Kostümfilm Depp MeToo
Es geht ein Gespenst um im Haupt des Monarchen: das Feudalpatriarchat. In "Jeanne du Barry" gibt Johnny Depp neben Maïwenn den König Ludwig.
Pandafilm

Die französische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts war nicht gerade durchlässig nach oben. Adel, Kirche und Feudalbesitz verteidigten, was ihnen die angeblich gottgewollte Ordnung zugewiesen hatte. Welche Möglichkeiten hatte also eine junge Frau aus einfachen Verhältnissen wie Jeanne Vaubernier? Ihre Schönheit fällt sofort ins Auge, aber sie besteht trotzdem zuerst einmal auf einer anderen Strategie. Sie liest andauernd, selbst in der Badewanne. "Wissensdurst" nennt sie als ihre herausragende Eigenschaft. Für ihre Laufbahn als Kurtisane ist dann allerdings doch sehr stark ihre erotische Attraktion von Bedeutung.

Die Regisseurin Maïwenn legt in ihrem Film Jeanne du Barry aber viel Gewicht auf einen Zusammenhang: Sex und Libertinage sind auch eine Sache des Wissens. Maïwenn spielt selbst die Hauptrolle, sie geht von einem Stoff aus, an dem das Kino schon oft Gefallen fand. Bis zu Ernst Lubitschs Madame Dubarry aus dem Jahr 1919 gehen die Deutungen dieser historischen Figur zurück, die als Mätresse von Ludwig XV. eine Weile die inoffizielle Königin Frankreichs war – und dabei vom Hof geschnitten wurde.

Im Mai hatte Jeanne du Barry Premiere als Eröffnungsfilm in Cannes. Damals gab es Kontroversen und Applaus. Die Kontroversen hatten mit dem Hauptdarsteller Johnny Depp zu tun: Der amerikanische Star gilt vielen seit dem Scheidungskrieg mit Amber Heard als Persona non grata und "wife beater" (ein Gericht befand, dass man ihn so nennen darf).

Auf Netflix geht die Saga mit der gerade gestarteten dreiteiligen Doku Depp vs. Heard munter weiter, die sozialen Medien bleiben in der Sache betriebsam. Bei Maïwenn ist Depp nun erstmals wieder in einer großen Rolle zu sehen, wobei man in seiner teigigen Miene (Make-up trifft auf Botox) wenig lesen kann.

Kurzzeitige Verzückung

Der Ludwig, wie Depp ihn spielt, ist loyal gegenüber seiner Geliebten, die den Hof mit immer neuer maskuliner Mode verblüfft und kurzzeitig verzückt. Aber was genau in der Königlichen Majestät vorgeht, bleibt im Unklaren. Man könnte ein wenig den Eindruck gewinnen, Depp versuche, sich mit minimalem Engagement aus der Affäre zu ziehen. Ein Eindruck, den Maïwenn zuletzt indirekt bestätigt hat, als sie andeutete, dass Depp sich für den fertigen Film null interessierte – eine künftige Zusammenarbeit mit ihm schloss sie enttäuscht aus.

Es ist aber ohnehin vor allem ihr Film. Maïwenn hat sich in den MeToo-Debatten selbst auf der Seite der französischen Importunisten positioniert. Das ist eine Gruppe rund um die Schauspielerin Catherine Deneuve, die sich für die Freiheit zum "Belästigen" ("importuner") aussprachen.

Konventionelles Kostüm

Aus Jeanne du Barry macht sie nun eine Figur, die sich selbstbewusst und sexuell in jeder Hinsicht aufgeklärt in das System Versailles begibt – ohne die geringste Unterwürfigkeit, sondern von vornherein als strategisches Projekt. Die stärksten Passagen hat der Film denn auch im ersten Teil, der sehr stark auf das höfische Protokoll abhebt – nicht von ungefähr ist der oberste Kammerdiener La Borde die dritte wichtige Figur.

Als später Marie Antoinette aus Österreich einheiratet, wird Jeanne du Barry zu einem konventionellen Kostümfilm. Die "Kreatur", wie die da schon offiziell gemachte Mätresse genannt wird, hat da aber bereits gezeigt, wie Wissensdurst eine Frau befähigen kann, so weit zu kommen, wie es in einem Feudalpatriarchat eben geht. (Bert Rebhandl, 24.8.2023)