Akhmetshina Salzburg
Aigul Akhmetshina gibt in "I Capuleti e i Montecchi" die Hosenrolle des Romeo.
Lera Nurgalieva

Ball und Balkonszene entfallen. Romeo und Julia haben ihre erste Trennung bereits hinter sich. Julia schmachtet dem Liebestod entgegen. Romeo ist im Krieg. Die Familienfehde in Verona ist bei Bellini ein Nebenscharmützel. Die verfeindeten Familien sind vor allem unversöhnliche Parteigänger im Dauerhickhack zwischen Ghibellinen und Guelfen.

Die konzertanten Opern bei den Salzburger Festspielen sind seit jeher ein Highlight. Da gibt es Vergessenes, Rares oder als uninszenierbar Geltendes. Immer zu erwarten ist dabei ein Sängerfest. Der junge Vincenzo Bellini hat I Capuleti e i Montecchi – ein aus mehreren Quellen gezimmertes Libretto – 1830 innerhalb weniger Wochen mit vielen Anleihen bei eigenen Opern geschrieben und einen Triumph eingefahren. Wie nun auch die Crew der konzertanten Aufführung in der Felsenreitschule.

Salzburger Festspiele
"I Capuleti e i Montecchi" mitAigul Akhmetshina als Romeo und Elsa Dreisig als Giulietta (beide mittig) sowie Dirigent Marco Armiliato, der das Mozarteumorchester Salzburg dirigierte.
SF/Marco Borrelli

Der Romeo ist bei Bellini eine Hosenrolle. Mit der Mezzosopranistin Aigul Akhmetshina aus der ostrussischen Millionenstadt Ufa dürften die Festspiele wieder einmal einen künftigen Star "entdeckt" haben. Im Engagement ist die Sängerin mit stupender Technik und sagenhafter Präsenz längst zwischen Met und Covent Garden, Zürich und Rom. Ihrer reich timbrierten, spielerisch leicht in alle Lagen geführten Stimme war man jedenfalls vom ersten Takt an verfallen. Technisch "spielte" sich Aigul Akhmetshina mit den nicht geringen Anforderungen der Partie zwischen tiefem und zweigestrichenem g samt Schlenkerer zum hohen h. Stupend die Ausdruckspalette vom jungen Krieger auf Testosterontrip bis zum verzweifelt Liebenden.

Klischeehaft "weiblich"

Zum Verzweifeln ist die Bellini-Julia, die der Situation mit Zaudern (ihr privilegiertes Leben ist ihr wichtiger als die Liebe), Flehen (um die Verzeihung des Vaters, wofür auch immer) und Siechtum begegnet: Elsa Dreisig verleiht dieser klischeehaft "weiblichen" Giulietta freundliche Züge mit ruhig geführten Linien und klarer Höhe. Eindrucksvoll die vielen A-cappella-Passagen. Der Tenor Giovanni Sala singt souverän die Rolle des Tebaldo. Er ist der Wunschschwiegersohn von Capellio, einem unversöhnlichen Eiferer in politischen wie privaten Belangen: Michele Pertusi verleiht der Partie eindrückliche düstere Farben. Lorenzo, hier ein Arzt, will nicht nur den Liebenden beistehen (mit bekanntem Ausgang), sondern auch auf den fanatisierten Vater und Politiker Capellio mäßigend einwirken: Roberto Tagliavini versucht dies mit eleganter, ruhevoll geführter Stimme.

Marco Armiliato leitet mit dem oft auch erreichten Ziel spritziger Italianità das Mozarteumorchester Salzburg, welches sich üblicherweise ohne koordinative oder intonatorische Hoppalas hören lässt. Bravi dem allseits präsenten Chor. Ob Kriegsgeschrei in der Versammlung oder (als Lauscher hinter dem Vorhang) Mitleid mit Julias verzweifelter Lage: Die Herren des von Walter Zeh einstudierten Philharmonia-Chors Wien machen das so homogen wie facettenreich. Großer Beifall für alle Ausführenden, frenetischer Jubel für den Romeo von Aigul Akhmetshina. (Heidemarie Klabacher, 21.8.2023)