Menschen scannen, also noch mehr (biometrische) Daten sammeln, um ein bedingungsloses Grundeinkommen zu bezahlen. Biometrie gegen Bares. Oder wie Altman sagt: "Kapitalismus für alle."

Der Unternehmer plädiert schon länger für Umverteilung, um die Härten der Automatisierung abzufedern: In weniger als zehn Jahren könnte durch die KI-Revolution genug Wohlstand erwirtschaftet werden, um jedem Amerikaner ein Grundeinkommen von 13.500 Dollar im Jahr auszuschütten. Doch bis die Fortschritte der Technik auf das Konto der Autoren einzahlen, dürften wohl noch ein paar Jahre vergehen, und so lange will kein Creator warten.

Stimme für KI freigegeben

Während einige Autorinnen und Autoren sowie Verlage versuchen, die Sichtbarkeit ihrer Texte im Netz einzuschränken oder hinter einer Bezahlschranke zu verbergen, geht die kanadische Sängerin Grimes offensiv mit ihren Daten um: Sie hat im Netz ihre Stimme für KI-gestützte Musikgeneratoren zur Nutzung freigegeben. Alle, die möchten, können mit ihrer Stimme einen Song produzieren. Einzige Bedingung: 50 Prozent der Tantiemen gehen an die Künstlerin.

Im Internet wächst eine Generation heran, die ein neues Bewusstsein für den Wert ihrer Daten hat. So hat die Influencerin Caryn Marjorie einen virtuellen Klon von sich kreiert. Für einen Dollar pro Minute können Fans den stimmbasierten Chatbot "daten" und erotische Dialoge führen. Telefonsex war gestern, KI-Romanzen sind heute. Allein in der ersten Woche des Starts will Marjorie mit ihrem digitalen Double 100.000 Dollar verdient haben.

Influencerin Caryn Marjorie hat ein KI-Double von sich erstellt, welches Nutzerinnen und Nutzer daten können.
Twitter, Caryn Marjorie

Gewiss, nicht jeder hat die Prominenz von Marjorie, der auf Snapchat 1,8 Millionen Nutzer folgen. Aber auch unbekanntere Künstlerinnen und Künstler können mit virtuellen Klonen Geld verdienen. So berichtete das US-Magazin "Slate" über den Synchronsprecher Devin Finley, der sich für ein israelisches Start-up doubeln ließ. In einem Studio in Manhattan las er vor Kameras ein Skript von einem Teleprompter ab, die Instruktionen, wie er seine Hände zu bewegen hat, kamen live per Zoom. In weniger als einer Stunde war die Aufzeichnung fertig.

Mit den Daten wurde am Computer ein digitaler Doppelgänger erzeugt, der als Avatar in Tutorials und Online-Trainings in Erscheinung tritt. Für die Studioaufnahme erhielt Finley laut "Slate" einen Vorschusshonorar von 500 Dollar, das sich je nach Buchung des KI-Klons steigern kann. "Wenn man älter wird oder im Urlaub ist, verdient der Avatar immer noch Geld für einen", freute sich der Synchronsprecher über das passive Einkommen.

Doppelgänger wie Stuntmen, die prominente Schauspieler doubeln, sind im Filmgeschäft nichts Neues. Doch digitale Doubles sind viel flexibler – und billiger. So wurde in einem Werbeclip des chinesischen Lebensmittelkonzerns Mengniu per Swapping-Technik eine KI-generierte Gesichtsmaske von Kylian Mbappé auf den Körper eines Doubles montiert, der dieselbe Statur und Hautfarbe wie der französische Fußballstar hat. Der Superstar, ein viel gefragtes und gebuchtes Testimonial, musste für die Dreharbeiten nicht eigens mit dem Flugzeug nach China reisen – im digitalen Raum lassen sich Datenkörper per Mausklick verschieben und neu zusammenschrauben. Jeder kann heute zum Gesicht eines Werbeclips oder Online-Tutorials werden. Man muss noch nicht einmal die Sprache sprechen.

Natürlich ist es zunächst gewöhnungsbedürftig, sein Gesicht für einen Roboter herzuhalten oder seine Stimme einem virtuellen Assistenten zu leihen, zumal biometrische Daten sensibel sind. Doch die KI-Revolution bietet Schauspielern und Synchronsprecherinnen neue Bühnen und Repräsentationsformen – als Lehrer im virtuellen Sprachlabor oder Nachrichtensprecherin. Wenn man seine Daten nicht selbst vermarktet, werden es am Ende andere tun. (Adrian Lobe, 18.8.2023)