Tänzerin Anita Berber
Die deutsche Tänzerin hielt sich zwischen 1920 und 1923 in Wien auf. Mit der Verkörperung der Astarte reagierte sie auf die Zuschreibung "Nackttänzerin".
d'Ora / Photoinstitut Bonartes

Bevor Anita Berber mit Sebastian Droste im November des Jahres 1922 im Wiener Konzerthaus aufgetreten war, galt die deutsche Tänzerin als äußerst beliebt. Sie war Model, dann erfolgreicher Filmstar. Im gebeutelten Wien der Nachkriegsjahre rissen sich die Varietés und Theaterhäuser um das Duo, das einen Publikumshit versprach. Doch ein systematisch kreierter Medienskandal änderte das Image von Berber schlagartig.

Dieser ergab sich aus einer Mischung diverser Vorkommnisse: Zum einen hatten Berber und Droste mit vier Einrichtungen einen Vertrag abgeschlossen, woraufhin sich das Theater Ronacher hintergangen fühlte und die beiden wegen Vertragsbruchs klagte. Die Krawallmacher waren gezwungen, ihre Schulden abzustottern und später sogar das Land zu verlassen.

Anita Berber und Sebastian Droste
Um das Duo Anita Berber und Sebastian Droste rankten sich Gerüchte und Anekdoten. In gewagten Posen ließen sie sich im Studio von Madame d’Ora ablichten.
d'Ora / Privatsammlung, Wien

Zum anderen rankten sich Gerüchte und Anekdoten um die privaten Ausschweifungen der beiden. Berber wurden zahlreiche Affären – auch mit Frauen – und eine schwere Drogensucht nachgesagt. (Mit nur 29 Jahren starb sie an Tuberkulose.) Ein gefundenes Fressen für die Medien: Rund 200 Artikel erschienen zum Wiener Skandal, wobei es primär um die Inszenierung der beiden ging, kaum um ihre Tänze.

Hinsichtlich der gewagten Inhalte derselben schien das überraschend. Immerhin waren sie mit Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase betitelt und behandelten Themen wie Selbstmord, Irrsinn und Drogenmissbrauch. In der Uraufführung der spektakulären Bühnenshow trat Berber leichtbekleidet auf, Droste trug bodenlange Kleider und weiße Schminke. Ein Programm voll queerer Verweise, die ebenfalls keine Erwähnung fanden.

Radikale Körperlichkeit

Alldem widmet sich das Photoinstitut Bonartes mit einer kleinen, spannenden Ausstellung, die sich der Zeit Berbers (1920 bis 1923) in Wien widmet und Fotografien, Zeitungsartikel sowie das einzige von Berber und Droste publizierte Buch (samt Fotos und Gedichten) zusammenbringt. Kuratorin Magdalena Vuković wollte mit dem Projekt nicht das gängige Skandalbild Berbers bedienen, sondern ihre radikale Konfrontation mit Körperlichkeit in den Fokus rücken.

Szene von Anita Berber
Anita Berber aus einer Filmaufnahme ihres Tanzstücks "Kokain".
d'Ora / Photoinstitut Bonartes,

Dies wird mit Originalfotografien dokumentiert, die niemand Geringeres als die bekannte Wiener Fotografin Dora Kallmus machte. Berber und auch Droste ließen sich in Madame d’Oras Studio ablichten und griffen intensive Tanzszenen auf, wobei die Bilder losgelöst von den Bühnenauftritten verstanden werden müssen. Vielmehr sollten sie übersteigerte Essenz daraus sein. Wie ihre Shows tatsächlich ausgesehen haben, bleibt weitgehend Vermutung. Eine Aufnahme suggeriert indes, dass Berber nie gänzlich nackt auf der Bühne zu sehen war.

Unbeeindruckt dessen verpassten ihr die Medien den despektierlichen Beinamen "Nackttänzerin", gegen den sich Berber zu Wehr setzte. Dass es ihr nie um Erotik oder gar Verführung ging, wollte sie mit einem von d’Ora gemachten Foto, das sie als die Göttin Astarte zeigte, ein für alle Mal klarstellen. Wie zur Provokation konterkariert sie darauf mit Glitzerbikini das Revuegenre. Dazu aus ihrem Gedicht Astarte: "Sie peitscht. Sie nimmt. Sie schreit. Sie tanzt." (Katharina Rustler, 26.8.2023)