Hermann Buhl mit seiner Frau Eugenie und Tochter Kriemhild vor dem Aufbruch zum Broad Peak 1957.
imago/ZUMA Press

Als Hermann Buhl 35 Tage nach der Erstbesteigung des Mount Everest durch Edmund Hillary und Tenzing Norgay am Abend des 3. Juli 1953 allein auf dem Gipfel des Nanga Parbat stand und seinen Pickel samt einem Tiroler Wimpel als Beweis der Besteigung auf 8126 Metern in den Schnee rammte, war die Premiere perfekt. Der 28-jährige Innsbrucker hatte soeben den neunthöchsten Berg der Welt erstbestiegen – nach einem sensationellen Alleingang von Lager fünf auf 6950 Metern und nach vielen gescheiterten Expeditionen.

Der von enormer Willenskraft und dem Methamphetamin Pervitin angetriebene Tiroler war gegen den Willen des Münchner Expeditionsleiters Dr. Karl Herrligkoffer aufgestiegen, hatte nach 17 Stunden ausgezehrt den Gipfel erreicht, hernach eine Nacht im Stehen biwakierend in der Todeszone verbracht, um nicht einzuschlafen und zu erfrieren, ehe er nach seinem 41-Stunden-Soloabenteuer dehydriert und halluzinierend ins oberste Lager zurückgetaumelt war.

Der wohl beste Bergsteiger seiner Zeit sagte hernach: "Man kann natürlich durch Willenskraft den Organismus, den Körper so weit treiben, dass man das Letzte aus sich herausholt. Das war bei mir bestimmt der Fall, denn ich war vielleicht schon zwölf Stunden, bevor ich den Gipfel erreicht habe, in einem Zustand, dass ich geglaubt habe, es geht nicht mehr. Und ich habe mich während des Aufstieges immer nur mit der Willenskraft, Schritt für Schritt weitergearbeitet." Oben angekommen, hat er sich freilich zunächst keine Gedanken über den bevorstehenden Abstieg gemacht. "Ich war so erledigt, mehr oder weniger in einem Erschöpfungszustand, dass ich nur froh war, all die Strapazen endlich zu Ende zu haben. Für mich war nur mehr eines da: der Gipfel. An den Abstieg habe ich im Moment gar nicht gedacht."

Völlig erschöpft kam Hermann Buhl von seinem 41-Stunden-Solo-Trip am Nanga Parbat zurück ins obere Lager.
imago/ZUMA Wire/stock&people

Dieser waghalsigen Unternehmung zollt auch Reinhold Messner im Gespräch mit dem STANDARD Respekt. "Buhls Alleingang am Nanga Parbat gehört zu den Sternstunden des Alpinismus, da gibt es keinen Zweifel. Damals konnte das nur einer, und das war Buhl." Messner hat Buhls Route studiert, er zeigt sich beeindruckt: "Wenn man die ganze Strecke kennt und versteht, wie das genau war und warum er so geklettert ist, dann muss man den Hut ziehen und sagen: großartig!"

Sportler des Jahres 1953

Buhl hatte bei unerwartet günstigen Bedingungen einen langen Weg gewählt, dem großen Höhenunterschied ohne Flaschensauerstoff getrotzt und weit oben eine sehr schwierige Passage gemeistert. Messner: "Ähnliche Stellen sind im Himalaja in dieser Höhe über 8000 Meter kaum geklettert worden, auch später nicht." Allerdings kam Buhl mit so schweren Erfrierungen ins Basislager, dass einige Zehen amputiert werden mussten. Für seine Leistung wurde er – bis heute einmalig für einen Bergsteiger – als Österreichs Sportler des Jahres ausgezeichnet.

Der nun 78-jährige Messner war damals neun Jahre alt und interessierte sich bereits für die heimatlichen Berge in Südtirol. Erst später kam seine Leidenschaft für die höchsten Berge, die ihn 1970 und 1978 zum Nanga Parbat (Der nackte Berg), auch Diamir (König der Berge) genannt, und auf alle 14 Achttausender führen sollte – ohne Flaschensauerstoff.

Nach erfolgreicher Besteigung über die Rupal-Wand, die mit 4500 Metern höchste Steilwand auf dem Planeten, und einer Nahtoderfahrung gelang es Messner 1970, über die Diamir-Flanke nach tagelangem Überlebenskampf zurückzukommen – wie Buhl mit schweren Erfrierungen an den Zehen, die Amputationen zur Folge hatten. Sein an Höhenkrankheit und Erschöpfung leidender Bruder Günther hingegen wurde von einer Eislawine in den Tod gerissen.

Messner wurde danach in eine publizistische Schlammschlacht verwickelt, weil man ihm den Hergang des Unglücks nicht glaubte. Letztlich sollte sich das als Verleumdungskampagne herausstellen, als die sterblichen Überreste seines Bruders den Ortsangaben Messners entsprechend gefunden wurden.

Wie anspruchsvoll die Besteigung des von der NS-Propaganda "Schicksalsberg der Deutschen" genannten Berges war, dokumentieren mehrere gescheiterte deutsche Expeditionen in den 1930er-Jahren. 1934 etwa kamen Expeditionsleiter Willy Merkl, der von Messner in einem Buch gewürdigte "Eispapst" Wilo Welzenbach und acht weitere Bergsteiger in einem Schneesturm ums Leben.

