Dirigent
Sir John Eliot Gardiner watscht Sänger und sagt Auftritte ab.
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Das war nun wahrlich nicht die feine britische Art! Sir John Eliot Gardiner ist selbst zur Einsicht gelangt, dass er sich zurückziehen muss, nachdem ihm offenbar die Hand ausgerutscht war. Der britische Dirigent hatte nach Berichten der New York Times den Sänger William Thomas hinter der Bühne geohrfeigt, nachdem dieser auf der "falschen" Seite vom Podium abgegangen war. Gardiner entschuldigte sich für den peinlichen Vorfall, der sich nach der konzertanten Aufführung der Berlioz-Oper Les Troyens im französischen La Côte-Saint-André zugetragen hatte.

Er wisse, dass "körperliche Gewalt nie akzeptabel" sei, erklärte der 80-Jährige, aber er habe die Nerven verloren. Weitere Aufführungen von Les Troyens (auch die samstägige bei den Salzburger Festspielen) wird Assistent Dinis Sousa dirigieren.

Besessener Musikexeget

Wie lange sein Fernbleiben dauern wird, muss sich weisen. Gardiner, Sohn eines musikaffinen Pioniers des Biolandbaus, ist ein besessener Musikexeget. Wie Nikolaus Harnoncourt ist er eine zentrale Figur der historisch informierten Aufführungspraxis, welche nach authentischer Wiedergabe von Werken strebt. Mit dem Ziel, seine Vorstellungen abseits der etablierten Orchester, abseits des modernen Instrumentariums umzusetzen, hat er denn auch einige Ensembles initiiert.

Mit 21 Jahren gründete er den Monteverdi Choir, später das Monteverdi Orchestra und hernach die English Baroque Soloists. 1991 folgte das Orchestre Révolutionnaire et Romantique, das nicht mehr bei Barockmusik, sondern bei Beethoven, Berlioz und Schumann zeigen wollte, wie das einst womöglich auf Originalinstrumenten geklungen haben mag.

Mit Gleichgesinnten

Angesichts seiner Erfolge wollten ihn große Klassiklabels zum Supermaestro aufbauen, der mit etablierten Orchestern zusammenarbeitet. Das erwies sich natürlich als eher schwer umsetzbar. Der nicht unbedingt als kompromissbereit geltende, hitzige Dirigent war und ist zweifellos dort besser aufgehoben, wo ausgiebiges Proben mit Gleichgesinnten möglich ist und ästhetische Debatten nicht zu Konflikten führen.

Dass er nun inakzeptabel aus seiner Machtrolle fiel, lässt einen aber letztlich ratlos zurück. Gardiner, der dreimal verheiratet war und im Mai auch bei der Krönung von Charles III. dirigiert hat, wird sich vielleicht aufs Land zum Nachdenken zurückziehen. Natur kann Einsicht bringen. Er bewirtschaftet, wohl in der Nachfolge seines Vaters, eine Ökofarm mit Rinder- und Schafzucht. (Ljubiša Tošić, 25.8.2023)