Die Justizanstalt Graz-Karlau. 
Das Gefängnis in Graz-Karlau war nur eine der Haftanstalten, in denen Lorenz K. offenbar ohne größere Probleme an ein Smartphone gelangt ist.
APA/ERWIN SCHERIAU

Lorenz K. (24) hat fast seine gesamte Jugend in Haft verbracht. Bald sieben Jahre sitzt er schon durchgehend ein und kennt mittlerweile doch ein paar Gefängnisse Österreichs von innen. Wie eine heiße Kartoffel wurde er von einem ins nächste versetzt. Das lag nicht nur an Streitereien mit Mitgefangenen. Die heimische Jihadisten-Ikone fiel auch dadurch auf, andere in Haft radikalisieren zu wollen. Bis auf eine Ausnahme gelang es K. außerdem, in jedem Gefängnis an ein Smartphone zu kommen. Doch genau das könnte ihm jetzt zum Verhängnis werden.

Im Jahr 2016 brachte Lorenz K. einen damals unmündigen Deutschen von Wien aus per Whatsapp-Chat dazu, mit einem selbstgebauten Sprengsatz einen Weihnachtsmarkt im deutschen Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) zu besuchen, um einen Selbstmordanschlag auszuführen. Das scheiterte – allerdings nur, weil die Zündung nicht funktionierte. Dafür fasste K. neun Jahre Haft aus. Der neue Fall kommt jenem aus dem Jahr 2016 verblüffend nahe.

Während seiner Strafhaft erstellte Lorenz K. gleich mehrere Instagram-Profile. Zunächst wohl, um Propaganda der Terroristen des "Islamischen Staats" (IS) zu verbreiten und mit dessen Anhängern in Kontakt zu kommen. Vermutlich im Sommer 2020 begann er dann, von seiner Zelle in Graz-Karlau aus mit einer Person zu chatten, die für die Ermittler eine größere Bedeutung bekam. Der Username lässt auf einen Deutschen oder einen Österreicher schließen, vielleicht ist es aber auch nur ein bewusst gewählter Deckname. Die Person ist laut Behörden noch nicht identifizierbar.

Genau diese Person soll K. aber ermutigt haben, ein Selbstmordattentat zu begehen. Dieser Verdacht geht aus der Anklage der Staatsanwaltschaft Graz gegen K. hervor, die dem STANDARD, Puls 24 und der APA vorliegt.

"Du kannst die kuffar versteckt angreifen"

"Du kannst eine amelia (Anm.: Bombe, Sprengsatz) machen", schrieb Lorenz K. damals an die unbekannte Person. "Wallah akhi bin vorsichtig. Wie amalia", kam als Antwort zurück. Und K. schrieb daraufhin: "Mit shahada". "Shahada" interpretiert die Staatsanwaltschaft in diesem Kontext als Selbstmordattentat.

Als sein Gegenüber nach Material – mutmaßlich für einen Sprengsatz – fragte, antwortete K.: "Findest du überall". Er verweist auf "viele pdf", die offenbar im Internet zu finden seien. "Du kannst viel machen du kannst die kuffar (Anm.: Ungläubigen) versteckt angreifen. Erstmal baya (Anm.: Treueschwur) geben und deinen Amir (Anm.: Befehlshaber) fragen was das beste ist."

Die Geschichte von Lorenz K. zeigt ein riesiges Problem auf, vor dem die Justizanstalten in Österreich stehen: die Vernetzung im Gefängnis, aber auch, dass Häftlinge offenbar über kursierende Smartphones immer wieder einen guten Draht nach draußen pflegen können. Wurden im Jahr 2017 noch 761 Mobiltelefone in den Haftanstalten sichergestellt, waren es laut Justizministerium 2022 doch deutlich mehr: 1.078.

K. wuchs bei albanischstämmigen Eltern auf, die sich als Atheisten bezeichnen. Er selbst besuchte in der Schule lange den katholischen Religionsunterricht. Erst als er im Alter von 15 erstmals wegen schweren Raubes in Haft kam, brachte ihn ein Mithäftling zum islamischen Glauben. Nach seiner Haftentlassung besuchte K. verschiedene Wiener Moscheen, kam irgendwann mit der Ideologie des "Islamischen Staates" in Berührung. Videos des zu 20 Jahren verurteilten Hasspredigers Mirsad O. vertieften schließlich seine Radikalität.

