Wussten Sie, dass John F. Kennedy gar nicht am 22. November 1963 in Dallas einem Schussattentat zum Opfer fiel? Wir auch nicht, doch auch die Faktenlage hält einen Teil der QAnon-Bewegung nicht davon ab, den ehemaligen US-Präsidenten, der heuer 106 Jahre geworden wäre, für quicklebendig zu erklären.

Im Juni allerdings geriet der Kennedy-Arm von QAnon ins Wanken. Ihr Anführer, Michael Protzman, vulgo "Negative 48", kam infolge eines Motocross-Unfalls im Alter von 60 Jahren ums Leben. Trotz mehrfacher Bestätigung seitens der Klinik, in die er nach dem Crash eingeliefert worden war, und trotz Veröffentlichung der Sterbeurkunde blieb man dem eigenen Markenkern treu und vermutete zunächst eine absichtliche Falschmeldung, hinter der ein größerer Plan steckt. Eine neue Anführerin wurde aber allem Anschein nach trotzdem gefunden: Und zwar eine 13-Jährige, die nur unter dem Pseudonym "Tiny Teflon" bekannt ist, berichtet "Vice".

Zögling des Anführers

Dass sie nun die oberste Figur der fragwürdigen Gemeinschaft ist, mag aufgrund ihres Alters ungewöhnlich wirken, ist aber letztlich nicht ganz überraschend. Sie gilt als Zögling von Protzman und trat seit März 2022 auch immer wieder vor seinen zehntausenden Followern in Livechats auf seinem Telegram-Kanal auf. Später erhielt sie auch die Berechtigung, selber Beiträge zu posten und Mitglieder zu verwalten.

Mittlerweile hat sie einen eigenen Channel, auf dem sie Protzmans Werk fortsetzt. Dazu zählt auch die "Pflege" sogenannter Gematrie. Dabei handelt es sich um esoterische numerologische Deutungen auf Basis jüdischer religiöser Schriften, mit denen schon Protzman nach eigener Aussage in die Zukunft sehen konnte.

Michael Protzman, verstorbener Anführer eines Teil des QAnon-Kults
Ein Bild von Protzman, das er selbst auf Telegram veröffentlichte.
Michael Protzman/Telegram

Der Kanal der Teenagerin wird laut Beschreibung "von einem Erwachsenen überwacht", wobei es sich wohl um ihre ebenfalls zum Kult zählende Mutter handeln dürfte. "Tiny Teflon" verfolgt auch schon ehrgeizige Pläne. Ihr aktuell wichtigstes Ziel ist es, mehr Kinder für ihren Kult zu begeistern.

Abseits des Kennedy-Mythos pflegt man freilich auch das Hauptnarrativ von QAnon, nämlich das ein von progressiven und linken Politikern und Prominenten geführter Ring weltweit Kinder entführe und diese zur Gewinnung des Stoffwechselprodukts Adrenochrom in Untergrundanlagen foltere. Donald Trump, Wladimir Putin und andere Persönlichkeiten von meist rechtskonservativer bis rechtsextremer Anschauung würden hingegen im Geheimen an deren Enttarnung arbeiten, wobei man sich immer wieder einmal kurz vor einer Masseninhaftierung der mutmaßlichen Kinderquäler wähnt.

Enttäuschungsresistenter Kult

Auch von Enttäuschungen ließ sich die Verschwörungsgemeinde bislang nicht sonderlich entmutigen. Protzman hatte 2021 vorhergesagt, dass Kennedy und sein 1999 bei einem Flugzeugabsturz verunglückter Sohn im November des Jahres in Dallas auftauchen würde. Etwa tausend Menschen fanden sich zum verkündeten Zeitpunkt an der Dealy Plaza ein, wurden aber enttäuscht.

QAnon-Anhänger vor einem Auftritt des damaligen Präsidenten Donald Trump im Jahr 2018.
AP/Matt Rourke

Später hatte er die Behauptung aufgestellt, dass der Ex-Präsident sich als andere Persönlichkeit tarnen würde. Zunächst hatte Protzman den in QAnon-Kreisen hoch populären Donald Trump zur Fake-Identität von Kennedy erklärt, nur um kurz vor seinem Tod sich selbst als JFK zu "outen". Was, den bisherigen Mustern der QAnon-Gruppierung folgend, bedeuten würde, dass dieser nun schon zwei Mal einen falschen Tod gestorben ist.

Gegenüber "Vice" äußert "Karma", eine Person, die solche Bewegungen professionell beobachtet, Besorgnis ob der Entwicklung. Zwar gebe es auch andere, die die Bewegung gerne führen würden, und man müsse sehen, wie sich "Tiny Teflon" in die Gruppendynamik einfüge, jedoch erscheine ihre Position gefestigt. Dass eine Bewegung, die sich groß den Schutz von Kindern auf die Fahnen heftet, ihre verschwörerischen Anschauungen ausgerechnet mit einer Minderjährigen als Galionsfigur verbreitet, sei jedenfalls "widerlich und verstörend". (red, 18.8.2023)