Zugegeben: Große Spannung ist nicht zu erwarten, wenn in der Nacht auf Donnerstag die erste TV-Debatte der Republikaner für die amerikanische Präsidentschaftskandidatur über die Bühne geht. Das liegt daran, dass der haushohe Favorit fehlt: Ex-Präsident Donald Trump hat bereits vor Tagen sein Kommen abgesagt. Er führt im Durchschnitt aller Umfragen, den die US-Analyseseite fivethirtyeight.com errechnet hat, mit mehr als 35 Prozentpunkten vor seinem ersten Verfolger. Für ihn würde die Teilnahme an einer Debatte also höchstens Risiko bedeuten. Außerdem, so heißt es, will Trump auch Rache an dem die Debatte übertragenden TV-Sender Fox News und am Mediennetzwerk von Rupert Murdoch nehmen, das er als nicht mehr ausreichend loyal empfindet.

Für die Quoten wird das schlecht sein – zumindest aber könnte die Diskussionsqualität von Trumps Abwesenheit profitieren. Die Debatte selbst bietet damit immerhin Gelegenheit, die wichtigsten Köpfe der Republikaner abseits Trumps kennenzulernen. Der STANDARD hat einen Schummelzettel mit jenen acht Hoffnungsvollen zusammengestellt, die an der Debatte teilnehmen werden. Sortiert sind sie nach Umfragewerten.

Ron DeSantis

Ron DeSantis

So schnell kann es gehen: Nach den Midterm-Wahlen im vergangenen Herbst galt Ron DeSantis in den Augen mancher Beobachter schon fast als gesetzt. Immerhin hatten republikanische Kandidaten, die eng mit Donald Trump verbündet waren, bei der Bevölkerung schlechter abgeschnitten als prognostiziert – während DeSantis bei der Gouverneurswahl im einstigen Swing State Florida furiose 59 Prozent der Stimmen holen konnte. Umfragen unter republikanischen Wählerinnen und Wählern zeigten DeSantis daraufhin fast gleichauf mit Trump. Und dann begann der Abstieg.

Wieso genau der Gouverneur mittlerweile nur noch 15 Prozent der Wählerinnen und Wähler hinter sich weiß, gilt als Rätsel. Vermutlich aber handelt es sich um eine Kombination mehrerer Faktoren. DeSantis verfing sich nach seiner Wiederwahl in einem kleinlichen Konflikt mit dem Medienkonzern Disney, der ihn nicht als starken Politiker, sondern als nachtragenden Mikromanager dastehen ließ – und den er noch dazu verlor. Zugleich setzte er noch stärker als zuvor auf Kampagnen gegen die angebliche Woke-Ideologie. Das stellte sich als Feindbild heraus, das bei vielen weniger stark zog als angenommen. Zudem ließ es ihn als Hardliner genau bei jenen Wählerinnen und Wählern dastehen, die eine gemäßigte Alternative zu Trump suchten. Und schließlich ist da noch DeSantis selbst: Der Yale-Absolvent lässt im Wahlkampf immer wieder erkennen, dass Smalltalk mit dem Wahlvolk ebenso wenig seine Stärke ist wie spontane Antworten auf Interview-Fragen.

Vivek Ramaswamy

Vivek Ramaswamy

Noch sind die Umfragewerte zwar einigermaßen bescheiden. Vielen gilt Vivek Ramaswamy aber dennoch schon jetzt als Überraschung des republikanischen Kandidatenfeldes. Immerhin hat sich der Sohn indischer Einwanderer von einem weitgehend Unbekannten innerhalb von einem Jahr zum ersten Verfolger DeSantis' hinaufgearbeitet. So wie der Gouverneur Floridas besuchte auch der heute 38-Jährige die Elite-Uni von Yale. Später machte er Karriere als Investmentbanker. Und vielleicht stammt auch aus dieser Zeit eine kompromisslose Schwarz-Weiß-Sicht der Welt, wie man sie auch im republikanischen Kandidatenfeld noch selten findet.

Einen Namen nämlich hat sich Ramaswamy vor seiner Kandidatur vor allem durch die Veröffentlichung eines Buches gemacht, in dem auch er die angebliche Woke-Ideologie kritisiert. Seiner Ansicht nach hemmt jeder Politik-Ansatz, mit dem schwächere Gesellschaftsgruppen unterstützt werden – darunter auch Maßnahmen gegen den Rassismus – die Exzellenz auf dem Weg zu wirtschaftlichem Erfolg. Die Macht des Präsidenten würde er im Falle eines Wahlerfolges hingegen durch Dekrete ausbauen, sodass er deutlich geringerer Kontrolle durch den Kongress oder Gerichte unterworfen wäre. In diesem Sinne würde er auch mehrere Behörden – darunter das FBI und die Steuerbehörde IRS – auflösen und das Wahlalter auf 26 Jahre erhöhen. Davon ausgenommen sollen nur Mitglieder des Militärs, Mitarbeitende in Freiwilligenorganisationen und solche Personen sein, die einen Bürgerschaftstest bestanden haben.