Mittlerweile will sich K. vom IS losgesagt haben, er sei in Haft bloß auf der Suche nach "falscher Anerkennung" gewesen, sagte er in einer Einvernahme aus. Eine "Selbstmordoperation" habe er niemandem nahegelegt. Die Ermittler glauben ihm nicht.

Auch weil Lorenz K. einem deutschen Staatsangehörigen mit radikalislamistischen Tendenzen aus der Haft heraus ein Video schickte, das eine vollstreckte Hinrichtung durch IS-Terroristen zeigt. Auf Instagram schrieb K. der gleichen Person zudem: "Ich mache seit 6 Jahren Ne Antigewalttherapie Und frag mich mal Wie viel mir die geholfen hat." Folgend versendete K. das Bild einer Nagelbombe, das er wie folgt kommentierte: "SO VIEL !!! HAHHAAHAHHAAHHAHAHAHAHAHA". Sein Gegenüber reagierte darauf mit: "Du bist behindert". K. hält das im Nachgang nur für "schwarzen Humor".

Unter anderem deshalb und weil K. dem deutschen Staatsbürger nahegelegt hatte: "Du musst shadid (Anm.: Märtyrer) werden", steht für die Ermittler fest: Der junge Mann habe sich nicht vom IS distanziert. Auf ihm zuordenbaren Mobiltelefonen sammelte K. 179 Bilddateien und 831 Videos mit Verbindung zu den Terroristen.

Als ob man "Heroinabhängige zusammenstecke"

Ein Mithäftling sagte einmal über Lorenz K. aus, dass dieser einer jener Extremisten im Grazer Gefängnis sei, die sich mit ausgestrecktem Finger begrüßen würden. Ein Symbol, das im islamischen Kontext für die Einheit Gottes steht, das Jihadisten aber als Erkennungszeichen für sich beanspruchen. Laut einem anonymen Insassen soll K. auch mit Anschlägen und Mordaufträgen im Gefängnis gedroht haben: "Habe noch viel zu erledigen und plane etwas Großes."

Lorenz K. selbst führt sein Verhalten auf die schlechten Zustände in Justizanstalten wie Stein und Graz-Karlau zurück. Dort hätten sich die Insassen ständig mit immer besseren Videos etwa von Hinrichtungen überbieten wollen. Der IS und die emotionale Bindung dazu seien für ihn wie eine Droge. Seit er wieder mit terroristischen Straftätern eingesessen sei, habe sich seine Situation wieder verschlimmert, als ob man "Heroinabhängige zusammenstecke".

Ein Déjà-vu

Wie ein Déjà-vu wirkt außerdem, dass sich Lorenz K. im Sommer 2020 ein pikantes IS-Video herunterlud. Ausgerechnet jenes, das er einst auch jenem deutschen Unmündigen weitergeleitet hatte, den er zu dem gescheiterten Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Ludwigshafen überreden konnte. Darin wird eindeutig zu Attentaten aufgerufen. Und genau dieses Video verschickte Lorenz K. laut Anklage vor etwa drei Jahren via Whatsapp erneut an eine weitere, noch unbekannte Person.

Eigentlich wäre K. spätestens am 20. Oktober 2026 in Freiheit gewesen. Nun muss sich der Jihadist aber erneut vor Gericht verantworten. Einen fixen Prozesstermin gibt es noch nicht. Im Raum stehen die Vorwürfe der versuchten Bestimmung zum Mord, der vorsätzlichen Gefährdung durch Sprengmittel sowie das Verbrechen der terroristischen Vereinigung und kriminellen Organisation. In Summe droht K. eine zusätzliche Freiheitsstrafe von zehn bis zwanzig Jahren oder eine lebenslange Strafe.

"Nach dem langen Ermittlungsverfahren ist es fast eine Erleichterung, endlich die Gelegenheit zu erhalten, sich vor einem Gericht zu verteidigen und vor den Geschworenen, die über die Vorwürfe entscheiden müssen, Stellung zu nehmen", sagt David Jodlbauer, der Verteidiger des jungen Mannes. "Mein Mandant ist zuversichtlich, dass die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft entkräftet werden können." (Jan Michael Marchart, 31.8.2023)