Kristin Harila auf dem Weg zum Everest im Mai 2022.
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Ein neuer Weltrekord ist Kristin Harila ebenso sicher wie jede Menge Kritik. Die 37-jährige Norwegerin hat zusammen mit dem Sherpa Tenjen Lama alle 14 Achttausender in nur 92 Tagen bestiegen und war damit so schnell wie niemand vor ihr. Der bisherige Rekordhalter, Nirmal Purja aus Nepal, hatte 2019 für alle Achttausender 189 Tage und damit mehr als doppelt so lang benötigt.

Vergleiche sind generell, aber in diesem Fall besonders mit Vorsicht zu genießen, zumal für respektable Leistungen wie diese auch die Umstände in Betracht zu ziehen sind, um nicht unterschiedliche Disziplinen zu vergleichen. Es braucht neben den körperlichen Voraussetzungen eine immense Logistik, ausreichend Sponsorenunterstützung und auch Wetterglück, um derartiges meistern zu können. Harila verwendete bei allen Besteigungen über die klassischen Aufstiegsrouten Flaschensauerstoff, sie war auf die Unterstützung von vielen Sherpas angewiesen, die spurten, Hochlager mit Zelten einrichteten, Fixseile legten und Sauerstoffflaschen schleppten. Zudem setzte Harila auf Hubschrauber, um von einem Basislager rasch ins nächste zu gelangen. Vor allem dieses Shuttleservice stößt Kritikern in Zeiten des Klimawandels besonders sauer auf.

Mit den Leistungen von traditionellen Alpinisten lässt sich Harilas Rekordlauf nicht vergleichen. Letztlich ist es eine Frage des Stils. Reinhold Messner, der zwischen 1970 und 1986 alle Achttausender bestieg, betrat weitgehend Neuland. Er konnte nicht auf vergleichbare Sponsorenunterstützung und wollte nicht auf eine ähnliche Logistik mit zahlreichen Hochträgern zurückgreifen, bevorzugte einen ressourcenschonenden Stil. Er verzichtete bei allen 14 Besteigungen gänzlich auf Flaschensauerstoff, wählte anspruchsvolle Routen, spurte selbst oder mithilfe seiner Kameraden und musste etwa auch sein Zelt aufstellen.

Video-Interview: "Ich möchte das Projekt nutzen, um es für Mädchen nach mir einfacher zu machen, Sponsoren zu bekommen, damit Outdoor-Kleidungshersteller tatsächlich Kleidung für Frauen produzieren und dass wir das gleiche Ansehen haben wie Männer", sagte die Norwegerin im Interview, nachdem sie alle Achttausender erklommen hatte
DER STANDARD

Ähnlich gestaltete Gerlinde Kaltenbrunner ihre Besteigungen aller 14 Achttausender. Die Oberösterreicherin war die erste Frau, die sämtliche der höchsten Gipfel ohne mitgeführten Sauerstoff bezwang, wenn auch teilweise über nicht so herausfordernde Wege wie Messner, was ihr auch Kritik vom Südtiroler einbrachte. Sie benötigte, das sei am Rande angemerkt, rund 13 Jahre und dreieinhalb Monate, ehe sie Ende August 2011 mit dem K2 ihre Sammlung komplettierte.

Kaltenbrunner war für den STANDARD nicht erreichbar. Dem Bergmagazin Alpin sagte sie über Harilas Rekord: "Das ist eine andere Disziplin des Bergsteigens. Das hat für mich mit dem Höhenbergsteigen, wie wir es praktiziert haben und es auch von Einzelnen immer noch praktiziert wird, so gar nichts mehr zu tun." Sie möchte daher nicht weiter auf das "Unterwegssein" von Harila eingehen, es auch nicht bewerten oder gar vergleichen.

Kritik von Dujmovits

Kaltenbrunners früherer Lebenspartner Ralf Dujmovits, der als erster Deutscher auf den Gipfeln aller 14 Achttausender stand, sagte dem Bergmagazin: "Schade, dass Harila dieses 8000er-Peak-Bagging betreibt. Sie hätte die Ausdauer und das Durchhaltevermögen, die Leidensfähigkeit und inzwischen sicher auch das technische Können, die 8000er ohne Flaschensauerstoff und ohne Sherpa-Hilfe zu besteigen." Dazu würde sie aber wie jeder andere auch mehrere Jahre benötigen. Leider versuche sie unter dem fadenscheinigen Deckmantel, Frauen zu inspirieren und zu demonstrieren, dass sie genauso stark wie Männer seien, eine Leistung zu erbringen, die absurd sei und von den wenigsten korrekt eingeordnet werden könne.

Dujmovits bezeichnete die Besteigungen von Harila als aberwitziges Auf und Ab. Es sei ein Trauerspiel, dass sie Alpinhistorie schreiben wird, obwohl sie mit ihrem CO2-Fußabdruck "als größter bergsteigender Umweltschmutzfink" in die Geschichte des Höhenbergsteigens eingehen werde. Zudem würde sie jeglichen Gedanken an naturliebende und umweltschützende Bergsteiger ad absurdum führen.

