Jazzfestival Saalfelden
Zwei Frauen dominieren im Quartett: Pianistin Myra Melford und Schlagzeugerin Allison Miller.
jazzfest saalfelden

Die Politik wird zum Festivalstart in Saalfelden oft freundlich ertragen. Einst war auch der jetzige Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) mit eröffnend-aufmunternden Worten zugegen. Immerhin: Haslauer war 2005 maßgeblich dafür mitverantwortlich, dass das Festival nach einem Jahr Pause und Finanzproblemen wiederbelebt wurde. Doch auch die verglühte einstige SPÖ-Hoffnung Christian Kern outete sich hier als Jazzfan. Vor Nationalrats- und Landtagswahlen ist halt immer hoher Besuch da.

Heuer, weil unmittelbar keine Wahl ansteht, ist politisch konsequenterweise alles etwas bescheidender. Den Ort inmitten der Pinzgauer Bergwelt besuchte – statt Kulturlandesrat Stefan Schnöll, der bereits am Donnerstag anwesend war – am Eröffnungstag (Freitag) die Abgeordnete zum Salzburger Landtag Camilla Schwabl, die Bereichssprecherin nicht nur für Jagd und Sport ist, sondern auch für Finanzen. Faule Eier flogen der Politikerin im Congress Saalfelden nicht entgegen. Ihre herzlichen Worte wurden nur durch kurze Soloschreie eines Mannes irritiert. Mutmaßlich war das ein Protest gegen die schwarz-blaue Koalition im Land und jedenfalls sicher keine vokale Aufwärmübung des Schweizers Andreas Schaerer.

Ein Hauch von Pop

Der Stimmkünstler, der zwischen allerlei instrumental anmutenden Stimmbandtechniken changiert, sollte später auf der Hauptbühne seiner Sehnsucht nach simplen Songformen freien Lauf und die Politik unerwähnt lassen. Mit dem Gitarristen Kalle Kalima und Bassisten Tim Lefebvre hauchte er Balladen, die an Sting-Songs erinnerten, als hätte sie Soft-Mashine-Sänger Robert Wyatt düster-dissonant neu arrangiert und punktuell zur Sound-Dekonstruktion freigegeben.

Interessante Sache, wie auch jene – wenn wir schon bei eher zugänglichen Auftritten sind – des Trios Brekky Boy rund um Pianist Taylor Davis. Ausgehend von kitschig-entschleunigter Lounge-Haltung steigert sich das Trio zu rhythmisch vertrackten und ruppig modulierenden Momenten der Impulsivität. Angenehm groovte diese Triomaschine trotz ironischer Strukturbrechung.

Ansonsten in Saalfelden – auf der Kernbühne – ein starkes Aufkommen des exzessiven freitonalen Spiels: Schon Schlagzeuger Lukas König verschmolz im Quintett bei Sound Hazard die pulsierende Energie des Spontanen mit einem freejazzig-psychedelischen Expressionismus. Hochdruck-Ästhetik auch beim Trio von Pianist Leo Genovese, der mit linearen Attacken auch gut zum Trompeter Luís Vicente und dessen Trio gepasst hätte.

Kollektive Wehklagen

Mitunter klang Vincentes Band zusammen mit dem fabelhaften Saxofonisten Tony Malaby wie eine Trauercombo, die aus elegischen Weisen Verzweiflungsenergie für kollektive Wehklagen schöpfte. Die tönende Welt wirkte schön aus den Fugen geraten, und dies mitunter auch beim Lux Quartet rund um Pianistin Myra Melford und Schlagzeugerin Allison Miller. Ja, es gab idyllische Momente, die man zusammen mit Saxofonist Dayna Stephens zelebrierte. Die Extrapolationen der malerischen Themen waren dann aber oft extrovertierter Art.

Am markantesten, was Widerborstigkeit anbelangt, war aber die US-Saxofonistin Zoh Amba: Im Quartett von Bassist Lukas Kranzelbinder verschaffte sie sich mit aufmüpfiger Schrägheit lautstark Präsenz. Zusammen mit Saxofonistin Anna Högberg und Schlagzeuger Billy Martin ergab dies bei "Hymns of Past and Future" interessante Energiefelder.

Der Afrobeat erinnerte an Kranzelbinders wunderbares Projekt Shake Stew, das von Saalfelden aus zur internationalen Karriere ansetzte. Allerdings löste sich der Groove hier unerbittlich direkt in jenen freien Puls auf, der alles Musikstrukturelle negiert. So wirkte Saalfelden an seinen ersten beiden Tagen sehr oft wie eine höchst lebendige Hommage an die wilden 1960er-Jahre mit ihren Gefühlsexzessen. (Ljubisa Tosic, 20. 8. 2023)