Porno-Entrepreneurin und Autorin Paulita Pappel. 
Paulita Pappel: "Romantische Komödien entwerfen ein unreflektiertes und toxisches Bild von Liebe und Beziehungen."
Kasia Zacharko

STANDARD: Pornografie gilt als alles andere als hilfreich für die Entwicklung einer selbstbestimmten Sexualität. Warum eigentlich?

Pappel: Das hat viel mit monotheistischen Religionen zu tun, die uns noch immer beeinflussen. Sexualität ist eines der besten Mittel, um Menschen zu kontrollieren. Sie ist Teil unserer Identität, und die Kontrolle über unsere Sexualität gleicht der Kontrolle über uns als Menschen.

Die Kirche hat unsere Sexualität immer mit Angst kontrolliert. Mein Vater ist katholisch aufgewachsen, und ihm wurde erzählt, dass man vom Masturbieren blind wird. Wir wissen heute, dass das absoluter Quatsch ist und Masturbation sehr viele positive Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Doch diese Idee, dass Sexualität etwas Gefährliches ist, etwas, wovon Menschen verdorben werden, hält sich noch beim Thema Pornografie. Aussagen wie "Porno macht süchtig" sind nichts anderes als "Masturbieren macht blind". Es ist der Versuch, uns Angst einzuflößen, damit wir keinen selbstbestimmten Umgang mit unserer Sexualität bekommen und wir uns erzählen lassen, was richtig und was falsch ist.

STANDARD: Mainstreampornos gelten als frauenfeindlich. Frauen würden oft als unterwürfig dargestellt und fänden darin keine Bilder einer selbstbestimmten Sexualität.

Pappel: Es stimmt einfach nicht, dass Frauen in den meisten Pornos unterwürfig sind. Wenn man etwa auf Pornhub schaut, sieht man sehr viel Unterschiedliches – aber natürlich nicht alles. Wenn man nur RTL ansieht, sieht man auch nicht alles. Wenn man immer nur eine Quelle nutzt, wird man keine große Diversität finden.

Die Frage ist doch, warum fühlt man sich bedroht, wenn man Bilder von Sex sieht? Diese Bedrohung, diese Angst ist ein Konstrukt – und zwar das gleiche, wie wenn Frauen dauernd erzählt wird, sie sollten immer Angst haben. Nachts auf der Straße oder zu Hause. Frauen werden immer als potenzielle Opfer gesehen. Das schadet uns in unserer Sexualität und der Art und Weise, wie wir unsere Sexualität entdecken, erforschen und genießen können. Die Tatsache, dass explizite Sexualität in ihrer Darstellung als gefährlich vermittelt wird, das schafft Entfremdung.

STANDARD: Aber die Frauenbewegung hat zu Recht auf die massive sexualisierte Gewalt gegen Frauen aufmerksam gemacht. Und somit darauf, dass Frauen tatsächlich viel zu oft Opfer sind.

Pappel: Die Angst vor sexualisierter oder struktureller Gewalt ist berechtigt. Ich will das in keiner Sekunde verharmlosen oder relativieren. Aber diese strukturelle Gewalt durchzieht alle Branchen und Situationen, sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Privaten. Aber Pornos sind nicht die Ursache für diese Gewalt, sie war lange vor der Pornografie da. Wie viele Bereiche sind auch Pornos ein Spiegel unserer Gesellschaft. Warum sollte Pornografie als einziges Medium nicht diese Gewalt reproduzieren? In Büchern, in der Werbung, in der Musik – überall wird diese Gewalt reproduziert. Dem gegenüber müssen wir kritisch sein. Aber Pornos werden ganz anders kritisiert als etwa Musikvideos oder Filme.

Paulita Pappel,
Paulita Pappel, "Pornopositiv. Was Pornografie mit Feminismus, Selbstbestimmung und gutem Sex zu tun hat". Euro 16,99 / 208 Seiten. Ullstein-Verlag, 2023
Ullstein Verlag

Wenn man einen Film als sexistisch kritisiert, dann gilt das für diesen Film – aber nicht für Filme generell. Man bezeichnet nicht das Medium an sich als sexistisch. Ein Medium oder ein Produkt an sich kann nicht anderen Menschen Gewalt antun, nur Menschen können anderen Menschen Gewalt antun. Indem man Pornografie kritisiert, will man die Verantwortung von Menschen wegnehmen. Etwa wenn über einen gewalttätigen Mann gesagt wird, er sei gewalttätigt, weil er ständig Pornos schaut. Das ist doch keine Ausrede. Das ist also ein patriarchales Argument, dessen sich auch der Feminismus bedient.

STANDARD: Sie sagen, Pornografie sei insbesondere für Frauen wichtig für eine selbstermächtigende Sexualität. Warum?

Pappel: Uns wurde von vornherein nicht nahegelegt, dass wir unsere Sexualität feiern sollen. Pornografie tut das aber, und dadurch können wir mehr Kontrolle und Selbstbestimmung über unsere Sexualität bekommen – und können einen besseren und befriedigenderen Sex auszuleben.

STANDARD: Modeln, Sexarbeit oder auch Pornografie gehören zu den wenigen Bereichen, in denen Frauen mehr verdienen. Eine Begründung dafür ist auch eine klassische feministische Kritik: Frauen würden zum Objekt, auf ihren Körper reduziert, aus dem sich viel Kapital schlagen lässt. Was bedeutet das für Ihre These zur Pornografie?

