Kristin Harila redet, auf dem Tisch stehen Handy und eine Kaffeetasse.
Kristin Harila äußerte sich am Donnerstag auf Instagram erstmals ausführlich zu den Geschehnissen auf dem K2. Das Foto stammt von 2022.
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Der Tod des pakistanischen Hochträgers Mohammad Hassan auf dem K2, dem mit 8.611 Metern zweithöchsten Berg der Welt, am 27. Juli hat für einen Aufschrei gesorgt. Der Mann ist beim Montieren eines Fixseils in der Flaschenhals-Traverse, einer Schlüsselstelle, abgestürzt. Danach soll er laut Augenzeugenberichten noch längere Zeit am Leben gewesen sein, als rund 70 Alpinisten beim Auf- und Abstieg über den Körper oder knapp daran vorbeigegangen sein sollen. Die Schilderungen des österreichischen Bergsteigers Wilhelm Steindl und des deutschen Kameramanns Philip Flämig im STANDARD hatten eine heftige Diskussion über Moral im Bergsport ausgelöst.

Am Donnerstag hat sich nun erstmals die Extrembergsteigerin Kristin Harila zu den Vorfällen geäußert. Die Norwegerin war ebenfalls mit ihrem Team auf dem K2 unterwegs. Mit ihrem Gipfelsturm stellte sie einen Weltrekord auf: Sie hat alle 14 Achttausender in nur 92 Tagen bestiegen und war damit so schnell wie niemand vor ihr.

Video: Am K2 sollen Bergsteiger über einen sterbenden Mann hinweg gestiegen sein, weil sie den Gipfel erreichen wollten.
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Todesdrohungen

Harila wollte sich "aus Respekt gegenüber Hassans Familie" nicht früher äußern, macht dies nun aber aufgrund "all der Missinformation und des Hasses, der nun verbreitet wird". Sie habe demnach Todesdrohungen erhalten. Nun hielt die Norwegerin fest, dass Hassans Tod ein "tragischer Unfall" und niemandes Schuld gewesen sei. Die Bergsteigerin berichtete, dass sie selbst und Mitglieder ihrer Expedition "alles versucht" hatten, dem Verunglückten nach dem Sturz unter schwierigsten Bedingungen zu helfen.

Harila schildert, wie sie die Stunden auf dem K2 in Erinnerung hat. Bei ihrer Ankunft im Flaschenhals sah sie sechs Personen vor sich und ihrem Team, darunter Hassan. Gegen 2.15 Uhr sei dieser abgestürzt. Harila "sah nicht genau, was passiert ist", ob der Schnee unter dem Hochträger eingebrochen war oder ob er ausgerutscht war. Sie habe ihn aber circa fünf Meter abseits des Pfades hängen gesehen – kopfüber, wie sie und ihr Team nach dem ersten Schock realisierten. Sein Klettergeschirr sei runter zu den Knien gerutscht gewesen. Er habe keinen Downsuit getragen, sein Bauch sei dem Wind und der Kälte ausgesetzt gewesen.

Harila hätte daraufhin gemeinsam mit ihrem Kameramann Gabriel Tarso und Sherpa Tenjen Lama sowie mit der Person vor ihnen versucht, Hassan zu helfen. Lama sei zu Hassan geklettert, habe ihm aber zunächst alleine nicht helfen können. In einem zweiten gemeinsamen Versuch haben sie den Hochträger wieder aufrichten können. Dieser habe keine Sauerstoffmaske getragen, schreibt Harila. Tarso habe ihm daraufhin von seinem Sauerstoff abgegeben.

Als sie versuchten, Hassan näher zum Pfad zu bringen, sei weiter vorn eine Lawine abgegangen, an der Stelle, wo das Seilfixteam gearbeitet habe. "Wir haben die Nachricht bekommen, dass sie Probleme haben", schreibt Harila. Deshalb habe sich ihr Team aufgeteilt. Tarso sei bei Hassan und dessen ebenfalls zur Hilfe gekommenen Kollegen geblieben, sie selbst und Lama seien zum Seilfixteam gegangen, "um zu schauen, wie wir ihnen helfen könnten". Insgesamt hätten sie und ihr Team eineinhalb Stunden versucht, Hassan nach oben zu hieven.

"Wir haben unser Bestes getan"

Das Seilfixierteam habe letztlich keine Hilfe gebraucht. Harila habe daraufhin die Sherpas gefragt, ob diese umdrehen würden, was diese bejaht hätten. "Und so, wie wir es verstanden haben, hieß das auch, dass Hassan mehr Hilfe erhalten sollte." Daraufhin habe sich die Norwegerin entschieden, weiter nach oben zu marschieren. Wenn sich zu viele Menschen in der Schlüsselstelle befinden, sei eine Rettung erschwert, so Harila. "Ich glaubte, Hassan würde all die Hilfe bekommen, die er bekommen konnte, und dass er es runterschaffen würde." In diesem Moment hätten sie das Ausmaß der Dinge noch nicht erfasst.

Im Flaschenhals hätten es Tarso, Hassans Kollege sowie ein weiterer Sherpa geschafft, Hassan auf ein kleines Shelf hochzuziehen. Tarso habe eine weitere Stunde versucht, dem verunglückten Hochträger zu helfen, habe ihm warmes Wasser und neuerlich Sauerstoff gegeben. Harila spekuliert, dass vorbeigehende Alpinisten den Ernst der Lage nicht erkannt hätten. Tarso habe schließlich den Ort verlassen müssen, weil er sich mehr künstlichen Sauerstoff holen musste. In einem Interview mit ServusTV meinte Tarso, "einige Personen wollten vorbei, nur um zum Gipfel zu kommen. So ungefähr 'Schafft ihn beiseite, wir wollen zum Gipfel.'"

Als Harila und ihre Begleiter die Flaschenhals-Traverse beim Abstieg passierten, sahen sie, dass Hassan verstorben war. Sie hatten allerdings nicht die Ressourcen, seinen Leichnam mitzunehmen. "Wir haben unser Bestes getan", schrieb Harila. Man müsse nun daraus lernen – jeder, der einen Gipfel besteigt, brauche entsprechendes Training, Ausrüstung und Führung. Soweit Harila es mitbekommen habe, sei Hassan nicht entsprechend ausgerüstet gewesen. Dies sei nicht die Schuld des Trägers selbst gewesen, aber es zeige die Wichtigkeit, alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, meint sie abschließend.

Am Ende verwies sie auf die Spendenaktion von Wilhelm Steindl. Diese hat bis Donnerstagabend mehr als 78.000 Euro für die Familie des Verstorbenen eingebracht. (ag, 10.8.2023)