British Museum Skandal
Entwendete Kunstgegenstände und chaotisches Management: Im British Museum sind nicht nur die Furien des Verschwindens am Werk, sondern es brennt den Verantwortlichen der Hut.
EPA/TOLGA AKMEN

Der Skandal um die verschwundenen und auf Ebay verkauften Sammlungsstücke des British Museum (BM) weitet sich aus. Vergangene Woche hatte die ehrwürdige Institution suggeriert, der Klau sei erst in diesem Jahr aufgefallen. Jetzt zeigen der BBC vorliegende E-Mails: Bereits vor zweieinhalb Jahren, seit Februar 2021, lagen der Museumsspitze um den deutschen Direktor Hartwig Fischer detaillierte Hinweise vor, die einen Chefkurator schwer belasteten. Doch erst als sich der Hinweisgeber an den Aufsichtsrat wandte, kam Bewegung in die Untersuchung. Die Reputation des weltweit bekannten "Museums für die ganze Welt", wie sich das Haus gern selbst lobt, stehe auf dem Spiel, glaubt der frühere Labour-Kulturminister Ben Bradshaw.

In der sorgfältig kuratierten BM-Mitteilung war von bis zu 3.500 Jahre alten historischen Objekten die Rede. Die meisten der "gestohlenen, beschädigten oder fehlenden" Gegenstände, darunter Goldschmuck und Halbedelsteine, seien der Öffentlichkeit nicht zugänglich gewesen, sondern in den Lagerräumen des Komplexes im Londoner Stadtteil Bloomsbury aufbewahrt worden. "Ein Mitarbeiter wurde entlassen, das Museum wird ihn verklagen." Die Angelegenheit werde nun von der zuständigen Dienststelle bei Scotland Yard untersucht. Natürlich handle es sich um "einen höchst ungewöhnlichen Zwischenfall", ließ sich BM-Direktor Fischer zitieren.

Gut möglich. Selbst wenn britische Presseberichte stimmen, die von mehr als 1.500 Objekten schreiben – das 1753 gegründete Haus verfügt über rund acht Millionen Gegenstände. Rund drei Millionen, mehr als ein Drittel, sind bis heute nicht digital katalogisiert.

Erheblicher Reputationsschaden

Der Reputationsschaden bleibt erheblich. Mag sich das Haus auch kürzlich von seinem Gründervater Sir Hans Sloane (1660–1753) und dessen "ausbeuterischem Kontext des britischen Empire" distanziert haben, in den Diskussionen über die Rückgabe geraubter Kunstwerke an ihre Heimatländer pflegte das BM stets vornehme Zurückhaltung. Gern verwendeten die Kunstmanager auch den Hinweis, bei ihnen seien die aus aller Welt zusammengekommenen Gegenstände wenigstens sicher verwahrt. Prompt machen sich jetzt prominente Griechen wie Ex-Kulturministerin Lina Mendoni über die Sicherheitsprobleme lustig. Griechenland fordert seit Jahrzehnten die Rückgabe der Parthenon-Skulpturen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter Lord Elgins Anleitung aus der Athener Akropolis gebrochen wurden.

Von dieser Zeitung schon vor Jahren am Rande einer Ausstellung auf den eklatanten Fall angesprochen, wiederholte BM-Direktor Fischer die erprobten Argumente seines Hauses: Man dürfe nicht ausschließen, dass Elgins Vandalismus noch größeren Schaden vom berühmten Tempel abgewendet habe, der doch vom damaligen Osmanischen Reich vollkommen vernachlässigt worden sei. Zudem sei die Zuständigkeit heutiger Nationalstaaten gar nicht unbedingt gegeben. Einer griechischen Zeitung gegenüber bezeichnete Fischer Elgins Vorgehen als "kreativen Akt".

Nun wirft die Diebstahlsaffäre einen schwarzen Schatten auf Fischers ohnehin zu Ende gehende Amtszeit. Der international renommierte Kunsthistoriker steht seit April 2016 dem heiligen Gral britischer Museumskunde mit seiner grandiosen Sammlung von Skulpturen, Manuskripten und Antiquitäten vor. Der Direktorenposten muss vom Premierminister abgesegnet werden. Den Aufsichtsrat leitet seit einiger Zeit der frühere Tory-Finanzminister George Osborne.

Auf Granit gebissen

An diesen wandte sich im Herbst vergangenen Jahres der dänische Kunstexperte Ittai Gradel mit seinen detaillierten Anschuldigungen, mit denen er zuvor achtzehn Monate lang beim BM-Management auf Granit gebissen hatte. Vizechef Jonathan Williams sprach in seiner Antwort auf Gradels ursprüngliche E-Mail im Juli 2021 von einer "gründlichen Untersuchung", diese habe keine Hinweise auf Fehlverhalten zutage gefördert. Auch Direktor Fischer schrieb von einem "Mangel an Beweisen". Erst im Jänner dieses Jahres wurde die Angelegenheit der Kripo übergeben. Vergangenen Monat entließ das BM einen seiner Chefkuratoren, wenige Tage später kündigte Fischer seinen Rücktritt an. Letztere Entscheidung habe mit der Affäre nichts zu tun, hat Osborne der BBC mitgeteilt.

Den entlassenen Kurator haben britische Medien als Peter Higgs (56) identifiziert. Dessen 21-jähriger Sohn Greg bestätigte die Kündigung gegenüber Times und Telegraph und fügte hinzu: "Er kann's nicht gewesen sein. Er hat dort 30 Jahre ohne jeden Zwischenfall gearbeitet." Tatsächlich war Higgs als Leiter der griechischen Sammlung und Autor von Fachliteratur, nicht zuletzt für die BM-eigenen Ausstellungen, hochangesehen.

Dass in den Katakomben der 270 Jahre alten Institution nicht unbedingt heilige Ordnung herrscht, wissen die Verantwortlichen spätestens seit 2002. Damals schmuggelte die Sunday Times einen Undercoverreporter ins Museum. Völlig unbehelligt konnte der vermeintliche Praktikant wenige Tage später das ehrwürdige Haus mit einer Statue verlassen, die auf dem Kunstmarkt fünfstellige Summen eingebracht hätte. "Da unten herrscht Chaos", ließ sich der zuständige Kurator im Blatt zitieren – niemand anders als der jetzt entlassene Higgs. (Sebastian Borger, 23.8.2023)