ukrainischer Präsident Selenskyj
Die Ukraine sieht die Rückeroberung des ganzen Landes und die Aufnahme in EU und Nato als ihr Kriegsziel.
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Die Aggression gegen die Ukraine ist die Willensprobe eines Mannes – Wladimir Putin mit seinem imperialistischen Traum – gegen den Willen des ukrainischen Volkes, sich nicht unterjochen zu lassen. Butscha und zahlreiche andere Kriegsverbrechen haben gezeigt, was dann zu erwarten wäre.

Putin ist kein Stratege, der seinem Traum gerecht wird. Stephen Kotkin zum Beispiel sieht keine Beweise dafür, "dass irgendetwas, was man Putins taktischer Gewandtheit zuschreibt, einen positiven Beitrag zu Russlands langfristiger Macht" – Wohlstand, Humankapital, Infrastruktur, Regierungskunst – leistet. Es gibt aber, trotz des Wagner-Dramoletts und der Ermordung Jewgeni Prigoschins, wenig Anzeichen dafür, dass Putins eigene Macht wankt.

Umgekehrt ist die Unterstützung des Westens, von der die Ukraine abhängt, weiterhin sehr solide. Demokratien können zwar ermüden, wenn Kriege lange andauern, aber eher erst in einer Pattsituation. Der Chef des britischen Geheimdienstes, Richard Moore, denkt, "dass die Ukraine die Oberhand gewinnen kann". (Experten wie Lise Howard und Michael O'Hanlon oder Brigadier Philipp Eder vom österreichischen Bundesheer sind da skeptischer.)

Ein Kriegsende hängt von Kriegszielen und deren Erreichung ab. Russland beabsichtigt neben dem Anschluss von Territorien auch einen Machtwechsel in Kiew, wenn nicht eine Art Unterwerfung des ganzen Landes. Die Ukraine sieht die Rückeroberung des ganzen Landes und die Aufnahme in EU und Nato als ihr Kriegsziel.

Verbittert und böswillig

Ein Waffenstillstand, der halten soll, muss auch die Zeit danach mitdenken. Der ehemalige US-Diplomat Eliot Cohen meint, dass Russland verlieren muss, denn "alles andere würde den russischen Imperialismus fördern und Autokraten auf der ganzen Welt ermutigen". Aber er befürchtet auch, dass ein besiegtes Russland verbittert und böswillig sein wird. Howard und O'Hanlon meinen, dass Russland abgeschreckt werden, gleichzeitig aber der Westen einen Weg zur friedlichen Koexistenz mit einem Russland nach Putin anbieten muss.

Die Idee, dass man bei starkem Willen auf beiden Seiten, diametral gegensätzlichen Zielen und ohne ein Konzept für die Zeit danach einen raschen Waffenstillstand vermitteln kann, ist unrealistisch. Die Verhandlungslücke besteht zumindest aus der Abneigung Kiews, irgendein Gebiet der Ukraine abzutreten, und Putins Bedürfnis, einen Gewinn aus seiner kostspieligen militärischen Fehlkalkulation zu ziehen.

Der russische Diktator spielt auf Zeit. Er setzt auf hohe Gewinne von durch ihn geförderten extremistischen Parteien bei den Europawahlen im Juni 2024. Er wird weiterhin versuchen, Drittländer wie Brasilien, Südafrika, Indien und vor allem China mehr auf seine Seite zu ziehen. Vor allem aber wird er abwarten, ob Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen im November 2024 gewinnen wird. Wenn ja, wird Wladimir Putin wahrscheinlich ein Kriegsgewinnler. Wenn nein, dann ist es möglich, dass den militärischen und bürokratischen Eliten Russlands die Geduld ausgeht und Putins Präsidentschaft und der Krieg ein Ende finden.

Vor Ende 2024 ist es also wenig wahrscheinlich, dass wir ein Endspiel sehen. (Veit Dengler, 27.8.2023)