Pappel: Darin spiegelt sich unser System wider, wie wir mit Frauen- und Männerkörpern umgehen. Frauen müssen etwa ein größeres Stigma ertragen als Männer, wenn sie Pornos machen. Ein Mann, der Pornos dreht, gilt als Hengst. Männer werden zwar auch diskriminiert, aber anders. Eine Frau, die Pornos macht, ist eine Schlampe. Wir müssen gegen dieses Stigma kämpfen, das Frauen, die eine selbstbewusste, offene Sexualität ausleben, trifft. Oder Frauen, die Sexarbeit oder Pornografie machen. Wenn wir sagen, Frauen werden in Pornos objektifiziert, dann spielen wir genau das Spiel mit, das wir eigentlich kritisieren wollen.

Aber wenn wir sagen, Frauen setzen in Pornos selbstbewusst ihren Körper ein, genauso wie eine Tänzerin ihren Körper auf der Bühne, genauso wie ein Bauarbeiter seinen Körper einsetzt – dann verändern wir etwas.

STANDARD: Aber ist der Pornodreh nicht etwas anderes als die Theaterbühne? Sie schreiben in Ihrem Buch, Sie würden am Pornoset immer gefragt, was Sie mögen und machen wollen. Das zeigt doch eine sehr enge Verknüpfung von persönlichen, sexuellen Präferenzen und etwas Beruflichem auf – was die Darstellenden auch ganz anders verletzbar macht. Das ist bei Tänzerinnen und erst recht bei Bauarbeitern anders, die auch mit ihrem Körper arbeiten.

Die Ausstellung
Die Ausstellung "Sex, Desire and Data" in Quebec, Kanada, befasste sich im August dieses Jahres unter anderem mit KI und Pornografie. Ein Medium selbst kann Menschen keine Gewalt antun, sagt Paulita Pappel.
APA/AFP/ANDREJ IVANOV

Pappel: Ich arbeite als Intimitätskoordinatorin beim Film, wo ja auch Liebes- oder Sexszenen inszeniert werden. Dabei thematisiere ich, dass es eben nicht um die private Sexualität geht, sondern darum, eine Geschichte zu erzählen.

Beim Porno sind Sexszenen halt nicht simuliert, sondern explizit dargestellt, aber auch Schauspieler holen Dinge aus ihrem Privatleben. Sie weinen etwa vor der Kamera, trotzdem ist es ein Spiel. Auch Pornografie ist in den meisten Fällen eine Inszenierung, eine Performance. Das, was ich am Pornoset tun will, ist vielleicht nicht dasselbe, was ich nachts mit meinem Partner oder meiner Partnerin tun will. Doch auch wenn das unterschiedliche Dinge sind, kann es trotzdem authentisch sein. Und auch wenn es sehr intim ist, ist es im Rahmen einer Inszenierung.

STANDARD: Sie warnen in Ihrem Buch ähnlich vor romantischen Komödien wie viele andere vor Pornografie. Was ist das Problem an romantischen Komödien?

Pappel: Das Bild der Verbindung von Liebe und Sex in romantischen Komödien. Liebe wird idealisiert und als etwas dargestellt, wonach sich alle Menschen sehnen, etwas, was vor allem für Frauen das Lebensglück schlechthin verspricht. Sie erzählen auch, wenn man liebt, hat man Sex, und wenn man Sex hat, dann liebt man – alles andere wäre nicht so schön oder sogar falsch und dreckig.

Es gibt viele andere Lebens- und Liebesentwürfe, doch romantische Komödien entwerfen ein sehr unreflektiertes und toxisches Bild von Liebe und Beziehungen. Darin werden auch der Mangel an Kommunikation und Missverständnisse abgefeiert. Oder dass man sich verstellt, um jemanden zu kriegen.

Man muss jungen Menschen erklären, dass man nicht selbst genauso Beziehungen führen soll. Wie bei der Pornografie ist es wichtig, dass man diese Bilder einordnen und verarbeiten kann.

Genauso wie bei Vorstellungen von Liebe und Romantik ist es bei Sexualität: Es gibt bestimmte Praktiken, die sind physisch oder psychisch – oder beides – sehr herausfordernd. Bevor man das macht, muss man sich informieren und verstehen, was das genau heißt. Man muss lernen, darüber zu kommunizieren, und was es heißt, das auf eine gesunde und sichere Art und Weise zu machen. Gefährlich wird es dann, wenn ich keine Informationen habe, um das einzuordnen. Das ist bei Pornos so, aber auch bei den romantischen Komödien.

STANDARD: An den Darstellungen von Liebe hängen auch andere große Begriffe wie Eifersucht oder Treue. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sind diese dominanten Liebeskonzepte sehr schlecht für unseren Sex?

Pappel: Ich glaube ja. Es lässt in uns Erwartungen entstehen: dass derjenige, den wir lieben, automatisch mit uns verschmilzt. Das kann im harmlosesten Fall dazu führen, dass man ungelenk über Sex kommuniziert. Oder es kann dazu führen, dass man nicht kommunizieren kann, einem etwas nicht mehr gefällt und mein Gegenüber mit etwas weitermacht, womit man sich unwohl fühl. Und dann gibt man sich womöglich noch selbst die Schuld, weil es ja eigentlich total magisch sein sollte. Solche Situationen sind unnötig und könnten nur mit ein paar Worten vermieden werden. (Beate Hausbichler, 2.9.2023)