L'amour du Monde – Sehnsucht nach der Welt
Margaux (Clarisse Moussa) ist zwar zehn Jahre älter als Juliette (Esin Demircan), die beiden haben aber einiges gemeinsam.
mindjazz pictures/Filmdelights

Die vierzehnjährige Margaux leidet unter etwas, das einen vor allem in Teenagerjahren befällt. Einer Art "Sehnsucht nach der Welt", die man in dem Alter gerade zum ersten Mal einigermaßen selbstbestimmt zu entdecken beginnt. Wie sie diese Sehnsucht in ihrer kleinen Heimatstadt am Genfer See stillen soll, weiß sie nicht so recht.

Die Herrscherin von Atlantis

Mit ausgesucht cinephilem Programm bietet wenigstens das Dorfkino eine schöne Abwechslung: Gemeinsam mit nur drei anderen Gästen verschlägt es Margaux in den Stummfilmklassiker L’Atlantide von Georg Wilhelm Pabst, und Brigitte Helms Selbstsicherheit als Herrscherin von Atlantis sowie ihr ausdrucksstarkes Profil faszinieren die junge Kinogängerin.

Ein einzigartiges Profil besitzt Margaux (in der idealen Verkörperung von Clarisse Moussa) selbst, die Selbstsicherheit muss sie erst finden. In ihrem schlaksigen Körper mit schlenkernden Armen und Beinen geht der Teenager noch unsicher durch die Welt.

L’amour du Monde – Sehnsucht nach der Welt
Margaux.
mindjazz pictures/Filmdelights

Die Mutterlosen

Doch das Leben beginnt bereits, Margaux mit beruflichen Pflichten zu belegen: ein Sommerpraktikum in einer Auffangstätte für Kinder aus schwierigen Familien. Dort begegnet Margaux der etwa siebenjährigen Juliette (Esin Demircan), die mit ihrem ernsten Gesichtchen schon wirkt wie eine kleine Erwachsene im Kinderkörper.

Juliette ist klug, trotzig und einsam. Ihr Vater lebt im Gegensatz zu ihrer Mutter zwar noch, ist aber unzuverlässig und versetzt seine kleine Tochter regelmäßig. Margaux nimmt sich der Kleinen an. Auch sie hat nur noch ihren Vater, der gerade frisch verliebt ist und kaum Zeit für seine Tochter aufbringt. Margaux weiß, dass Juliette vor allem Aufmerksamkeit braucht – die schenkt sie ihr.

Drei wandernde Seelen

Das Duo ist sich ähnlicher, als es Margaux’ Chef recht ist: Beide verbringen gern den Tag am See, ohne sich an Vereinbarungen zu halten. Am Wasser treffen sie auf den Fischer Joël (gespielt vom Tänzer Marc Oosterhoff): Der ist Anfang dreißig, schön wie ein Gott, aber auch etwas grantig. Auch er hat seine Mutter verloren und hadert mit seinem Vater. Der nämlich möchte, dass Joël dauerhaft aus Indonesien zurückkehrt, wohin er ausgewandert ist, um als Tauchlehrer zu arbeiten.

Nirgendwo sonst können Margaux und Juliette die Enge ihrer Welt besser vergessen als auf Joëls Boot, von dem aus die den schillernden Genfer See umringenden Bergketten fern wie im Traum wirken. Passend zur verträumten Stimmung: die gezupften Gitarrenklänge von Cédric Blaser.

VINCA FILM

Neue Stimme im Schweizer Kino

Jenna Hasses auf der diesjährigen Generationen-Sektion der Berlinale mit einer besonderen Erwähnung ausgezeichnetes Filmdebüt lebt von der Dynamik der drei Protagonisten, die bei aller Gemeinsamkeit völlig unterschiedliche Perspektiven auf das Leben haben. Mit der titelgebenden Liebe zur Welt (und zu den Träumen dahinter) blickt die Schweizer Regisseurin und Drehbuchautorin auf ihre Figuren Margaux, Juliette und Joël, die bis zuletzt bezaubernd, unberechenbar und durch und durch echt sind. (Valerie Dirk, 22.8.2023)