Vor Kurzem ereignete sich ein tragischer Tod auf dem K2.
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Dass der Aufstieg alles andere als leicht würde, damit hatte Tenjen Lama bereits gerechnet. Das Wetter war an diesem 27. Juli nicht ideal. Trotzdem war er in Vorfreude. Der 8611 Meter hohe K2 war der letzte Gipfel, den der nepalesische Sherpa mit seiner Klientin, der Extrembergsteigerin Kristin Harila, besteigen würde – das Finale einer Rekordjagd der norwegischen Sportlerin, die alle 14 Achttausender in drei Monaten bezwingen wollte. Acht davon befinden sich in Lamas Heimat Nepal, einer in China, fünf in Pakistan. Unter ihnen auch der K2, der zweithöchste Berg der Erde, der als weit anspruchsvoller als der Mount Everest, der höchste Berg der Welt, gilt.

Auf etwa 8200 Meter Höhe, in der der sogenannten Todeszone, befindet sich die berüchtigte Traverse im "Bottleneck", eine lebensgefährliche Schlüsselstelle der Route. Je weniger Zeit man hier verbringt, desto geringer das Risiko. Hier sah Tenjen Lama bei seinem Aufstieg einen Mann im Schnee liegen. Da der Sherpa kaum Zeit im Basislager verbracht hatte, war er sich nicht sicher, ob der Mann zu seinem Team gehörte oder zu einer anderen Agentur. Der Mann habe Frostbeulen gehabt und sei unterkühlt gewesen, er habe keine für die extremen Minustemperaturen adäquate Daunenjacke getragen.

Der Tod des Trägers

Der Mann hieß Mohammad Hassan, ein 28-jähriger pakistanischer Hochträger. Ein STANDARD-Bericht über sein Schicksal löste in den letzten Tagen einen Sturm der Entrüstung aus. Hassan lag auf dem K2 im Sterben – angeblich stiegen dutzende Alpinisten in der Traverse einfach über ihn hinweg. Nur ein Mann habe geholfen, lauten die Vorwürfe.

Die Rekordbergsteigerin Kristin Harila widerspricht dieser Darstellung in einem Instagram-Posting vom Donnerstag. Sehr wohl hätten einige probiert zu helfen, unter anderem ihr Team. Auch ihr Sherpa Tenjen Lama erzählt dem STANDARD, dass er versucht habe, Hilfe zu organisieren. Er habe ins Basislager gefunkt und eine Zeitlang versucht, Hassan warmzurubbeln. Es hätten sich andere Personen aus Hassans Team auf dem Berg befunden, diese seien nachgekommen.

Hassans Tod tue ihm sehr leid, sagt Tenjen Lama. In großen Höhen und unter extremen Bedingungen müsse man schnelle Entscheidungen treffen. Hassan habe in der Höhe, mit mangelndem Sauerstoff und schlechter Ausrüstung kaum Überlebenschancen gehabt. Dawa Sherpa, der Geschäftsführer des Expeditionsveranstalters Seven Summit Treks, der das Gespräch aus dem Nepalesischen übersetzt, fügt hinzu: "Hypothetisch hätte man ihn vielleicht retten können – aber praktisch war es im Moment nicht möglich."

Gefährliche Dynamik

Am 27. Juli scheinen dutzende Bergsteiger die gleiche Entscheidung getroffen zu haben: den Verletzten im Schnee hinter sich zu lassen und weiter zum Gipfel zu gehen.

"Das könnte auch mir passieren", ist sich der Sherpa Tenjen Lama sicher. Er erwarte nicht, dass man ihm in so einer hoffnungslosen Situation helfen könne. Auf dem Berg sei man am Ende auf sich angewiesen: "Ich bin dort raufgegangen. Niemand hat mir das befohlen. Ich war es, der die Grenzen ausreizte."

Doch bei aller Eigenverantwortung, es bleibt ein Dienstleistungsbusiness. Reiche Kunden aus allen Teilen der Welt zahlen viel Geld, um sich einen Traum zu erfüllen. "Die Berge sind da. Das können wir eben", sagt Veranstalter Dawa. In den letzten Jahrzehnten haben immer mehr Sherpa-Agenturen im bitterarmen Nepal aufgemacht. Im Herbst zieht der Himalaja-Tourismus auf den Manaslu, im Sommer auf den K2 – im Frühling steht die größte Cashcow am Programm: der Everest. In diesen Monaten wächst das Basislager zur Zeltstadt an, um sie zu durchqueren, braucht es knapp eine Stunde.

