Abnehmspritze Diässpritze Diabetes Lernfähigkeit
Der Wirkstoff Semaglutid senkt bei übergewichtigen Personen das Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte. Der verwandte Wirkstoff Liraglutid erleichtert bei adipösen Personen bestimmte Hirnleistungen.
APA/AFP/JOEL SAGET

Sogenannte Diät- oder Abnehmspritzen, die vor allem bei Typ-2-Diabetes und starkem Übergewicht zum Einsatz kommen, haben in den letzten Jahren den großen Durchbruch geschafft: Endlich gibt es Medikamente, die tatsächlich gegen starkes Übergewicht und Fettleibigkeit wirken – was sie auch über die eigentlichen Indikationen hinaus zum begehrten Abnehmmittel macht.

Warum und wie genau sie wirken, ist war immer noch nicht ganz klar, wie die "New York Times" gerade in einer ausführlichen Reportage berichtete. Dass die Medikamente – wenn auch oft mit Nebenwirkungen – ihren Zweck erfüllen, steht mittlerweile außer Frage. Und auch die gesundheitlichen Vorteile kommen nun nach und nach ans Licht. So soll der Wirkstoff Semaglutid, der einmal pro Woche gespritzt wird, das Risiko von Schlaganfällen und Herzinfarkten bei übergewichtigen Menschen um rund 20 Prozent senken, wie der Hersteller Novo Nordisk letzte Woche verlauten ließ.

Das muss zwar noch von unabhängiger Seite bestätigt werden, aber gab dem Medikament, das unter den Handelsnamen Ozempic (gegen Diabete Tp 2) und Wegovy (gegen Übergewicht) vertrieben wird, naturgemäß einen ordentlichen Boost: Die Aktien des vor genau 100 Jahren gegründeten dänischen Pharmariesen, des nach dem Luxuskonzern LVMH zweitwertvollsten börsennotierten Unternehmens Europas, zogen daraufhin um 15 Prozent an. Kein Wunder, da allein in den USA 42 Prozent der erwachsenen Bevölkerung stark übergewichtig sind und die Medikamente ein Leben lang genommen werden müssen.

Eingeschränkte Lernfähigkeit

Nun darf sich der dänische Konzern, der sich früh auf die Behandlung von Diabetes und Übergewicht spezialisierte, über eine weitere Studie und deren Ergebnisse freuen: Wie Forschende des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung berichten, kann eine einmalige Gabe des Wirkstoffs Liraglutid – eine Art Vorläufer von Semaglutid und ebenfalls von Novo Nordisk entwickelt – die ansonsten eingeschränkte assoziative Lernfähigkeit von stark übergewichtigen Menschen wieder normalisieren.

Dazu ist zunächst einmal zu erläutern, was unter assoziativem Lernen überhaupt zu verstehen ist. Dieser Vorgang besteht darin, dass wir lernen, wie ein äußerer Reiz mit einer Konsequenz verbunden ist, also etwa: rote Herdplatte ist heiß und führt zu Verbrennungen. Das assoziative Lernen ist die mithin Grundlage für die Bildung neuronaler Verknüpfungen und verleiht Reizen eine motivierende Kraft.

Diese basalen Lernvorgänge werden wesentlich von einer Hirnregion gesteuert: dem dopaminergen Mittelhirn. Diese Region hat viele Rezeptoren für körpereigene Hormone wie beispielsweise Insulin und kann damit unser Verhalten an die physiologischen Bedürfnisse unseres Körpers anpassen. Doch was passiert, wenn die Insulinsensitivität im Körper durch Übergewicht verringert ist? Verändert sich dadurch unsere Gehirnaktivität, unsere Fähigkeit, Verknüpfungen zu erlernen und somit unser Verhalten zu steuern?

Normalisierte Hirnaktivitäten

Marc Tittgemeyer und sein Team vom Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung sind genau diesen Fragen nachgegangen. Sie haben bei Probanden mit normalem Körpergewicht (hohe Insulinsensitivität) und Probanden mit Adipositas (verminderte Insulinsensitivität) im ersten Schritt gemessen, wie gut das Lernen von Assoziationen funktioniert. Und im zweiten Schritt wurde untersucht, welchen Einfluss Liraglutid darauf hat, das einmal täglich gespritzt werden muss.

Für Ihre Untersuchung, deren Ergebnisse am Donnerstag im Fachblatt „Nature Metabolism" erschienen, spritzten sie den Probanden abends entweder das Medikament Liraglutid oder ein Placebo. Liraglutid ist ein sogenannter GLP-1 Agonist, der im Körper den GLP-1-Rezeptor aktiviert, damit die Insulinproduktion im Körper anregt und nach dem Essen ein der Nahrungsaufnahme entsprechendes Sättigungsgefühl erzeugt. Es wird häufig zur Behandlung von Übergewicht und Typ-2-Diabetes eingesetzt und im Rahmen der Therapie einmal täglich verabreicht. (Unter dem Handelsnamen Victoza wird es als Medikament gegen Typ-2-Diabetes vertrieben und unter dem Namen Saxenda gegen Übergewicht.)

Am nächsten Morgen bekamen die Probandinnen und Probanden eine Lernaufgabe, mit der die Forschenden messen konnten, wie gut das assoziative Lernen funktioniert. Dabei stellten sie fest, dass die Fähigkeit, sensorische Reize miteinander zu verknüpfen, bei Personen mit Adipositas geringer ausgeprägt war als bei Normalgewichtigen und dass die Hirnaktivität in den Hirnbereichen vermindert ist, die dieses Verhalten beeinflussen.

Bereits nach einmaliger Gabe von Liraglutid zeigten die Testpersonen mit Adipositas diese Beeinträchtigungen nicht mehr, sodass kein Unterschied in der Gehirnaktivität zwischen den Personen mit Normalgewicht und Adipositas mehr festgestellt werden konnte. Das Medikament versetzte das Gehirn also wieder in den Zustand normalgewichtiger Probandinnen und Probanden.

Liraglutid ist gut, Prävention besser

Für Studienleiter Marc Tittgemeyer sind diese Ergebnisse von grundlegender Bedeutung. Denn zum einen sei gezeigt worden, dass basale Verhaltensweisen wie das assoziative Lernen nicht nur von äußeren Umweltbedingungen abhängen, sondern auch vom Stoffwechselzustand des Körpers. "Ob jemand Übergewicht hat oder nicht, bestimmt also auch, wie das Gehirn lernt, sensorische Signale zuzuordnen und welcher Antrieb dabei entsteht", sagt Tittgemeyer. "Die Zustandsnormalisierung, die wir durch das Medikament bei Adipositas erreichen, passt also zu den Ergebnissen von Studien, dass durch diese Medikamente wieder ein normales Sättigungsgefühl vermittelt wird und die Menschen infolge weniger essen und damit abnehmen."

Ruth Hanßen, Erstautorin der Studie und Ärztin an der Uniklinik Köln, appelliert trotz der erfreulichen Resultate der Studie für mehr Prävention, denn es sei "erschreckend, dass es schon bei jungen Menschen mit Adipositas ohne sonstige Erkrankungen zu Leistungsveränderungen des Gehirns kommt". Die Prävention von Adipositas sollte in Zukunft eine viel größere Rolle in unserem Gesundheitssystem spielen. "Die lebenslange Einnahme von Medikamenten ist die deutlich schlechtere Option." (red, tasch, 18.8.2023)