Anerkennung von Bierling

Anerkennende Worte findet hingegen Billi Bierling aus Garmisch-Partenkirchen, die selbst sechs Achttausender bestiegen hat. Die 55-jährige Journalistin und Leiterin der Himalayan Database in Kathmandu sagte dem STANDARD: "Meiner Meinung nach hat Kristin Harila Unglaubliches geleistet – körperlich, aber allem voran auch mental. Wer schon einmal auf einem 8000er war, der weiß, was es bedeutet, von einem Berg herunterzukommen und gleich den nächsten anzugehen." Die Art, wie sie und ihre Sherpas die hohen Berge bestiegen hätten, habe natürlich nichts mehr mit Alpinismus beziehungsweise der Ethik im klassisch-alpinistischen Stil zu tun. "Aber es passt in unsere Zeit. In eine Zeit, in der die Menschen zu den Basislagern fliegen und sich danach aus höheren Lagern abholen lassen, um sich dann trotzdem als große Bergsteiger feiern zu lassen."

Billi Bierling am Gipfel des Lhotse (mit Blick auf den Everest).
Archiv Bierling

Harila aber hat auf derartige Hilfe verzichtet, ist selbst auf- und auch wieder ins jeweilige Basislager abgestiegen. Bierling: "Der Rekord wäre ohne Flaschensauerstoff sicherlich nicht möglich gewesen, denn wenn man bedenkt, dass die 8.848 Meter des Mount Everest auf circa 6.700 schrumpfen, wenn man mit Maske geht, dann ist das doch ein gewaltiger Unterschied."

Zunächst der Kilimandscharo

Erstmals hoch hinauf ging die frühere Langläuferin aus Vadsø im Norden Norwegens 2015. Damals bestieg sie den Kilimandscharo (5.895 Meter) in Tansania. 2021 stand sie auf ihrem ersten Achttausender: dem 8.848 Meter hohen Mount Everest. Den Lhotse nahm sie in einem Aufwaschen in Frauenrekordzeit (für beide Gipfel zwölf Stunden) mit und gründete nachher das Projekt "Bremont 14 Peaks".

2022 ist Harila mit ihrem Rekordversuch (alle Achttausender in sechs Monaten) mangels Besteigungsgenehmigungen der chinesischen Behörden für den Shishapangma und den Cho Oyu noch gescheitert, schaffte aber immerhin zwölf Achttausender in fünf Monaten. Im Frühling 2023 holte sie die beiden ausstehenden Gipfel nach – und mit einer Zeit von einem Jahr, elf Monaten und zehn Tagen den Rekord für die schnellste erstmalige Besteigung aller Achttausender.

Da sie für ihren angepeilten Rekord die bereits davor bestiegenen zwölf Gipfel 2023 erneut erledigen musste, war sie in den vergangenen 26 Monaten 28-mal auf dem Gipfel eines Achttausenders. Den Everest und den Lhotse hat sie mittlerweile dreimal bestiegen und den Frauenrekord für beide Berge nacheinander erst auf rund neun und dann auf acht Stunden reduziert.

Leicht irritierend ist, dass Harila auf Hubschrauber setzt, gleichzeitig aber auch die Wichtigkeit des Schutzes der Berge betont. Alle müssten ihren Beitrag leisten, die Berge sauber zu halten, indem sie etwa auch den Müll anderer mit ins Tal nehmen, sagt sie. Kritik brachte ihr auch ein, dass sie einen Spendenaufruf für ihr Projekt lancierte und diesen nicht etwa mit einem sozialen Projekt verknüpfte.

Erstaunlich ist, dass Nirmal Purja für seinen unter ähnlichen Voraussetzungen geschafften Rekord in 189 Tagen großteils Bewunderung erntete, etwa auch von Messner und Peter Habeler, während sich Harila nun wesentlich mehr Kritik gefallen lassen muss. Bierling: "Man stellt sich die Frage, ob Kristins Leistung etwas für die Frauen bedeutet. Ob sie beweist, dass Frauen das leisten können, was Männer leisten. Ich denke, sie ist für viele Frauen solch ein Symbol, jedoch finde ich, dass Frauen wie Gerlinde Kaltenbrunner in dieser Hinsicht viel mehr dazu beigetragen haben. Gerlinde hat im alpinistischen Sinne Unglaubliches geleistet, und es gibt nicht viele Frauen, die so stark und versiert in den Bergen sind wie sie." Jedoch habe sich Harila nie mit Kaltenbrunner verglichen und nie ein Hehl daraus gemacht, wie sie auf die Berge steigt. "Mithilfe von Fixseilen, Helikopter, Flaschensauerstoff und Sherpas – genauso wie Nirmal Purja. Ich habe Kristin ein paar Mal getroffen, und ich schätze sie als Menschen. Sie war sehr entschlossen, diesen Rekord aufzustellen. Ohne solch eine Entschlossenheit hätte sie ihr Ziel nie erreichen können." (Thomas Hirner, 1.8.2023)