Aufnahmen zeigen den sterbenden Hassan (liegend) am K2.
Everest today

Sichere Geldquelle

Der Hype beschert dem umliegenden Khumbu-Tal eine sichere Geldquelle. Mit dem Höhenbergsteigen kann man zu für Nepal vergleichsweise großem Wohlstand kommen. In vielen Hütten und Lodges trifft man auf den Besitzer, der bereits zweimal auf dem Everest war, oder den Wanderguide, der einst als Höhensherpa gearbeitet und den Gipfel schon zwölfmal erklommen hat.

"Wir klettern auf die Berge für unsere Familie, für die Wirtschaft und die Leistung. Je mehr Erfahrung du hast, desto höher ist dein Wert bei den internationalen Bergsteigern", sagt Lama. Dafür nehmen viele Träger auch hohe Risiken auf sich.

Langsam arbeitet man sich hoch, vom Höhenträger zum Höhenguide. Wer seinen Klienten, seine Klientin bis auf den Gipfel bringt, darf sich über eine Bonuszahlung freuen. Der Bergführer Kami Rita Sherpa erzählt, dass er 1992 erstmals über 8000 Meter steigen durfte. Nur wer diese Höhe dreimal erreicht hatte, durfte dann auch weiter auf den Gipfel, das war damals die Anforderung seiner Agentur. Mit mittlerweile 28 Gipfelstürmen hält Rita seit Mai 2023 den Rekord für die meisten Besteigungen des Mount Everest. Damit ist er einer der gefragtesten Höhenguides.

Für die Kinder

Kami Rita oder Tenjen Lama gehen in die Berge, um ihren Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen. Lamas Eltern etwa waren einfache Bauern. Wenn einer seiner Söhne Bergsteiger werden will, sagt der 33-Jährige, dann soll er es tun, aber eben nicht wegen des Geldes.

Die Sherpas haben sich weltweit einen Ruf erarbeitet: ausdauernder als andere, die nicht aus der extremen Bergregion kommen, hart im Nehmen, verlässlich. Einige, die heute in der Branche arbeiten, sind ethnisch eigentlich gar keine "Sherpa". Sich so zu nennen steigert jedoch den Marktwert.

Viele Wanderführer, Bergguides und Träger kommen aus ganz anderen Regionen Nepals. Sie drängen aus den "lowlands" im Süden in das touristische Khumbu im Norden. Dort verrichten sie dann zumeist einfache Tätigkeiten. Sie schließen sich etwa den hunderten Müllklaubern an, die jede Saison die Trekkingpfade hinter den Touristen säubern, oder verdingen sich als Träger für die Trekker. Manche bekommen die Chance, für eine Expedition Höhenträger zu werden – wie wohl der verstorbene Mohammad Hassan.

Tenjen Lama wurde in Kathmandu gefeiert.
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Wie der Kunde will

Nur wenige schaffen es zu Ruhm wie Everest-Weltrekordhalter Kami Rita oder der Nepalese Nirmal Purja, der dank der Netflix-Doku 14 Peaks international bekannt wurde. Darin erklettert er mit seinem Team alle 14 Achttausender in der damaligen Rekordzeit von 189 Tagen – und wurde als lokaler Held gefeiert, der dem Rest der Welt vorklettert, wie es geht. Doch selbst in Nepal sieht man die Doku nicht kritiklos. Derlei stachele nur zu noch verrückteren Rekorden an.

Tenjen Lama, der Harilas Rekordbesteigungen begleitete, ist pragmatisch. Was auch immer die Kunden wollten, sei okay. "Wir sind loyal zu ihnen", meint er. Und Anbieter Dawa Sherpa sagt: "Die Berge sind offen für alle. Wenn ich Nein sage, dann wird er eine andere Agentur finden, die es macht, und zwar viel schlechter." Seine Agentur habe zumindest strikte Bestimmungen.

Ungeachtet von Hassans Tod langen bereits Anfragen für das neue Abenteuer nach dem Vorbild Harilas ein: 14 Achttausender in drei Monaten. Wer viel Bergerfahrung hat, kann dieses für eine Million US-Dollar buchen. Bei weniger Erfahrung kostet es dreimal so viel. Der Druck, einen Teil von diesem Kuchen abzubekommen, ist groß – für manche, wie Hassan, kann er zu groß werden. (Anna Sawerthal, 12.8.2023)