Ertappt. Und ratlos. So fühle ich mich im tiefsten Simmering. Hier, 12,5 Meter unter der Erde, stehe ich am Bahnsteig der U3-Endstation und überlege. Wo ist der sicherste Platz auf der Plattform, an deren Seiten Züge ankommen und abfahren?

Möglichst weit weg von den Gleisen – das wäre logisch. Hieße: Am besten aufgehoben bin ich auf Höhe des weißen Kastens, in dem der Fahrplan ausgestellt und der Feuerlöscher aufbewahrt sind, genau in der Mitte des Bahnsteigs. Irrtum!

Mit U-Bahnen, dachte ich, kenne ich mich mittlerweile aus. Bis ins Halberwachsenenalter bin ich nur in Bussen und Straßenbahnen gefahren. Wie man sich in U-Bahnen und deren Haltestestellen verhält, habe ich erst nach meinem Umzug nach Wien gelernt. Durch Abschauen von anderen. Die müssen es ja wissen. Wieder: Irrtum!

Training am Bahnsteig

Und deshalb gibt es Robert Gapp. In weißem Polo, mit Brille und Stoppelbart, steht er neben mir am Bahnsteig und zeigt auf den Bereich direkt vor dem weißen Kasten: "Hier ist einer der sichersten Plätze." Denn: Hat man den Kasten im Rücken, kann einem keiner einen "Stesser" geben, wie Gapp sagt. Dazu kommt: Wird man belästigt oder fühlt man sich unsicher, ist Hilfe nur einen Handgriff entfernt – auch die Notsprechstelle befindet sich hier.

Robert Gapp lehnt an einer mobilen Notrufsäule.
Robert Gapp arbeitet seit 32 Jahren für die Wiener Linien – für Volksschulkinder macht er in den U-Bahn-Stationen Workshops.
Regine Hendrich

Gapp ist Profi. Seit 32 Jahren arbeitet er für die Wiener Linien. Erst war er Straßenbahnfahrer. Jetzt leitet er die Präventionsabteilung und bringt jungen Wienerinnen und Wienern bei, wie sie sich in U-Bahn-Stationen und -Garnituren richtig verhalten. Er hält für Schülerinnen und Schüler der ersten und zweiten Schulstufe Workshops auf den Bahnsteigen ab, testet ihr Wissen – genau wie meines – und erklärt. Damit Kinder nicht nur auf das Beobachten anderer angewiesen sind. Oder auf ihre Eltern. "Die haben oft keine Ahnung, was hier herunten abgeht", sagt Gapp.

Eine der heiklen Situationen, die Gapp mit den Kindern durchgeht: Ein Handy fällt auf das Gleis hinunter. Nachspringen? Schlechte Idee – weil lebensgefährlich. Zu groß ist das Risiko, überfahren zu werden oder einen Stromschlag zu bekommen. Klar. Aber was dann?

Ein weißer Kasten mit Fahrplan, Feuerlöscher, Notstopp, Notsprechstelle und Mistkübel in der U3-Endstation Simmering.
Mit dem weißen Kasten im Rücken kann man sicher sein, keinen "Steßer" von hinten zu bekommen.
Regine Hendrich

"Sie gehen zur Notsprechstelle." Drückt man den kleinen Hebel an dem roten Kästchen hinunter, meldet sich nach wenigen Sekunden über einen Lautsprecher die Leitstelle. Die dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen automatisch, von wo der Notruf kommt – und sehen es auch: Die Livebilder aus den Überwachungskameras erscheinen automatisch auf ihren Monitoren. Sie organisieren dann Servicepersonal in der Nähe, das in die Station kommt, um das abgestürzte Handy zu bergen.

Abstürzende Airpods

Gleiches Vorgehen gilt bei Airpods und anderen Kopfhörern, die landen laut Wiener Linien am häufigsten auf den Gleisen – gefolgt von Spielzeug und Dingen, die gut zwischen Zug und Bahnsteigkante passen: Schlüssel, Schmuck – oder eben Handys. Tipp von Gapp: Nach dem Hilfeholen wieder zu jener Stelle zurückgehen, an der der jeweilige Gegenstand hinunterfiel: "Sonst hüpft vielleicht jemand anderer runter und macht sich in der nächsten U-Bahn mit Ihrem iPhone 14 davon."

