Wo sie sonst ihre Amadeus Awards in Empfang nimmt, trat Christina Stürmer am Dienstag Unplugged auf: Im Volktheater. Live-Fotos gibt es (leider) erst nach dem heute stattfindenden zweiten Konzert.
Wo sie sonst ihre Amadeus Awards in Empfang nimmt, trat Christina Stürmer am Dienstag unplugged auf: im Volktheater. Live-Fotos gibt es (leider) erst nach dem heute stattfindenden zweiten Konzert.
IMAGO/SKATA

Das Setting ist auf Gemütlichkeit ausgerichtet: eine alte Ledercouch, Tischchen, 1970er-Jahre-Lampen, Kramuri, Teppiche und eine Sammlung von Fundstücken bis hin zu einem verbeulten Kaugummiautomaten. So könnte ein Proberaum überall auf der Welt aussehen, an den das Bühnenbild begrenzenden Wänden hängen Gitarren und Memorabilia. In diesem Rahmen und mit sechs Musikerinnen und Musikern sowie vier Backgroundstimmen im Rücken betrat am Dienstag Christina Stürmer die Bühne des Volkstheaters. Dort nahm sie am ersten von zwei Abenden das erste von zwei Konzerten auf: für die Reihe MTV Unplugged. (Das ist der Grund, warum es keine aktuellen Livefotos gibt, diese werden erst nach Ende der zweiten Aufzeichnung freigegeben.)

Und es dauerte nicht lange, bis die Erkenntnis einsetzte, dass der einstige Retortenstar aus der ORF-Castingshow Starmania nun endgültig neu zu bewerten ist. Der Abend war ein Triumph für Stürmer. Nach einigen Jahren Absenz markieren diese Auftritte und das daraus zusammengestellte Album (es erscheint im November) ein Comeback – und eine künstlerische Zäsur.

Unter der Regie von Ingo Pertramer erlebte man eine so intime wie mitreißende Darbietung, deren Atmosphäre selbst die der TV-Aufzeichnung geschuldeten längeren Pausen nicht abträglich waren. Stürmer saß über weite Teile der Show im Zentrum der Bühne auf einem Würfel, sang, charmierte im Smalltalk mit dem Publikum und bewies Humor.

"Wia de Wintasun"

Nach einigen Liedern ging die Tür im Bühnenhintergrund auf, und der erste Gast des Abends trat ein: Auf dem Würfel neben Stürmer nahm die Schauspielerin Ursula Strauss Platz und sang mit ihr im Duett Unsere besten Tage. Instrumentiert mit akustischen Gitarren, gefühlvollem Vibrafon, Klavier (an den Tasten Maria Solberger von Naked Cameo) war das eine erste Steigerung im Programm.

Bald darauf ging die Tür erneut auf – und das Publikum an die Decke: Wolfgang Ambros trat ein. "Er mag mich auch, glaub ich", sagte Fangirl Stürmer in ihrer Moderation. Gemeinsam sangen sie eine berührende Version von Du bist wia de Wintasun. Ambros, souverän, blies dazu Schwermut durch seine Mundharmonika. Am Ende erhob sich der Saal. Spätestens in diesem Moment war jedem klar, das ist heute etwas Besonderes. Und das sollte sich sofort bewahrheiten. Aufgrund eines kamera- oder aufnahmetechnischen Problems musste der Song wiederholt werden – und er war in der zweiten Version noch besser. "Eigentlich kömma jetzt heimgehen", sagte Stürmer, nachdem der Applaus langsam, sehr langsam, abgenommen hatte und Ambros abgegangen war. Doch das wäre schade gewesen.

Denn trotz eingestandener Nervosität fand Stürmer spürbar zu sich, empfing den Zuspruch des Saals, strahlte. Nächster Höhepunkt? Der kam sofort. Die Band spielte Ich hör auf mein Herz in einer lässig sommerlichen Reggaeversion, als ein Kunstgriff Pertramers den Saal staunen machte. In einer Loge rechts im ersten Rang erhob sich ein dreiköpfiger Bläsersatz und gab dem Song, was ihm gefehlt hatte. Noch mehrmals sollten die drei sich im Laufe des Abends erheben, immer mit Mehrwert, immer trugen sie die richtige Dosis Gefühl auf. Nicht einmal zu dick, stets elegant, einmal angemessen träge, dann wieder mit richtig Druck.

Neues Make-up

Anders als in nicht fürs Fernsehen aufgezeichneten Shows kam es zu launigen Unterbrechungen. Da wurde Stürmers Make-up erneuert, ein anderes Mal musste sie sich mit dem Rücken zum Publikum der von hinten kommenden Kamera zeigen. Doch das störte nicht, es arbeitete der Besonderheit des Abends zu, der weitgehend im Fach eines flockigen Folk-Pop sein Heil fand.

Die unter dem Eindruck des Irakkriegs entstandene Ballade Mama (Ana Ahabak) gab sie auf den Stufen zum Publikum sitzend, lediglich von Klavier und Vibrafon begleitet. Auf Party bog die Darbietung mit Deine Freunde ab. Das ist ein deutsches Hip-Hop-Trio, das vornehmlich für ein sehr junges Publikum musiziert und das Stürmer, wie sie sagte, ohne den Umstand, Mama geworden zu sein, vielleicht nie wahrgenommen hätte. Im gemeinsam dargebotenen Keine Märchen zeigte sie sich als begabte Rapperin, doch schon allein der Spaß und die Energie der Gäste machten den Song zum Highlight.

Scharfe Bläser

Das Lied Ich kriege nie genug fuhr als scharfe Salsa in den Saal, wieder erhoben sich die (scharfen) Bläser, und gegen Ende kam, was kommen musste: Die deutsche Band Sportfreunde Stiller betrat die Bühne.

Mit ihr sang die 41-Jährige den Song Ein Kompliment, mit dem sie einst bei Starmania angetreten war. "Ohne die würde ich nicht tun, was ich tue", sagte Stürmer. Das Publikum war in Ekstase, Stürmer sichtlich gerührt. Der Abend erschien da längst als ein kleines Gesamtkunstwerk. Stürmer, die als erste deutschsprachige Musikerin in die 1989 etablierte MTV Unplugged-Reihe eingeladen worden war, erwies sich als würdige, sympathische und eindringliche Sängerin, ihre Band als exzellent. Obligatorisch gab das Ensemble am Ende Engel fliegen einsam. Vielleicht nicht ihr bestes Lied, aber an diesem Gänsehautabend in ihren Songs fehlenden Tiefgang suchen zu wollen wäre wahrlich vermessen gewesen. (Karl Fluch, 23.8.2023)