Kanzler Karl Nehammer wird die Türkisen wohl in die nächste Wahl führen. Der ÖVP fehlen auch die Alternativen.
Kanzler Karl Nehammer wird die Türkisen wohl in die nächste Wahl führen. Der ÖVP fehlen auch die Alternativen.
APA/GEORG HOCHMUTH

Zufrieden ist in der ÖVP gerade niemand. Die Umfragewerte. Die scheinbare Ausweglosigkeit der Lage. Karl Nehammer, der gerade ein bisschen in Schwung kommt, aber doch irgendwie nicht so richtig. Wien-Chef Karl Mahrer, den einige in der Landespartei für den falschen Mann halten – doch auch hier keine Alternative sehen. Es ist schwierig, sagen Vertreterinnen und Vertreter der Volkspartei. Und doch passiert gerade etwas in der ÖVP: Wahlkampfstimmung kommt auf. Und die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren.

Zukunft: Das Match

Einen Satz hört man von Konservativen derzeit in verschiedenen Varianten immer und immer wieder: "Es steht und fällt mit dem Kanzlermatch." Soll heißen: Entscheidend wird sein, wer im Wahlkampf die beiden Hauptkontrahenten um die Kanzlerschaft werden. Ein Teilnehmer des Duells steht fest, wenn es nach den Politstrategen geht: FPÖ-Chef und Umfragenerster Herbert Kickl. Nicht entschieden ist, ob sich Nehammer oder doch SPÖ-Chef Andreas Babler mit Kickl duelliert. Der Worst Case für die ÖVP wäre: Es wird ein Wahlkampf zwischen links und extrem rechts, in dem die Volkspartei kaum eine Rolle spielt.

Also werden nun alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das verhindern. Vereinzelt werden sogar schon Funktionärinnen und Funktionäre der ÖVP "durchtelefoniert", wie es heißt – sie sollen sich für etwaige Aufgaben im Wahlkampf bereithalten, erzählt ein Türkiser.

Koalition: Die Abmachung

Kürzlich sollen sich höchste Vertreter von ÖVP und Grünen zusammengesetzt und Szenarien durchgespielt haben. Das Ergebnis ist ein Deal. Der Kerninhalt laute: Neuwahlen sollen, wenn überhaupt, nur gemeinsam ausgerufen werden.

Der Hintergrund ist klar: Kündigt eine Partei die Koalition auf, gibt es mehrere Wochen, in denen das freie Spiel der Kräfte regiert. Jede Partei kann sich in dieser Zeit mit anderen zusammentun und beschließen, wofür auch immer sich eine Mehrheit findet. Mitten im Wahlkampf sind das in der Regel: Wahlgeschenke. Weder ÖVP noch Grüne haben ein Interesse an einer "koalitionsfreien Zeit", erzählen Insider. So sollen die Regierungsparteien vereinbart haben, sich im Nationalrat auch im Falle einer Trennung nicht zu überstimmen.

Grund dafür seien "blanke Interessen", wird erzählt. So hätte die ÖVP nicht zu befürchten, dass im freien Spiel der Kräfte Sozialleistungen massiv erhöht würden. Und die Grünen hätten die Sicherheit, dass ihre Errungenschaften wie die CO2-Steuer nicht rückabgewickelt würden. Mit der FPÖ habe die Koalition einen gemeinsamen Außenfeind.

Auf diesen Pakt wird vertraut. Es hält aber auch niemand für ausgeschlossen, dass sich der Wind noch dreht. Bei den Grünen soll es bis vor kurzem die Überlegung gegeben haben, die ÖVP mit einem Ultimatum in Neuwahlen zu treiben. Das dürfte vorerst kein Thema mehr sein – was auch daran liegen könnte, dass beim Juniorpartner immer öfter von einer künftigen rot-schwarz-grünen Koalition geträumt wird.

Aber auch die ÖVP könnte die Nerven verlieren. Sollten die Freiheitlichen zeitnah über eine Affäre stolpern und in den Umfragen verlieren, halten viele Türkise einen Alleingang Richtung Neuwahlen für unausweichlich. Allerdings ist dieses Szenario nicht besonders wahrscheinlich – im Gegenteil ist es die ÖVP, die gerade mit der nächsten Umfragenaffäre konfrontiert ist. "Wir sind der FPÖ nicht knapp auf den Fersen, so ehrlich muss man sein", sagt eine Türkise.

Planspiel: Die Wahltermine

Aber was wären überhaupt mögliche Zeitpunkte für Neuwahlen?

Im November beschließt die Regierung ihr Budget für das kommende Jahr. Neuwahlen auszurufen, ohne im Budget vereinbarte Projekte einzupreisen, wird in der ÖVP als "unvernünftig" betrachtet. Das würde "chaotisch" wirken, sagt ein Türkiser. Daher sei ein Neuwahlbeschluss im Dezember eine denkbare Option. Angesichts dessen, dass eine Nationalratswahl wegen rechtlicher Fristen eine Vorlaufzeit von drei Monaten hat, wäre das auch die letzte Chance, um einen Wahltermin im März zu sichern.

Den März halten manche Türkise für einen attraktiven Termin, da er noch vor der EU-Wahl im Juni liegt. Die Europawahlen bergen aus Sicht der ÖVP mehrere Gefahren. Vor allem: ein schlechtes Wahlergebnis. Othmar Karas, langjähriger ÖVP-Spitzenkandidat, ist mit der Partei heillos zerstritten und überlegt, mit einer eigenen Liste anzutreten. Abgesehen davon sei ein weiteres Ausbluten Richtung FPÖ zu befürchten, meint ein türkiser Stratege: Diese "Dynamik" von der EU-Wahl dann im Herbst bei der Nationalratswahl "umzudrehen" sei schwierig.

Was gegen Wahlen im März spricht: Mächtige Männer in der Volkspartei sollen zum "Durchregieren" bis zum regulären Wahltermin tendieren – darunter Karl Nehammer persönlich, Klubchef August Wöginger und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka.

Lage: Die Stimmung

Der koalitionäre "Neuwahldeal" ändert aber nichts daran, dass die türkis-grüne Regierungszusammenarbeit belastet ist. Die Stimmung zwischen ÖVP und Grünen ist nicht besonders gut. Wöginger soll die Koalition in einer internen Sitzung kürzlich mit einem Geschenkkorb verglichen haben: Zuerst nehme man sich heraus, was einem schmecke. Am Ende bleibe übrig, was keiner wolle. In dieser Situation befinde man sich nun. (Jan Michael Marchart, Katharina Mittelstaedt, 25.8.2023)