Konzessionen würde er hingegen gegenüber Russland machen, bisher besetzte Gebiete der Ukraine würde er Moskau überlassen. Ebenso plant er die US-Unterstützung für Taiwan einzustellen und stattdessen "alle Haushalte in Taiwan mit einer Waffe auszustatten". Abtreibung lehnt der ansonsten Libertäre selbstverständlich ab, an der Klimakatastrophe sieht er "nicht nur schlechte Seiten".

Mike Pence

Mike Pence 2024

Jahrelang galt er als farbloser Fundi, der im Amt des Vizepräsidenten vor allem streng nach Donald Trumps Pfeife tanzte. Farblos und strengkonservativ ist Pence geblieben. Von Trump aber hat er sich losgesagt, seitdem er sich im Jänner 2021 weigerte, Trumps Wahlfälschungswünsche zu erfüllen, und dafür von dessen Fans mit dem Tod bedroht wurde. Im Feld seiner Konkurrentinnen und Konkurrenten hebt er sich auch damit ab, dass er weiterhin deutliche Unterstützung für die Ukraine signalisiert und das Land vor einigen Wochen sogar besuchte.

Im Wahlkampf zieht Pence mit dieser Mischung bisher nur Minderheiten der republikanischen Wählerschaft an – was nicht so bleiben muss. Chancen hätte er dann, wenn er sich in der TV-Diskussion als einziger "normaler" Kandidat darstellen kann, der bis in die Mitte der amerikanischen Gesellschaft Wählerinnen und Wähler anziehen kann. Einfluss über Umwege könnte Pence auch noch anders nehmen: Nämlich dann, wenn im Zuge seiner Kooperation mit den Ermittlungen zum Kongresssturm neues belastendes Material gegen Donald Trump auftaucht, das diesem auch unter Republikanern schadet.

Nikki Haley

Nikki Haley

Auch Nikki Haley gab einst die Trump-Bewunderin – und als dessen Botschafterin bei den Vereinten Nationen konnte sie den Präsidenten immerhin so beeindrucken, dass er sie im Kabinettsrang anstellte. Später zog sich die einstige Gouverneurin in South Carolina, die damals als Mainstream-Republikanerin amtiert hatte, von ihrem Posten zurück – allerdings ohne deutlich zu machen, wieso. Schon damals gab es Gerüchte, dass die ambitionierte Tochter indischer Eltern den Griff nach der Präsidentschaftswürde wagen könnte.

Für sie spricht ihre große politische Erfahrung und auch, dass sie trotz reichlich konservativer Einstellungen durchaus Potenzial hat, in Kreise der Mitte-Wähler hineinzuwirken. Auch vertrat sie in ihrer Zeit als Gouverneurin einige durchaus mutige Positionen. So ließ sie die Konföderierten-Flagge vom Staatskapitol in Columbia entfernen. Weniger überzeugend war es, als die 51-Jährige ihre Kampagne auf der Forderung aufbaute, es sei "Zeit für eine neue Generation". Es war ein Versuch, ihre Ambitionen zu begründen, ohne dafür Trump kritisieren zu müssen.

Chris Christie

Chris Christie Campaign Announcement & Town Hall
Chris Christie

Der einstige Gouverneur von New Jersey ist vielleicht jener Kandidat, der Trump in der Wahlkampagne am härtesten attackiert. Die Verweigerung des Ex-Präsidenten, an der Debatte teilzunehmen, quittierte er mit "typisch für den Feigling". Auch sonst greift Christie Trumps Charakter in aller Deutlichkeit an. Für den 60-Jährigen, der einst als vergleichsweise liberaler Republikaner reagiert hat, ist es die dritte Chance, Präsident zu werden. Die erste – eine Kandidatur am Höhepunkt seiner Popularität 2012 – verspielte er selbst, weil er sich nicht in einer Wahlkampagne gegen Barack Obama verbrauchen wollte. 2016 trat er zunächst nicht unerfolgreich an, seine Angriffe auf den Senator Floridas, Marco Rubio, kosteten diesen die Chancen auf eine Kandidatur.