Ist das womöglich ein Fall für den Zugnotstopp, der sich gleich neben der Notsprechstelle befindet? Gapp verneint: "Das ist nicht lebensgefährlich, auch wenn unser ganzes Leben auf dem Handy ist." Ganz klar zu ziehen ist der Griff am Notstopp aber, wenn eine Person auf das Gleis gestürzt ist. Dann schrillt auch eine Sirene los. Anderer Anwendungsfall: "Das Herrl ist in der U-Bahn drinnen, der angeleinte Hund draußen. Oder umgekehrt. Haben wir alles schon gehabt", erzählt Gapp. "Auch mit Kinderwagen."

Betätigt man den Zugnotstopp, schrillt ein sehr lauter Alarm los.
Regine Hendrich

Wie es sich anfühlt und anhört, Notstopp und Notsprechstelle zu benutzen, kann man ausprobieren: Gapp und sein Team touren regelmäßig mit einer mobilen Notrufsäule im Gepäck im sogenannten Präventionsbus zu Großevents wie dem Donauinselfest. Ein Test zum Spaß in den Stationen empfiehlt sich nicht: 93 Euro kostet die missbräuchliche Verwendung – wobei die Wiener Linien betonen: "Im Zweifel ist es ein Notfall."

Kindliche Kampflust im Silberpfeil

50 Euro werden für den häufigsten Fehler fällig, den Gapp im Alltag beobachtet: noch schnell in die U-Bahn hüpfen, wenn sich die Türen bereits schließen. Wobei die Strafe eher auf dem Papier existiert, als dass sie tatsächlich verhängt wird. "Wenn ich Erlagscheine hätte, würde ich auf jeden Fall strafen", sagt Gapp. Denn: Wer noch schnell in die Garnitur springt, könnte dabei andere Fahrgäste verletzen oder eingezwickt werden.

Ein X-Wagen, bei dem sich die Türen schließen.
Noch schnell in die U-Bahn zu hüpfen, wenn die Türen bereits schließen, kann 50 Euro Strafe kosten.
Regine Hendrich

Auch die ungeschriebenen Wiener U-Bahn-Gesetze lehrt Gapp. Dass es Usus ist, im Silberpfeil beim Aussteigen beide Türen über die bockigen Hebel zu öffnen, sei leicht zu vermitteln: "Die Kinder hauen eh gerne wo drauf." Ebenso wichtig: auf Rolltreppen rechts stehen. Wobei für Kinder die Stiege die sicherste Variante wäre, sagt Gapp.

Wird doch die Rolltreppe benutzt, gilt: Schuhe gut zubinden. "Zieht es das Band hinein, ist das Kind auch schnell weg", scherzt er. Um bei Stürzen einen Dominoeffekt zu vermeiden, empfehle es sich, eine Stufe Abstand zu anderen zu halten.

Links, rechts, raus

Erleichtert. Und ein kleines bisschen stolz. So fühle ich mich – immer noch in Simmering, nun aber in der Straßenbahnremise. Dorthin geht Gapp mit Kindern aus der dritten Schulstufe. Um Bimfahren zu üben. Auch hier oben gilt: am besten mit einer Wand im Rücken warten. Kinder sollten bei der ersten Tür einsteigen, denn die wird nicht automatisch, sondern erst auf ein Signal vom Fahrpersonal hin geschlossen. Drinnen: idealerweise hinsetzen – und: festhalten. "Aber an einer Stange, nicht am Freund", mahnt Gapp.

"Und wie würden Sie aussteigen?", will er wissen. Ich gehe zur Tür, schaue nach links, nach rechts – und verlasse die Garnitur. Irrtum? Nein: bestanden. (Stefanie Rachbauer, 24.8.2023)