Oliver Anthony (li.) schießt dank konservativer Fans an die Spitze der US-Charts.
Oliver Anthony (li.) schießt dank konservativer Fans an die Spitze der US-Charts.
AP/Kendall Warner

Schon die Farbe seines Haares und seines Vollbarts verweist auf seine Herkunft. Oliver Anthony stammt aus dem Rustbelt, dem Rostgürtel, aus dem US-Bundesstaat Virgina. Dort lebt er in einem Wohnwagen in der Einschicht, und ebendort hat er ein Lied aufgenommen, das vorbei an Stars wie Taylor Swift an die Spitze der Billboard-Charts geschossen ist: Es heißt Rich Men North of Richmond, und der ungefähr 30-Jährige singt es mit Hingabe allein zur Gitarre als Country-Folk-Song.

Er beklagt die Inflation, empfindet die Steuern als zu hoch und die staatliche Krankenversicherung als Zumutung. Er singt, dass nichts mehr so sei wie früher, und rückt Politiker in die Nähe von Kinderschändern. Er ist also mehr oder weniger ein ganz normaler US-Hinterwäldler mit Internetanschluss, den er zum Konsum von Verschwörungstheorien verbreitender Podcasts benutzt.

Konservative Politiker vereinnahmten den als Christopher Anthony Lunsford geborenen Hobbymusiker als Stimme des arbeitenden Volks. Er selbst bezeichnete sich bloß als einen Idioten, der nicht besonders gut Gitarre spielen könne. Er habe mit Depressionen zu kämpfen, mit Suchtproblemen und in Gott einen Ausweg gefunden. Ein amerikanisches Klischee, wie es millionenfach vorkommt.

Oliver Anthony - Rich Men North Of Richmond
radiowv

Doch in der tiefgespaltenen US-Gesellschaft sucht das von Konservativen infiltrierte Netz nach solchen Phänomenen, befeuert sie und benützt sie für ihre Agenda. Da hilft es nichts, wenn Anthony nun sagt, er stünde politisch eigentlich in der Mitte. Seine Themen und sein im Gut-böse-Schema vorgetragenes Lied, das die an allem Schuld Habenden in den sogenannten Eliten festmacht, sind klar einer rechtskonservativen Diktion entnommen.

Der Erfolg des Mannes ist demnach weniger Ausdruck eines Interesses an seiner einfachen Kunst, sondern lediglich eine Fortsetzung der Politik, wie sie die USA auch in anderen Bereichen der Unterhaltungsindustrie erleben. Alles wird politisiert – Sport, Hollywood und eben die Musikindustrie.

Anthony soll derweil einen Acht-Millionen-Dollar-Vertrag abgelehnt haben, verifizieren lässt sich die Geschichte nicht. Aber sie zeigt, mit welcher Hysterie kleinste Youtube-Bäuerchen hochgekocht werden, wenn sich die Politik davon Wasser auf ihre Mühlen verspricht. An die besungenen Arbeiter denkt von den Republikanern niemand – geschweige denn, dass sie deren Gewerkschaften unterstützen würden. (Karl Fluch, 22.8.2023)