Leonhard Hieronymi
Autor Leonhard Hieronymi.
Linda Rosa Saal

Eine überdimensionale Hand hält einen grellbunten Blumenstrauß, dessen Blüten prall sind wie Luftballons und müde an ihren Metallstielen hängen. Bouquet of Tulips heißt die elf Meter hohe Skulptur des US-amerikanischen Künstlers Jeff Koons, die heute in Paris unweit der Champs-Élysées steht. Die Aufblasoptik, schrille Farben und skurrile, comichafte Motive sind die Kennzeichen des Künstlers, dessen Werke Rekordsummen erzielen.

Umstrittenes Kunstwerk

Dieses umstrittene Kunstwerk – ein Geschenk der USA an Frankreich zur Erinnerung an die Terroranschläge 2015 und 2016 – ist der Stein des Anstoßes in Leonhard Hieronymis neuem Roman Der gute König. In der Realität wurde das Tulpenbouquet in Deutschland hergestellt. Ein Industriegebiet ist daher das Setting für den Roman des selbsternannten "Vorstadt-Autors". Zuvor erschien von Hieronymi ein von der Kritik eher gähnend zur Kenntnis genommener Roman namens In zwangloser Gesellschaft, ein Buch über die Frankfurter Technoszene. Der Autor ist Gründer des Kollektivs Rich Kids of Literature, das die moderne Literatur "retten" will – qua Umorientierung zur Ekstase. Sein Schreiben ist generell vom Szenen- und Cliquenhaften gezeichnet, was ihm als Unterlage für seine Gesellschaftskritik dient.

In Der gute König wurde der Ich-Erzähler und Handwerker Fansi von der Firma entlassen, die für das Ziselieren, Lackieren und die Endmontage der Tulpen verantwortlich ist: Er hatte versucht, ein Koons-Werk zu fälschen. Es geht also um die Rolle und den Wert von Kunst vs. Handwerk. Wenn in Der gute König Fansi und sein neuer Chef, ein gutmütiger Klempner, dann in protzigen Villen chronisch unzufriedener neureicher Kunden und Kundinnen angesagte Kloschüsseln einbauen müssen, dann gesellen sich hier noch Klassenfragen hinzu.

Leonhard Hieronymi, "Der gute König". € 24,70 / 240 Seiten. Hoffmann und Campe, Hamburg 2023.
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Wer ist der Mittelstand?

In Der gute König wird viel Alkohol getrunken, Hornhaut an den Händen gehabt, fachmännisch abgeklopft und inspiziert; ein Leitmotiv ist Gestank. Abseits dieser Allgemeinplätze zeigt Hieronymis Text an seinen besten Stellen durchaus, dass Handwerk sowohl vom Sprachmaterial – Sinter, Schleier, Körnung – als auch prinzipiell für die deutschsprachige Literatur kreativ mobilisiert werden kann. Nach Abertausenden von Romanen mit Hauptfiguren aus der Kreativbranche ist dies eine vielversprechende Abwechslung.

Der Schreibstil, bewusst einfach und unprätentiös gehalten, kommt aber mitunter etwas zu flach daher, und dass einige der Pointen und Dialogteile wörtlich der realen Medienberichterstattung über die Skulpturenschenkung entnommen sind, riecht auch eher nach Pfusch als nach gewitztem intertextuellem Bezug. Auch die Perspektive auf die Klassenverhältnisse, die in Der gute König immerhin unaufdringlich daherkommen, bleibt unausgegoren: Wer ist dieser Mittelstand, von dem in Hieronymis Werk ständig die Rede ist, und was kennzeichnet ihn? Warum wird der Begriff der Arbeiterklasse penibelst gemieden, wenn es doch ausgerechnet um Metallarbeiter geht?

Der gute König hätte alles, was man sich von einem modernen Roman erhoffen könnte. Aber eine Schicht Politur fehlt. (Olja Alvir, 26.8.2023)