Das Wiener Duo Esrap, Vienna Calling
Weil Wiener wehrhaft sind: das Wiener Duo Esrap, dargestellt in Philipp Jedickes Szenehommage "Vienna Calling".
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Gesoffen und getschickt wird nicht gerade wenig in Vienna Calling. "Ich hör jetzt komplett zum Rauchen auf und beginn halt mit einfachen Sachen … Kniebeugen", sagt der Nino aus Wien an einer ganz famosen Stelle des Films zu Voodoo Jürgens, der ihn gerade malt. Beide ziehen dabei genüsslich an ihren Zigaretten.

Da rennt er, der Wiener Schmäh, der den deutschen Journalisten und Filmemacher Philipp Jedicke so fasziniert. Ab 2015 war Jedicke immer wieder hier, ging mit Autorinnen wie Lydia Haider und Stefanie Sargnagel ins Café Weidinger, mit Kerosin95 Brautkleidshoppen und mit Enes von Esrap dessen Moped waschen. In starken Bildern gibt Jedicke Heldinnen und Protagonisten der Wiener Kulturszene die Möglichkeit, ihr Leben für die Kamera zu inszenieren – diese nutzen sie häufig mit Selbstironie und Nonchalance.

STANDARD: Vor fast schon zehn Jahren haben Wanda und Bilderbuch für Furore gesorgt. Besonders das deutsche Feuilleton feierte Wien als innovative Popstadt. Ich frage Sie als Journalisten, aber vor allem als Deutschen: Warum haben euch diese Bands so getaugt?

Jedicke: Ich glaube, aus zwei komplett unterschiedlichen Gründen. Wanda hatten sich damals getraut, abgründig und hedonistisch über Saufen, Sex und Drogen zu singen. Diese Lebensart wird in Deutschland und von deutscher Popmusik nicht so nach außen getragen. Bei Bilderbuch war es diese neu erfundene Sprache, dieses Prince-Mäßige, das so viel internationaler und frischer klang als viele deutsche Sachen zu der Zeit. Und da die beiden Bands so unterschiedlich sind, wurde angenommen, dass die Bandbreite zwischen diesen Polen riesig sein müsse.

Nino aus Wien
Der Nino aus Wien darf nicht fehlen.
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STANDARD: Weder Wanda noch Bilderbuch kommen in "Vienna Calling" vor. Warum?

Jedicke: Ich habe natürlich angefragt, für beide ist es sich nicht ausgegangen. Es war auch von den deutschen Fördergebern sehr gewünscht, dass große Zugpferde im Film sind. Mittlerweile bin ich – obwohl ich beide Bands sehr schätze – froh, dass sie nicht dabei sind, sonst wäre der Film nicht das, was er jetzt ist.

STANDARD: Welche Annahmen hatten Sie von der Musikszene? Was davon hat sich bestätigt?

Jedicke: Der Ausgangspunkt war eine magische Nacht in Wien 2015, als ich mit einigen Einheimischen nach dem Releasekonzert des Wanda-Albums Bussi in der Arena durch die Stadt gezogen bin. Es war eine Nacht, in der alles möglich schien, die Aufbruchsstimmung war enorm. Ich dachte, dass ich auf Kuriositäten stoßen würde. Ich habe viel mit starken Charakteren gerechnet, mit Leuten, die im positiven Sinne kompromisslose Künstler sind, die so gar nicht aufs Geld oder auf den Mainstream schielen. Das hat sich total bestätigt. Durchaus auch im anstrengenden Sinne: Es scheint hier in Wien völlig normal zu sein, dass man einfach nicht auf E-Mails antwortet. Man trifft sich ja eh irgendwo.

Vienna Calling - Trailer
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STANDARD: Sie wollen ein Wien abseits aller Postkartenmotive zeigen. Doch Wiener Grind und Grant sind ebenfalls Klischees, und die bedienen Sie sehr wohl.

Jedicke: Das vorherrschende Klischee in Deutschland ist nach wie vor dieses Sisi-Wien. Mir war es schon ein Anliegen, dass die Deutschen durch den Film das andere, "grindige" Wien sehen. Was mich sehr überrascht hat, war, dass selbst bei der Österreich-Premiere einige Leute auf mich zukamen, die meinten, sie würden keine einzige Person aus dem Film kennen, nicht einmal den Voodoo. Für mich als Filmemacher geht das natürlich runter wie Öl, wenn dieselben Leute sagen, dass ihnen der Film trotzdem gefalle, weil sie durch ihn etwas Neues kennengelernt hätten. Der Film ist als Hommage zu verstehen. Ich wollte den Protagonistinnen und Protagonisten eine Bühne bieten, um sich so zu zeigen, wie sie gesehen werden wollen. Vienna Calling will keine puristische Doku sein, keine Reportage.

STANDARD: Wie sind Sie zu Ihren Mitwirkenden gekommen? Wen und was haben Sie von vornherein ausgeschlossen?

Jedicke: Tatsächlich habe ich nur englischsprachige Bands ausgeschlossen, weil mir der Zungenschlag wichtig war. Sonst ging es für mich nur darum, dass mich die Acts und Bands berühren – wobei das nicht unbedingt auf musikalischer Ebene sein musste. Was ich auch ausgeschlossen habe, ist die Vergangenheit. Ich wollte keine Archivaufnahmen, ich wollte auch nicht mit der Geschichte von Austropop oder überhaupt mit dieser Begrifflichkeit hantieren.

STANDARD: Die Wiener mögen’s nicht gerne, ihre Stadt durch andere Augen vorgeführt zu bekommen. Hatten Sie bei der Österreich-Premiere Angst vorm Publikum?

Jedicke: Ich hatte schon die Horrorvorstellung, dass nach der Premiere Stille im Saal herrscht, in die jemand hineinbrüllt: "Geh scheißen, Piefke!" Ist aber nicht passiert. (Amira Ben Saoud, 24.8.2023)