Gegen Trump aber war Christie letztlich machtlos – als er im späteren Verlauf der Wahlkampagne mit steinerner Miene eine Wahlempfehlung für seinen Gegner abgab, wirkte die Szene fast wie in einem Geiselvideo. Hoffnungen Christies, in Trumps Regierung mitzumischen, machte Trumps Schwiegersohn Jared Kushner zunichte. Christie nämlich wirkte einst als junger Staatsanwalt an der Anklage gegen Kushners Vater wegen Finanzvergehen mit, derentwegen dieser zwei Jahre in Haft saß.

Tim Scott

Tim Scott

Der Senator aus South Carolina sticht aus dem Kandidatenfeld heraus. Nicht nur, weil er der bisher einzige Afroamerikaner unter den ernsthaften Kandidaten ist, sondern auch wegen seiner Kampagne: Anders als Trump, DeSantis und Ramaswamy setzt er nicht auf Angst und Konfrontationen, sondern auf das, was man klassischerweise als konservativ-amerikanische Werte versteht: Möglichkeiten zum Aufstieg – die er auch durch seine Biografie verkörpert – und die Freiheit im konservativen Sinne, also jene von den Zwängen des Staates.

Als Republikaner alten Schlages, den auch viele Demokraten als nett und verbindlich beschreiben, ist Scott auch einer der Favoriten unter den traditionellen Parteispendern. Sie versprechen sich – in einer eher zynischen Rechnung – von ihm auch wegen seiner Hautfarbe das Potenzial, neue Wählerschichten für die Partei zu erschließen. Eine direkte Konfrontation zu Donald Trump hat Scott bisher allerdings selten gesucht.

Asa Hutchinson

PBS NewsHour

Der frühere Gouverneur von Arkansas träumt davon, die Republikanische Partei wieder zu jener konservativen Gruppierung zu machen, die sie in den 1990er- und 2000er-Jahren war. Er bewirbt sich als "Asa 2024" für die Wahl und hat in einem Interview unter anderem einen Rückzug Donald Trumps aus der Wahlkampagne gefordert, solange dieser unter Anklage stehe. Ob dafür eine Mehrheit in der Republikanischen Partei besteht, ist fraglich – oder, genauer gesagt, auf Basis aktueller Ereignisse eher unwahrscheinlich.

Bei der Debatte ist er dabei, weil er die formalen Kriterien gerade so erfüllt hat. Diese sind: Spenden von mindestens 40.000 unterschiedlichen Menschen, Umfrageergebnisse oberhalb von einem Prozentpunkt in einem Staat, in dem 2024 früh eine Vorwahl stattfindet, und das Versprechen des Kandidaten, im Fall seines Ausscheidens den letztlichen Sieger der Vorwahl zu unterstützen.

Doug Burgum

PBS NewsHour

Ähnliches wie für Hutchinson spricht auch für Burgum, einen Software-Millionär, der seit 2016 den Bundesstaat North Dakota führt. Dort konnte er auch bei der bisher letzten Wahl im Jahr 2020 rund 235.000 der insgesamt 358.000 Wählerinnen und Wähler in dem kleinen und sehr republikanischen Bundesstaat überzeugen. Er selbst unterstützte im Jahr 2016 und 2020 Donald Trump, auch Trump unterstützte umgekehrt 2020 die Wahl Burgums. Wieso, ist nicht ganz klar, denn auch wenn Burgum durchaus konservative Positionen in sozialen und wirtschaftlichen Themen vertritt, gilt er selbst eher als relativ farbloser Technokrat.

Und sonst?

Neben diesen acht Kandidaten treten auch der Trump-kritische frühere Geheimdienstler und Abgeordnete Will Hurd sowie der Crypto-Freund und Bürgermeister von Miami, Francis Suarez, an, die beide allerdings nicht die nötigen Hürden für die Diskussionsteilnahme überschritten haben und auch in Umfragen keinen Erfolge feiern. Dazu kommt Perry Johnson, der, so Wikipedia, mehrere Bücher über internationale Standards zur Qualitätskontrolle verfasst hat und 2022 als Kandidat für das Gouverneursamt von Michigan wegen mutmaßlich gefälschter Unterstützungsunterschriften disqualifiziert wurde.

Kann das alles sein? Möglicherweise nicht. Es halten sich hartnäckig Gerüchte, dass Medienmogul Rupert Murdoch nach einer Alternative zu Donald Trump sucht. Er soll dafür unter anderem Gespräche mit dem Gouverneur von Virginia, Glenn Youngkin, und dem Gouverneur von Georgia, Brian Kemp, führen. Beide sind laut amerikanischen Medienberichten von der Idee aber nicht sehr angetan. Sollte sich ein Meinungswandel einstellen: Die Frist für die Registrierung als Kandidat läuft auch in den restriktivsten Staaten noch bis Mitte Oktober. (Manuel Escher, 23.8.2023)