Freddie Mercury von der Band Queen beim Live-Aid-Konzert
Queen-Sänger Freddie Mercury wäre ob der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse wohl erstaunt.
IMAGO/Press Association/USA TODAY Network

Es gibt eine bemerkenswerte Anzahl an skurrilen musikalischen Studien: Erst kürzlich konnte ein Forschungsteam anhand von Gehirnströmen den Pink-Floyd-Song "Another Brick in the Wall" rekonstruieren, und es gibt eine umstrittene These, der zufolge die Beschallung mit einer gewissen Mozart-Sonate etwa die Gehirnleistung steigern und bei Epilepsie helfen soll. Aus der medizinischen Richtung kommt nun ein Vorstoß, der in der Theorie die für viele Diabetikerinnen und Diabetiker notwendige Insulinspritze ersetzen könnte: Ein Schweizer Forschungsteam entwickelte einen genetischen Schalter, der das Hormon in eigens designten insulinproduzierenden Zellen freisetzt und der durch Schallwellen umgelegt werden kann. Hervorstechende Ergebnisse lieferte dabei der Song "We Will Rock You" der britischen Rockband Queen.

Queen – "We Will Rock You" (Official Video)
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Sie das Lied noch nie gehört haben.
Queen Official

Vorab gleich der Wermutstropfen: Die klinische Anwendung des Verfahrens liegt "in weiter Ferne", wie die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich in einer Aussendung mitteilte. Prinzipiell könne ein derartiges System aber Menschen, die an Diabetes erkrankt sind und deren Körper zu wenig Insulin produziert, zu einem Leben ohne Insulinpumpe verhelfen. Das ist auch der Forschungsfokus des Teams um Studienautor Martin Fussenegger.

Zellen hören Musik

In der Forschung werde demnach seit einigen Jahren die Idee verfolgt, insulinproduzierende Designerzellen in Kapseln einzuschließen, die in den Körper implantiert werden können. Um diese Zellen zu aktivieren, wurden bereits verschiedene Auslöser getestet. Dazu gehören Licht, Temperatur und elektrische Felder.

In der aktuellen Studie haben sich die ETH-Forschenden an Musik versucht. Dazu haben sie einen Ionenkanal aus dem Bakterium E. coli in menschliche insulinproduzierende Zellen eingebracht. Dieser Ionenkanal reagiert auf mechanische Reize, zu denen auch Schallwellen gehören. Wie die Studie in der Fachzeitschrift "The Lancet Diabetes & Endocrinology" zeigte, begannen die so entwickelten Zellen nach drei Sekunden Beschallung mit einer Bassfrequenz von 50 Hertz, Insulin abzugeben.

Schema Grafik Insulinfreisetzung durch Musik
Die molekularbiologischen Details der Funktionsweise: Bestimmte Musikstücke können in den gentechnisch modifizierten Zellen einen Ionenkanal öffnen und so Vesikel dazu bringen, Insulin freizusetzen.
ETH Zürich

Getestet wurde das System in Mäusen. Die Forschenden hatten ihnen die Zellen in den Bauch implantiert und die Tiere direkt auf einen Lautsprecher gesetzt. Bei einer Lautstärke von 85 Dezibel, die mit dem Lärm einer Hauptverkehrsstraße vergleichbar ist, verglich das Team verschiedene Musikgenres. Auf klassische Musik und Gitarrenklänge reagierten die Zellen kaum, am anderen Ende der Testskala sorgte "We Will Rock You" für die stärkste Insulinantwort, auch der Soundtrack des Superheldenfilms "The Avengers" stellte sich auf Platz zwei als bemerkenswert heraus.

Zukunftsmusik

Der Queen-Song konnte binnen fünfzehn Minuten die gesamte Insulinabgabe bewirken. Dies ist dem Biotechnologen Fussenegger zufolge vergleichbar mit der natürlichen Insulinantwort von gesunden Personen, die auf Glukose reagieren. Die Designerzellen reagierten außerdem nur, wenn die Schallquelle direkt auf der Haut über dem Implantat abgespielt wurde. Nicht getriggert wurde die Abgabe des Botenstoffs durch Umgebungsgeräusche wie Fluglärm, Rasenmäher oder Feuerwehrsirenen sowie Gespräche.

Fraglich ist, wie groß das Anwendungspotenzial ist: Tests derartiger Systeme an Menschen dürften nur durchgeführt werden, wenn sich Pharmaunternehmen dafür interessierten, heißt es vonseiten der ETH Zürich. Prinzipiell ließe sich das aber mit jedem therapeutisch nutzbaren Protein durchführen, nicht nur mit Insulin.

Womöglich inspiriert die Studie auch einige neue Beiträge zum Genre der naturwissenschaftlichen Parodie- und Coverversionen. "We Will Rock You" dürfte sich aufgrund des eingängigen Rhythmus nicht nur für Geologinnen und Geologen anbieten. (sic, APA, 26.8.2023)