Man könnte es auch einfach als Ritual abtun, weil man es so oder so ähnlich schon oft gesehen hat: Ein wichtiger Vertreter der taiwanischen Regierung besucht einen der wenigen verbleibenden Staaten, mit denen Taipeh noch diplomatische Beziehungen hat; er macht einen "Zwischenstopp" in den USA – freilich nicht ohne dort Reden zu halten; China reagiert verschnupft und startet Manöver. So geschehen auch dieses Wochenende, bei der Reise von Taiwans Vizepräsident William Lai, die offiziell nach Paraguay führte.

Werbefoto für die Volksbefreiungsarmee, man sieht einen schreienden Soldaten.
Chinas Propaganda – hier ein Werbesujet für die Armee – bereitet das Land auf harte Zeiten und Konflikte vor.
EPA/WU HAO

Anders ist diesmal aber der Kontext. Lai ist nicht nur Vizepräsident. Er ist auch der Spitzenkandidat der Regierungspartei DPP für die Präsidentenwahl im kommenden Jahr – eine Wahl, die er selbst als Votum zwischen Demokratie und Autokratie bezeichnete; ganz so, wie auch US-Präsident Joe Biden seine Weltsicht immer wieder umschreibt. Fest steht: China will eine weitere Präsidentschaft der DPP, deren Fernziel Taiwans Unabhängigkeit ist, unbedingt verhindern.

Doch es geht bei weitem nicht nur um Taiwan. Das strahlende Lächeln, das Biden am Freitag beim Gipfel mit Japans Premier Fumio Kishida und Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol aufsetzte, zeigte es: Dass Washington mehr Zusammenarbeit mit Tokio und Seoul erreicht hat, sieht man als Trumpf im Widerstreit mit China – auch etwa im Südchinesischen Meer. Für Europa zeigt es erneut, worauf man sich einstellen muss: Der US-Fokus verschiebt sich, Ukraine hin oder her, langfristig auf Asien. (Manuel Escher, 20.8.2023)