Christian Wehrschütz
"Der Fehler wird mir eine Lehre sein, der erste in 23 Jahren Korrespondent", schrieb Christian Wehrschütz auf X, vormals Twitter.
APA/FLORIAN WIESER

Der ORF und sein Ukraine/Osteuropa-Korrespondent Christian Wehrschütz sind auf ein Fake-News-Video hereingefallen. Laut Wehrschütz, der einen Beitrag über die Korruption in der Ukraine brachte, zeigt es die Verhaftung von Ukrainern, die "nicht bereit sind, für ihr Land zu kämpfen". In Wirklichkeit handelt es sich um ein viel älteres Video, das die Festnahme eines russischen Spions durch die Ukrainer zeigt.

Der ORF hat anfänglich patzig reagiert, gab aber dann zu, dass es sich um einen Fehler handelt. Wehrschütz bedauerte den "ersten Fehler seit 23 Jahren" und sagt, an der grundsätzlichen Richtigkeit des Beitrages – Ukrainer versuchen, durch Bestechung dem Wehrdienst zu entgehen – ändere sich nichts.

Wehrschütz ist ein erfahrener Journalist, hat militärisches Wissen, spricht die Sprachen seines Berichtsgebiets und berichtet seriös (und mutig) aus dem Ukrainekrieg. Dass er einen speziellen inneren Zugang zu dem Thema hat, merkt man bei seinen anderen Publikationen. Ende Juli veröffentlichte er in der Sonntags-Krone einen Gastkommentar, der mit "Von Vilnius zum Vasallen der USA" übertitelt war. Kurzfassung: Die Ukraine – und die ganze EU – hätten sich schon seit mindestens zehn Jahren zum Vasallen der USA entwickelt. Beim EU-Gipfel 2013 im litauischen Vilnius seien die Weichen dafür gestellt worden, die Ukraine aus Wladimir Putins Einflussbereich herauszubrechen. Das – so muss man Wehrschütz lesen – habe Putin natürlich nicht dulden können, und so habe das Unheil seinen Lauf genommen. Als Kronzeugen führt Wehrschütz mehrere US-Autoren des europäischen Thinktanks European Council of Foreign Relations an, die davor warnen, dass die EU durch den Krieg immer mehr zum "Vasallen" der USA würde.

Prorussische Desinformationskampagne

Das ist eine theoretisch denkbare Sichtweise, die sowohl von weit rechts als auch weit links stehenden europäischen Akteuren geteilt wird. Es ist aber viel eher ein Faktum, dass das Konzept eines "großen Arrangements" mit Putin, das "Russlands berechtigte Interessen" berücksichtigt, sich als Chimäre herausgestellt hat. Dass Putin diesen Wahnsinnskrieg eigentlich gegen "den Westen" führt, von dem er sich in seinen Ambitionen behindert fühlt. Und dass Europa die USA braucht, um Putins Dominanzstreben abzublocken.

Hintergrund von alledem ist aber, dass seit langem eine ganz massive prorussische Desinformationskampagne läuft, um die Putin-Versteher unter den Europäern zu bestärken. Das von Wehrschütz verwendete Video gehört dazu. Täglich werden auch in Österreich Redaktionen von (meist rechten) Bloggern mit Mails und Links bombardiert, die alle eines sagen: Die Unterstützung für die Ukrainer ist sinnlos, die verdienen das gar nicht, die USA und die Nato verfolgen ihre eigenen finsteren Ziele, und würden wir uns nur mit Putin arrangieren, wäre alles gut.

Dieser Spin ist auch in etablierten Medien zu finden. In Österreich etwa in dem Blog Exxpress und in der Schweizer Weltwoche, deren Chef Roger Köppel kürzlich eine Huldigungsreise nach Moskau absolvierte und sich darüber mokiert, dass junge Ukrainer in einem Strandklub in Kiew feiern. Die Zeit schreibt dazu von "Niedertracht am Schreibtisch": "Die Menschen im Land leiden und sterben. Aber sie leben auch … Es ihnen vorzuwerfen, ist niederträchtig".

Diese meist von politischen und/oder wirtschaftlichen Interessen befeuerte Niedertracht ist stark verbreitet, mehr als viele glauben. Seriöse Journalisten und interessierte Bürger müssen sehr aufpassen, darauf nicht hereinzufallen. (Hans Rauscher, 18.8.2023)