Reinhold Messner ist ein großer Fan von Hermann Buhl. 1978 gelang dem Südtiroler die erste komplette Solobesteigung eines Achttausenders, als er den Nanga Parbat zum zweiten Mal erfolgreich bestieg.
IMAGO/Uwe Koch/Eibner

In seinem 2019 erschienenen Buch Mein Schlüsselberg Nanga Parbat hat Messner Buhls Erfolgsgeschichte mit Bildern dokumentiert und die Hintergründe beleuchtet. "Am Ende hatte der Expeditionsleiter kolportiert, er hätte im richtigen Augenblick dem richtigen Bergsteiger den Befehl gegeben, zum Gipfel zu steigen. Alles Müll", sagt Messner. Es sei Buhl verboten worden aufzusteigen. "Diese Besteigung ist eine der aufregendsten, die es gab. Ich mache niemandem einen Vorwurf, ich sage nur, wie sie passiert ist."

Besser als Edmund Hillary

Buhl habe alles beherrscht, egal ob auf Eis, Schnee oder Fels. "Er hatte eine Zähigkeit ohnegleichen, bewundernswerte Willenskraft und war ein glänzender Felskletterer", sagt Messner. "Sonst hätte er den Grat unterhalb des Gipfels, von dem er im Vorfeld gar nicht wusste, wie schwer er war, gar nicht klettern können. Hillary war bei Gott lange nicht ein so guter Bergsteiger wie Buhl."

Nach der Ankunft in München wurde Buhl geschultert. Seine zweijährige Tochter Kriemhild saß etwas tiefer.
imago/ZUMA/Keystone/stock&people

Messner schwärmt auch von Buhls Erfolgen in den Alpen. "Er hat 1943 eine Erstbegehung im Wilden Kaiser gemacht, die heute noch fast unmöglich ist." Gemeinsam mit verschiedenen Kletterpartnern oder solo hat Buhl etwa 1950 die erste Winterbegehung der Marmolata-Südwestwand und die Überschreitung der Aiguilles in Chamonix oder 1952 die erste Alleinbegehung der Nordostwand des Piz Badile in der Schweiz, die achte Durchsteigung der Eiger-Nordwand bei sehr bescheidenen Bedingungen oder den Tofana-Südost-Pfeiler in Cortina d’Ampezzo gemeistert. Als Training für den Nanga Parbat hat er im Februar 1953 in einem nächtlichen Solo die Watzmann-Ostwand über den anspruchsvollen Salzburger Weg geschafft.

Mit vier Jahren ins Waisenhaus

Buhl wurde 1924 als jüngstes von vier Geschwistern geboren. Mit vier kam er nach dem Tod seiner Mutter in ein Waisenhaus, zwei Jahre später nahm ihn eine Tante auf. Der drahtige, angeblich schüchterne Bub unternahm Touren in den Tuxer Alpen und im Karwendel, ehe er als Alpenvereinsmitglied seine Kletterfähigkeiten perfektionierte. Nach einer Lehre zum Speditionskaufmann war er im Krieg als Gebirgsjäger in Italien stationiert. Nach amerikanischer Kriegsgefangenschaft verdiente er sich seinen Lebensunterhalt mit Gelegenheitsjobs und schloss die Ausbildung zum Bergführer ab. 1951 heiratete er Eugenie aus Ramsau in Berchtesgaden, wurde Vater dreier Töchter und arbeitete als Bergsport- und Ausrüstungsberater in einem Sporthaus sowie als Tourenführer.

Neben Kurt Diemberger (91) ist Buhl der einzige Erstbesteiger von zwei Achttausendern. Der Sherpa Gyalzen Norbu (gestorben 1961) war 1955 der erste Mensch, der auf den Gipfeln von zwei Achttausendern (Makalu und Manaslu) stand. Während er bei der Erstbesteigung des Manaslu dabei war, stand er einen Tag nach der Erstbesteigung auch am Makalu.

Buhl hatte mit Diemberger, Marcus Schmuck (gestorben 2005) und Fritz Wintersteller (gestorben 2018) bei der Gipfelpremiere am Broad Peak (8051 m) Anfang Juni 1957 im Karakorum erstmals einen Achttausender im Westalpenstil, ohne Flaschensauerstoff und Hochträger bezwungen. Messner perfektionierte später diesen Stil.

Mit einer Wechte in den Tod gestürzt

Am 27. Juni 1957 stürzte Buhl bei Schneegestöber während des Abstiegs von der Chogolisa (7668 m) in Pakistan mit einer Wechte in den Tod, als er dem vorangehenden Diemberger folgte. 2019 sagte der Kärntner Diemberger dem STANDARD: "Für mich war Hermann wie ein Bergvater. Ich habe ihn sehr geschätzt. Leider ist er auf der Chogolisa auf die falsche Seite aus der Spur gegangen."

Buhl wurde nie gefunden. Der am Nanga Parbat zurückgelassene Pickel wurde später der Witwe Buhl überreicht. Tochter Kriemhild, die zwei Bücher über ihren Vater verfasste, stellte ihn später für das Messner Mountain Museum auf dem Südtiroler Kronplatz zur Verfügung. Und in Innsbruck wurde der Vorplatz der Hungerburgbahnbergstation 2012 nach Buhl benannt. (Thomas Hirner, 3.7.2023)