Kipchoge Rekordlauf Wien Prater unter zwei Stunden
Am 12. Oktober 2019 lief Eliud Kipchoge als erster Mensch einen Marathon in einer Zeit unter zwei Stunden. Eine exakt choreografierte Armada von Begleitläufern, die ihm auf den letzten Metern auf der Prater-Hauptallee Platz machte, erleichterte das Vorhaben nicht unerheblich.
APA/AFP/ALEX HALADA

Es war ein Lauf für die Ewigkeit oder zumindest für die Rekordbücher. Und ich gestehe, dass auch ich im Prater am Streckenrand staunend und applaudierend zusah, als der kenianische Marathonlaufstar Eliud Kipchoge 2019 hinter einem Auto und in einem Pulk von jeweils sieben Begleitläufern mehrmals vorbeiraste und erstmals einen Marathon unter zwei Stunden lief. Das bedeutet einen Schnitt von über 21 km/h – ein für normalsterbliche Läuferinnen und Läufer unfassbares Tempo.

Eliud Kipchoge Breaks the 2 Hour Marathon Barrier in Vienna | INEOS 1:59 Challenge | CBC Sports
On October 12, 2019, Olympic champion Eliud Kipchoge became the first human in history to run a 26.2 mile marathon in 1 hour and 59 minutes. The Kenyan Marathoner, who accomplished what many deemed impossible, lives by his strong belief that there are no such
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Der Rekordlauf unter zwei Stunden war bereits einmal zuvor versucht worden, Kipchoge scheiterte 2017 aber auf der Rennstrecke von Monza knapp – um läppische 26 Sekunden. Unterschiede zwischen Monza und Wien waren nicht nur die brettelebene Strecke in Wien, weiter verbesserte Laufschuhe und ein anderer Sponsor (Ineos statt Nike), sondern auch die Zahl und Anordnung der Begleitläufer, die für den Windschatten sorgten und den Luftwiderstand für Kipchoge reduzierten.

V-Formation als fast perfekter Windschatten

In Wien waren dafür insgesamt 41 Weltklasseathleten (unter anderen die Ingebrigtsen-Brüder aus Norwegen) vorgesehen, die sich alle vier Kilometer bei den Schrittmacherdiensten abwechselten, vor allem aber jeweils zu siebent in einer ausgeklügelten V-Formation für möglichst viel Windschatten sorgten. Insgesamt fünf Läufer rannten in drei Reihen vor ihm: die zwei vordersten ganz außen, dahinter zwei weiter innen und einer direkt vor Kipchoge, hinter ihm liefen zwei rechts und links von ihm.

Interessierte mögen sich damals gefragt haben, was diese Formation tatsächlich an Zeitersparnis brachte. Nun lieferte die Wissenschaft eine exakte Antwort. Der Maschinenbauingenieur Massimo Marro von der École Centrale de Lyon in Frankreich und Kollegen haben die Formation nämlich in einem Windkanal nachgestellt. Und wie sie nun im Fachblatt "Proceedings of the Royal Society A" berichten, reduzierte diese Anordnung den Luftwiderstand Kipchoges um etwa die Hälfte. Das bedeutet in Zeit umgerechnet eine Verkürzung des Aufwands um drei Minuten und 33 Sekunden.

t-Formation wäre noch schneller

Das ist eine ganze Menge, wenn man etwa in Rechnung stellt, dass Kipchoges offizieller Weltrekord für die 42,105 Kilometer, den er 2022 in Berlin zum Gutteil ohne solche Hilfeleistungen absolvierte, nur 1 Minute und 29 Sekunden langsamer ist als die in Wien aufgestellte Zeit von 1 h 59 min 40. Laut Marro wär es in Wien aber sogar noch etwas flotter gegangen, wenn sich die fünf "Vorläufer" etwas anders angeordnet hätten: statt eines V in Form eines umgedrehten kleinen "t", zwei hintereinander, dann zwei nebeneinander und dann wieder einer direkt vor Kipchoge. Dieser schmälere Luftkeil hätte laut der Studie eine Zeitersparnis von weiteren 49 Sekunden gebracht.

Laufformationen Windschatten Luftwiderstand Marathon Rekord unter zwei Stunden
Links: die beim Rekordversuch in Wien gewählte und im Windkanal nachgestellte V-Formation; die t-Formation rechts wäre womöglich noch "schneller".
École Centrale de Lyon/LMFA UMR 5509

Für den Wiener Rekordversuch ist dieser Hinweis post festum natürlich sehr hypothetisch, da ja der Begleitwagen das Tempo vorgab. Interessant ist der Hinweis aber für künftige Rekordversuche – unter anderem jenen demnächst in Berlin, wo die Zwei-Stunden-Schallmauer für einen richtigen Marathon fallen soll. Da dort in der Regel nur zwei oder drei Tempomacher zugelassen sind und keine "frischen" eingewechselt werden dürfen, sind also andere Strategien des Windschattenlaufens gefragt.

Laufen als Teamwork?

Der Sportphysiologe Rodger Kram (University of Colorado Boulder), der nicht an der Studie beteiligt war, diese aber für "ziemlich innovativ" hält, hätte auf Basis der neuen Erkenntnisse einen konkreten Vorschlag: Konkurrierende Marathonläufer könnten das "kooperative Drafting" in der vorgeschlagenen Formation nutzen. Sie sollten also abwechselnd im Schatten des anderen laufen, um das Tempo hoch zu halten. Dem stimmt auch Studienautor Marro zu: "Diese kooperativen Strategien könnten helfen, den Rekord zu verbessern." (Klaus Taschwer, 18.8.2023)